ihn mir zum Begleiter erbeten, und stellte mich einige Zeit aufmerksam auf seine Predigten, wenn ich dann bis zum Gerichtsplatz mit anscheinender Rührung ruhig an seiner Seite seinem Peroriren zugehört hätte, so wollte ich ihm, in dem Augen- blick, da ich dem Henker übergeben werden sollte, mit beiden Händen nach der Kehle fahren und ihn erdrosseln. Jch stellte mir freilich vor, daß man suchen würde, mich daran zu verhindern; allein ich hatte mich in der Kindheit an Hunden und Katzen geübt, wie man die Daumen ansetzen mußte, um in zwei Augenblicken Garaus zu machen. Also wollte ich ihn auf eben diese Art packen, und ehe ich los- gerissen würde, sollte es entweder ganz vorbei mit ihm oder er doch nicht mehr zu retten sein. Nach meinem Dafürhalten konnte man mir doch mehr nicht anthun, als mir schon zuerkannt war, ich wollte dann noch eine kurze aufzeichnens werthe Rede halten über den Werth des erdrosselten Unterofficiers und derer, die ihm gleichen, wollte von Geist- und Thiermenschen handeln und den Zuhörern kürzlich vor Augen legen, wie ich durch Erziehung und Bei- spiele zu der letzten Gattung gebildet wurde. Das Schlimmste, was mir widerfahren konnte, war, wie ich meinte, zurückgeführt und zu einem noch höhern Grad von Strafe condemnirt zu werden, welches noch dazu mein Leben verlängert hätte, ich konnte vielleicht meine Rede erst halten, wenn ich zum zwei- tenmal zum Tode gesührt wurde, und sollten vor diesem die Schmerzen des Räderns vorausgehn, so wollte ich sie heldenmüthig dulden und mit dem Trost in die andere Welt gehen, daß man lange und weit und breit von Goldfritzel sprechen würde.
Dieses Vornehmen heiterte mich immer mehr auf, je näher der Tag, ja die Stunde kam, in wel- cher ich auf den Richtplatz geführt werden sollte. Ei- nige Minuten vorher sagte ich, daß ich heute doch nicht sterben würde, welches man, nachdem ich geret- tet war, als eine Art Prophezeihung ansah, weswe- gen man mich für einen Menschen hielt, über dessen
Werth
ihn mir zum Begleiter erbeten, und ſtellte mich einige Zeit aufmerkſam auf ſeine Predigten, wenn ich dann bis zum Gerichtsplatz mit anſcheinender Ruͤhrung ruhig an ſeiner Seite ſeinem Peroriren zugehoͤrt haͤtte, ſo wollte ich ihm, in dem Augen- blick, da ich dem Henker uͤbergeben werden ſollte, mit beiden Haͤnden nach der Kehle fahren und ihn erdroſſeln. Jch ſtellte mir freilich vor, daß man ſuchen wuͤrde, mich daran zu verhindern; allein ich hatte mich in der Kindheit an Hunden und Katzen geuͤbt, wie man die Daumen anſetzen mußte, um in zwei Augenblicken Garaus zu machen. Alſo wollte ich ihn auf eben dieſe Art packen, und ehe ich los- geriſſen wuͤrde, ſollte es entweder ganz vorbei mit ihm oder er doch nicht mehr zu retten ſein. Nach meinem Dafuͤrhalten konnte man mir doch mehr nicht anthun, als mir ſchon zuerkannt war, ich wollte dann noch eine kurze aufzeichnens werthe Rede halten uͤber den Werth des erdroſſelten Unterofficiers und derer, die ihm gleichen, wollte von Geiſt- und Thiermenſchen handeln und den Zuhoͤrern kuͤrzlich vor Augen legen, wie ich durch Erziehung und Bei- ſpiele zu der letzten Gattung gebildet wurde. Das Schlimmſte, was mir widerfahren konnte, war, wie ich meinte, zuruͤckgefuͤhrt und zu einem noch hoͤhern Grad von Strafe condemnirt zu werden, welches noch dazu mein Leben verlaͤngert haͤtte, ich konnte vielleicht meine Rede erſt halten, wenn ich zum zwei- tenmal zum Tode geſuͤhrt wurde, und ſollten vor dieſem die Schmerzen des Raͤderns vorausgehn, ſo wollte ich ſie heldenmuͤthig dulden und mit dem Troſt in die andere Welt gehen, daß man lange und weit und breit von Goldfritzel ſprechen wuͤrde.
Dieſes Vornehmen heiterte mich immer mehr auf, je naͤher der Tag, ja die Stunde kam, in wel- cher ich auf den Richtplatz gefuͤhrt werden ſollte. Ei- nige Minuten vorher ſagte ich, daß ich heute doch nicht ſterben wuͤrde, welches man, nachdem ich geret- tet war, als eine Art Prophezeihung anſah, weswe- gen man mich fuͤr einen Menſchen hielt, uͤber deſſen
Werth
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ihn mir zum Begleiter erbeten, und ſtellte mich
einige Zeit aufmerkſam auf ſeine Predigten, wenn
ich dann bis zum Gerichtsplatz mit anſcheinender
Ruͤhrung ruhig an ſeiner Seite ſeinem Peroriren
zugehoͤrt haͤtte, ſo wollte ich ihm, in dem Augen-
blick, da ich dem Henker uͤbergeben werden ſollte,
mit beiden Haͤnden nach der Kehle fahren und ihn
erdroſſeln. Jch ſtellte mir freilich vor, daß man
ſuchen wuͤrde, mich daran zu verhindern; allein ich
hatte mich in der Kindheit an Hunden und Katzen
geuͤbt, wie man die Daumen anſetzen mußte, um in
zwei Augenblicken Garaus zu machen. Alſo wollte
ich ihn auf eben dieſe Art packen, und ehe ich los-
geriſſen wuͤrde, ſollte es entweder ganz vorbei mit
ihm oder er doch nicht mehr zu retten ſein. Nach
meinem Dafuͤrhalten konnte man mir doch mehr
nicht anthun, als mir ſchon zuerkannt war, ich
wollte dann noch eine kurze aufzeichnens werthe Rede
halten uͤber den Werth des erdroſſelten Unterofficiers
und derer, die ihm gleichen, wollte von Geiſt- und
Thiermenſchen handeln und den Zuhoͤrern kuͤrzlich
vor Augen legen, wie ich durch Erziehung und Bei-
ſpiele zu der letzten Gattung gebildet wurde. Das
Schlimmſte, was mir widerfahren konnte, war, wie
ich meinte, zuruͤckgefuͤhrt und zu einem noch hoͤhern
Grad von Strafe condemnirt zu werden, welches
noch dazu mein Leben verlaͤngert haͤtte, ich konnte
vielleicht meine Rede erſt halten, wenn ich zum zwei-
tenmal zum Tode geſuͤhrt wurde, und ſollten vor
dieſem die Schmerzen des Raͤderns vorausgehn, ſo
wollte ich ſie heldenmuͤthig dulden und mit dem
Troſt in die andere Welt gehen, daß man lange und
weit und breit von Goldfritzel ſprechen wuͤrde.
Dieſes Vornehmen heiterte mich immer mehr
auf, je naͤher der Tag, ja die Stunde kam, in wel-
cher ich auf den Richtplatz gefuͤhrt werden ſollte. Ei-
nige Minuten vorher ſagte ich, daß ich heute doch
nicht ſterben wuͤrde, welches man, nachdem ich geret-
tet war, als eine Art Prophezeihung anſah, weswe-
gen man mich fuͤr einen Menſchen hielt, uͤber deſſen
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/486>, abgerufen am 22.11.2024.
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