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Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913.

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liche und weibliche Vorkämpfer des revolutionären Bürgertums
für die wirtschaftliche und politische Gleichstellung der Frau ein.

Als erste Verfechterin der Frauenrechte ist die im 15. Jahr-
hundert lebende französische Schriftstellerin Christine de Pisan zu
nennen. Der Kampf ums Dasein, die Notwendigkeit des eigenen
Broterwerbes zur Bestreitung des Unterhaltes ihrer Kinder ver-
anlaßte sie in einer Streitschrift "La cite des dames" für die
intellektuelle Gleichberechtigung der Frauen einzutreten. Durch
ihr Vorgehen angeregt, ging Mademoiselle de Gournay, die Adop-
tivtochter Montaignes, in ihren Forderungen noch weiter. Sie
verlangte die volle Gleichberechtigung der Geschlechter mit Aus-
nahme der Wehrpflicht. Jn England ließ der Kampf um die mit
Füßen getretenen Grundrechte des Volkes und die declaration of
rights
sowie ihre im Jahre 1689 erfolgte gesetzliche Bestätigung
die Frauenfrage lebendig werden. Unter anderen war es vor
allem Anna Clifford, die lebhaft die rechtliche und politische
Gleichberechtigung der Frauen verteidigte. Noch war aber das
erlösende Wort für die halt- und ziellos tastende Frauenseele
nicht gesprochen. Rousseau fand es in der Weisung: Werde Mutter!
Damit hatte er die verborgene Wunde der Frau des 18. Jahr-
hunderts aufgedeckt, die Verachtung der Mutterschaft. Und mit
demselben warm pulsierenden Herzblut verfocht er im Contrat
social
die allgemeinen Menschenrechte: "Der Mensch ist frei ge-
boren ... Stärke gewährt kein Recht ... Auf seine Freiheit ver-
zichten, heißt auf seine Menschheit, seine Menschenrechte, ja selbst
auf seine Pflichten verzichten ... Der Grundvertrag der Gesell-
schaft muß an Stelle der physischen Ungleichheit eine sittliche und
gesetzliche Gleichheit setzen ..." 14 Jahre später verkündeten in
den Vereinigten Staaten die ersten Vorkämpferinnen die Gleich-
berechtigung des weiblichen Geschlechtes: Mercy Otis Warren,
welche die Unabhängigkeit Amerikas forderte, bevor Washington
sich in den Gedanken hineinfinden konnte, und ihre Freundin
Abigail Smith Adams. Diese schrieb 1776 an ihren Mann:
"Wenn die künftige Verfassung den Frauen keine gründliche Auf-
merksamkeit schenkt, so sind wir zur Rebellion entschlossen und
halten uns nicht für verpflichtet, uns Gesetzen zu unterwerfen, die
uns keine Stimme und keine Vertretung unserer Jnteressen zu-
sichern." Rebelliert wurde zwar nicht, und wenn auch der Wunsch
nach politischer Gleichberechtigung für die Gesamtheit der Verei-
nigten Staaten sich nicht erfüllte, so waren es doch New Jersey
und Virginia, die als erste Staaten der Welt für ihre weiblichen
Bürger das Wahlrecht einführten und damit die Blicke des ganzen
Weltenrundes auf sich lenkten.

Alle diese Tatsachen wirkten mit, daß in den Revolutions-
stürmen Frankreichs mit dem Ruf nach Freiheit, Gleichheit und

liche und weibliche Vorkämpfer des revolutionären Bürgertums
für die wirtschaftliche und politische Gleichstellung der Frau ein.

Als erste Verfechterin der Frauenrechte ist die im 15. Jahr-
hundert lebende französische Schriftstellerin Christine de Pisan zu
nennen. Der Kampf ums Dasein, die Notwendigkeit des eigenen
Broterwerbes zur Bestreitung des Unterhaltes ihrer Kinder ver-
anlaßte sie in einer Streitschrift „La cité des dames“ für die
intellektuelle Gleichberechtigung der Frauen einzutreten. Durch
ihr Vorgehen angeregt, ging Mademoiselle de Gournay, die Adop-
tivtochter Montaignes, in ihren Forderungen noch weiter. Sie
verlangte die volle Gleichberechtigung der Geschlechter mit Aus-
nahme der Wehrpflicht. Jn England ließ der Kampf um die mit
Füßen getretenen Grundrechte des Volkes und die declaration of
rights
sowie ihre im Jahre 1689 erfolgte gesetzliche Bestätigung
die Frauenfrage lebendig werden. Unter anderen war es vor
allem Anna Clifford, die lebhaft die rechtliche und politische
Gleichberechtigung der Frauen verteidigte. Noch war aber das
erlösende Wort für die halt- und ziellos tastende Frauenseele
nicht gesprochen. Rousseau fand es in der Weisung: Werde Mutter!
Damit hatte er die verborgene Wunde der Frau des 18. Jahr-
hunderts aufgedeckt, die Verachtung der Mutterschaft. Und mit
demselben warm pulsierenden Herzblut verfocht er im Contrat
social
die allgemeinen Menschenrechte: „Der Mensch ist frei ge-
boren … Stärke gewährt kein Recht … Auf seine Freiheit ver-
zichten, heißt auf seine Menschheit, seine Menschenrechte, ja selbst
auf seine Pflichten verzichten … Der Grundvertrag der Gesell-
schaft muß an Stelle der physischen Ungleichheit eine sittliche und
gesetzliche Gleichheit setzen …“ 14 Jahre später verkündeten in
den Vereinigten Staaten die ersten Vorkämpferinnen die Gleich-
berechtigung des weiblichen Geschlechtes: Mercy Otis Warren,
welche die Unabhängigkeit Amerikas forderte, bevor Washington
sich in den Gedanken hineinfinden konnte, und ihre Freundin
Abigail Smith Adams. Diese schrieb 1776 an ihren Mann:
„Wenn die künftige Verfassung den Frauen keine gründliche Auf-
merksamkeit schenkt, so sind wir zur Rebellion entschlossen und
halten uns nicht für verpflichtet, uns Gesetzen zu unterwerfen, die
uns keine Stimme und keine Vertretung unserer Jnteressen zu-
sichern.“ Rebelliert wurde zwar nicht, und wenn auch der Wunsch
nach politischer Gleichberechtigung für die Gesamtheit der Verei-
nigten Staaten sich nicht erfüllte, so waren es doch New Jersey
und Virginia, die als erste Staaten der Welt für ihre weiblichen
Bürger das Wahlrecht einführten und damit die Blicke des ganzen
Weltenrundes auf sich lenkten.

Alle diese Tatsachen wirkten mit, daß in den Revolutions-
stürmen Frankreichs mit dem Ruf nach Freiheit, Gleichheit und

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[11/0011] liche und weibliche Vorkämpfer des revolutionären Bürgertums für die wirtschaftliche und politische Gleichstellung der Frau ein. Als erste Verfechterin der Frauenrechte ist die im 15. Jahr- hundert lebende französische Schriftstellerin Christine de Pisan zu nennen. Der Kampf ums Dasein, die Notwendigkeit des eigenen Broterwerbes zur Bestreitung des Unterhaltes ihrer Kinder ver- anlaßte sie in einer Streitschrift „La cité des dames“ für die intellektuelle Gleichberechtigung der Frauen einzutreten. Durch ihr Vorgehen angeregt, ging Mademoiselle de Gournay, die Adop- tivtochter Montaignes, in ihren Forderungen noch weiter. Sie verlangte die volle Gleichberechtigung der Geschlechter mit Aus- nahme der Wehrpflicht. Jn England ließ der Kampf um die mit Füßen getretenen Grundrechte des Volkes und die declaration of rights sowie ihre im Jahre 1689 erfolgte gesetzliche Bestätigung die Frauenfrage lebendig werden. Unter anderen war es vor allem Anna Clifford, die lebhaft die rechtliche und politische Gleichberechtigung der Frauen verteidigte. Noch war aber das erlösende Wort für die halt- und ziellos tastende Frauenseele nicht gesprochen. Rousseau fand es in der Weisung: Werde Mutter! Damit hatte er die verborgene Wunde der Frau des 18. Jahr- hunderts aufgedeckt, die Verachtung der Mutterschaft. Und mit demselben warm pulsierenden Herzblut verfocht er im Contrat social die allgemeinen Menschenrechte: „Der Mensch ist frei ge- boren … Stärke gewährt kein Recht … Auf seine Freiheit ver- zichten, heißt auf seine Menschheit, seine Menschenrechte, ja selbst auf seine Pflichten verzichten … Der Grundvertrag der Gesell- schaft muß an Stelle der physischen Ungleichheit eine sittliche und gesetzliche Gleichheit setzen …“ 14 Jahre später verkündeten in den Vereinigten Staaten die ersten Vorkämpferinnen die Gleich- berechtigung des weiblichen Geschlechtes: Mercy Otis Warren, welche die Unabhängigkeit Amerikas forderte, bevor Washington sich in den Gedanken hineinfinden konnte, und ihre Freundin Abigail Smith Adams. Diese schrieb 1776 an ihren Mann: „Wenn die künftige Verfassung den Frauen keine gründliche Auf- merksamkeit schenkt, so sind wir zur Rebellion entschlossen und halten uns nicht für verpflichtet, uns Gesetzen zu unterwerfen, die uns keine Stimme und keine Vertretung unserer Jnteressen zu- sichern.“ Rebelliert wurde zwar nicht, und wenn auch der Wunsch nach politischer Gleichberechtigung für die Gesamtheit der Verei- nigten Staaten sich nicht erfüllte, so waren es doch New Jersey und Virginia, die als erste Staaten der Welt für ihre weiblichen Bürger das Wahlrecht einführten und damit die Blicke des ganzen Weltenrundes auf sich lenkten. Alle diese Tatsachen wirkten mit, daß in den Revolutions- stürmen Frankreichs mit dem Ruf nach Freiheit, Gleichheit und  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-10T14:18:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-10T14:18:39Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walter_frauenstimmrecht_1913/11>, abgerufen am 21.11.2024.