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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800.

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sprechen könnte; ja wir beredeten sie, daß sie nur
ein wenig zu wählen hätte, um einen Aqvavit zu
bekommen, der ihr selbst das beste Heilungsmittel
sein würde. Rike schlug Wachholder, Schlupfloch
Kümmel, ich Pommeranzen vor und jeder wollte es
von einem berühmten Arzt gehört haben, daß die
Sorte, welche er empfahl, ein wahres Specificum
sei. Unsere Frau Baroninn war schon äußerst schwach
im Kopfe, zu dem stimmten unsere Vorschläge
ganz mit ihrer Neigung, sie nahm also abwechselnd
die drei verschiedenen Branntweine, womit wir sie
versahn, und war sogar mit unserer Aufmerksam-
keit zufrieden.

Meine Leser werden hier vielleicht ausrufen:
"war denn gar kein Gefühl, nicht die geringste
Menschlichkeit in Fritz Nickeln, daß er seiner Mut-
ter so mitspielen und es zulassen konnte, daß auch
andre es thaten? "Jch antworte: dem Mutter-
söhnchen einer Frau, die an sich keine Thiermen-
schinn ist, sondern es gern sähe, wenn ihr Sohn
ein guter Mensch würde, ja nichts eifriger wünscht,
ist es schon möglich, daß er sie zum Dank für ih-
re Schonung und Nachsicht bis aufs Blut kränkt,
sie um das Jhrige bringt und noch dazu übel behan-
delt. Wie vielmehr nun mußte das Goldfritzel ei-
ner Suschen ohne Mäßigung und Rücksicht gegen sie
handeln, nachdem sie ihm nicht nur von Kindes-
beinen an allen Willen gelassen, sondern auch selbst
zu allem, was die Moral verbietet, angehalten, es
ihm durch eigenes Beispiel gelehrt und ihn über die
Hand-
ſprechen koͤnnte; ja wir beredeten ſie, daß ſie nur
ein wenig zu waͤhlen haͤtte, um einen Aqvavit zu
bekommen, der ihr ſelbſt das beſte Heilungsmittel
ſein wuͤrde. Rike ſchlug Wachholder, Schlupfloch
Kuͤmmel, ich Pommeranzen vor und jeder wollte es
von einem beruͤhmten Arzt gehoͤrt haben, daß die
Sorte, welche er empfahl, ein wahres Specificum
ſei. Unſere Frau Baroninn war ſchon aͤußerſt ſchwach
im Kopfe, zu dem ſtimmten unſere Vorſchlaͤge
ganz mit ihrer Neigung, ſie nahm alſo abwechſelnd
die drei verſchiedenen Branntweine, womit wir ſie
verſahn, und war ſogar mit unſerer Aufmerkſam-
keit zufrieden.

Meine Leſer werden hier vielleicht ausrufen:
„war denn gar kein Gefuͤhl, nicht die geringſte
Menſchlichkeit in Fritz Nickeln, daß er ſeiner Mut-
ter ſo mitſpielen und es zulaſſen konnte, daß auch
andre es thaten? „Jch antworte: dem Mutter-
ſoͤhnchen einer Frau, die an ſich keine Thiermen-
ſchinn iſt, ſondern es gern ſaͤhe, wenn ihr Sohn
ein guter Menſch wuͤrde, ja nichts eifriger wuͤnſcht,
iſt es ſchon moͤglich, daß er ſie zum Dank fuͤr ih-
re Schonung und Nachſicht bis aufs Blut kraͤnkt,
ſie um das Jhrige bringt und noch dazu uͤbel behan-
delt. Wie vielmehr nun mußte das Goldfritzel ei-
ner Suschen ohne Maͤßigung und Ruͤckſicht gegen ſie
handeln, nachdem ſie ihm nicht nur von Kindes-
beinen an allen Willen gelaſſen, ſondern auch ſelbſt
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[450/0454] ſprechen koͤnnte; ja wir beredeten ſie, daß ſie nur ein wenig zu waͤhlen haͤtte, um einen Aqvavit zu bekommen, der ihr ſelbſt das beſte Heilungsmittel ſein wuͤrde. Rike ſchlug Wachholder, Schlupfloch Kuͤmmel, ich Pommeranzen vor und jeder wollte es von einem beruͤhmten Arzt gehoͤrt haben, daß die Sorte, welche er empfahl, ein wahres Specificum ſei. Unſere Frau Baroninn war ſchon aͤußerſt ſchwach im Kopfe, zu dem ſtimmten unſere Vorſchlaͤge ganz mit ihrer Neigung, ſie nahm alſo abwechſelnd die drei verſchiedenen Branntweine, womit wir ſie verſahn, und war ſogar mit unſerer Aufmerkſam- keit zufrieden. Meine Leſer werden hier vielleicht ausrufen: „war denn gar kein Gefuͤhl, nicht die geringſte Menſchlichkeit in Fritz Nickeln, daß er ſeiner Mut- ter ſo mitſpielen und es zulaſſen konnte, daß auch andre es thaten? „Jch antworte: dem Mutter- ſoͤhnchen einer Frau, die an ſich keine Thiermen- ſchinn iſt, ſondern es gern ſaͤhe, wenn ihr Sohn ein guter Menſch wuͤrde, ja nichts eifriger wuͤnſcht, iſt es ſchon moͤglich, daß er ſie zum Dank fuͤr ih- re Schonung und Nachſicht bis aufs Blut kraͤnkt, ſie um das Jhrige bringt und noch dazu uͤbel behan- delt. Wie vielmehr nun mußte das Goldfritzel ei- ner Suschen ohne Maͤßigung und Ruͤckſicht gegen ſie handeln, nachdem ſie ihm nicht nur von Kindes- beinen an allen Willen gelaſſen, ſondern auch ſelbſt zu allem, was die Moral verbietet, angehalten, es ihm durch eigenes Beiſpiel gelehrt und ihn uͤber die Hand-

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Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/454>, abgerufen am 02.06.2024.