Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

nur mit 42,1 % beteiligt. Wie kommt das? Warum sind in
der Ebene die Güter, auf der Höhe die Dörfer die Sammel-
becken des Polentums? Eins sieht man alsbald: die Polen
haben die Tendenz sich in der ökonomisch und sozial
niedrigst stehenden Schicht der Bevölkerung an-
zusammeln.
Auf den guten Böden, zumal der Weichselebene,
stand der Bauer in seiner Lebenshaltung stets über dem Guts-
tagelöhner, auf den schlechten Böden dagegen, die rationell nur
im Großen zu bewirtschaften waren, war das Rittergut der
Träger der Kultur und damit des Deutschtums, die kümmerlichen
Kleinbauern stehen dort in ihrer Lebenshaltung noch heute unter
den Gutstagelöhnern. Wüßten wir das nicht ohnehin - der
Altersaufbau der Bevölkerung ließe es uns vermuthen. Steigt
man in den Dörfern von der Ebene zum Höhenrücken hinauf,
so steigt der Anteil der Kinder unter 14 Jahren von 35-36 %
mit abnehmender Bodengüte bis auf 40-41 %, - und wenn
man damit die Güter vergleicht, so ist in der Ebene der Anteil
der Kinder größer als in den Dörfern, steigt nach der Höhe
zu, aber langsamer als in den Dörfern, und bleibt auf der-
selben hinter ihnen zurück. Die große Kinderzahl heftet sich hier
wie überall an die Fersen der niedrigen Lebenshaltung, welche die
Erwägungen der Fürsorge für die Zukunft erstickt. - Wirt-
schaftliche Kultur, relative Höhe der Lebenshaltung und Deutsch-
tum
sind in Westpreußen identisch.

Und doch konkurrieren beide Nationalitäten seit Jahr-
hunderten auf demselben Boden unter wesentlich gleichen Chancen
mit einander. Worin ist also jene Scheidung begründet? Man
ist alsbald versucht, an eine auf physischen und psychischen Rassen-
qualitäten beruhende Verschiedenheit der Anpassungsfähig-

nur mit 42,1 % beteiligt. Wie kommt das? Warum ſind in
der Ebene die Güter, auf der Höhe die Dörfer die Sammel-
becken des Polentums? Eins ſieht man alsbald: die Polen
haben die Tendenz ſich in der ökonomiſch und ſozial
niedrigſt ſtehenden Schicht der Bevölkerung an-
zuſammeln.
Auf den guten Böden, zumal der Weichſelebene,
ſtand der Bauer in ſeiner Lebenshaltung ſtets über dem Guts-
tagelöhner, auf den ſchlechten Böden dagegen, die rationell nur
im Großen zu bewirtſchaften waren, war das Rittergut der
Träger der Kultur und damit des Deutſchtums, die kümmerlichen
Kleinbauern ſtehen dort in ihrer Lebenſhaltung noch heute unter
den Gutstagelöhnern. Wüßten wir das nicht ohnehin – der
Altersaufbau der Bevölkerung ließe es uns vermuthen. Steigt
man in den Dörfern von der Ebene zum Höhenrücken hinauf,
ſo ſteigt der Anteil der Kinder unter 14 Jahren von 35–36 %
mit abnehmender Bodengüte bis auf 40–41 %, – und wenn
man damit die Güter vergleicht, ſo iſt in der Ebene der Anteil
der Kinder größer als in den Dörfern, ſteigt nach der Höhe
zu, aber langſamer als in den Dörfern, und bleibt auf der-
ſelben hinter ihnen zurück. Die große Kinderzahl heftet ſich hier
wie überall an die Ferſen der niedrigen Lebenshaltung, welche die
Erwägungen der Fürſorge für die Zukunft erſtickt. – Wirt-
ſchaftliche Kultur, relative Höhe der Lebenshaltung und Deutſch-
tum
ſind in Weſtpreußen identiſch.

Und doch konkurrieren beide Nationalitäten ſeit Jahr-
hunderten auf demſelben Boden unter weſentlich gleichen Chancen
mit einander. Worin iſt alſo jene Scheidung begründet? Man
iſt alsbald verſucht, an eine auf phyſiſchen und pſychiſchen Raſſen-
qualitäten beruhende Verſchiedenheit der Anpaſſungsfähig-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="4"/>
nur mit 42,1 % beteiligt. Wie kommt das? Warum &#x017F;ind in<lb/>
der Ebene die Güter, auf der Höhe die Dörfer die Sammel-<lb/>
becken des Polentums? Eins &#x017F;ieht man alsbald: <hi rendition="#g">die Polen<lb/>
haben die Tendenz &#x017F;ich in der ökonomi&#x017F;ch und &#x017F;ozial<lb/>
niedrig&#x017F;t &#x017F;tehenden Schicht der Bevölkerung an-<lb/>
zu&#x017F;ammeln.</hi> Auf den guten Böden, zumal der Weich&#x017F;elebene,<lb/>
&#x017F;tand der Bauer in &#x017F;einer Lebenshaltung &#x017F;tets über dem Guts-<lb/>
tagelöhner, auf den &#x017F;chlechten Böden dagegen, die rationell nur<lb/>
im Großen zu bewirt&#x017F;chaften waren, war das Rittergut der<lb/>
Träger der Kultur und damit des Deut&#x017F;chtums, die kümmerlichen<lb/>
Kleinbauern &#x017F;tehen dort in ihrer Leben&#x017F;haltung noch heute <hi rendition="#g">unter</hi><lb/>
den Gutstagelöhnern. Wüßten wir das nicht ohnehin &#x2013; der<lb/>
Altersaufbau der Bevölkerung ließe es uns vermuthen. Steigt<lb/>
man in den <hi rendition="#g">Dörfern</hi> von der Ebene zum Höhenrücken hinauf,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;teigt der Anteil der Kinder unter 14 Jahren von 35&#x2013;36 %<lb/>
mit abnehmender Bodengüte bis auf 40&#x2013;41 %, &#x2013; und wenn<lb/>
man damit die <hi rendition="#g">Güter</hi> vergleicht, &#x017F;o i&#x017F;t in der Ebene der Anteil<lb/>
der Kinder größer als in den Dörfern, &#x017F;teigt nach der Höhe<lb/>
zu, aber lang&#x017F;amer als in den Dörfern, und bleibt <hi rendition="#g">auf</hi> der-<lb/>
&#x017F;elben hinter ihnen zurück. Die große Kinderzahl heftet &#x017F;ich hier<lb/>
wie überall an die Fer&#x017F;en der niedrigen Lebenshaltung, welche die<lb/>
Erwägungen der Für&#x017F;orge für die Zukunft er&#x017F;tickt. &#x2013; Wirt-<lb/>
&#x017F;chaftliche Kultur, relative Höhe der Lebenshaltung und <hi rendition="#g">Deut&#x017F;ch-<lb/>
tum</hi> &#x017F;ind in We&#x017F;tpreußen identi&#x017F;ch.</p><lb/>
        <p>Und doch konkurrieren beide Nationalitäten &#x017F;eit Jahr-<lb/>
hunderten auf dem&#x017F;elben Boden unter we&#x017F;entlich gleichen Chancen<lb/>
mit einander. Worin i&#x017F;t al&#x017F;o jene Scheidung begründet? Man<lb/>
i&#x017F;t alsbald ver&#x017F;ucht, an eine auf phy&#x017F;i&#x017F;chen und p&#x017F;ychi&#x017F;chen Ra&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
qualitäten beruhende Ver&#x017F;chiedenheit der <hi rendition="#g">Anpa&#x017F;&#x017F;ungsfähig-<lb/></hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0010] nur mit 42,1 % beteiligt. Wie kommt das? Warum ſind in der Ebene die Güter, auf der Höhe die Dörfer die Sammel- becken des Polentums? Eins ſieht man alsbald: die Polen haben die Tendenz ſich in der ökonomiſch und ſozial niedrigſt ſtehenden Schicht der Bevölkerung an- zuſammeln. Auf den guten Böden, zumal der Weichſelebene, ſtand der Bauer in ſeiner Lebenshaltung ſtets über dem Guts- tagelöhner, auf den ſchlechten Böden dagegen, die rationell nur im Großen zu bewirtſchaften waren, war das Rittergut der Träger der Kultur und damit des Deutſchtums, die kümmerlichen Kleinbauern ſtehen dort in ihrer Lebenſhaltung noch heute unter den Gutstagelöhnern. Wüßten wir das nicht ohnehin – der Altersaufbau der Bevölkerung ließe es uns vermuthen. Steigt man in den Dörfern von der Ebene zum Höhenrücken hinauf, ſo ſteigt der Anteil der Kinder unter 14 Jahren von 35–36 % mit abnehmender Bodengüte bis auf 40–41 %, – und wenn man damit die Güter vergleicht, ſo iſt in der Ebene der Anteil der Kinder größer als in den Dörfern, ſteigt nach der Höhe zu, aber langſamer als in den Dörfern, und bleibt auf der- ſelben hinter ihnen zurück. Die große Kinderzahl heftet ſich hier wie überall an die Ferſen der niedrigen Lebenshaltung, welche die Erwägungen der Fürſorge für die Zukunft erſtickt. – Wirt- ſchaftliche Kultur, relative Höhe der Lebenshaltung und Deutſch- tum ſind in Weſtpreußen identiſch. Und doch konkurrieren beide Nationalitäten ſeit Jahr- hunderten auf demſelben Boden unter weſentlich gleichen Chancen mit einander. Worin iſt alſo jene Scheidung begründet? Man iſt alsbald verſucht, an eine auf phyſiſchen und pſychiſchen Raſſen- qualitäten beruhende Verſchiedenheit der Anpaſſungsfähig-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-06T09:08:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T09:08:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T09:08:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Bogensignaturen: übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/10
Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/10>, abgerufen am 21.11.2024.