Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.schen Agrarpolitik möchte ich heute besprechen. Jch möchte viel- Wie verhält sich aber die volkswirtschaftspolitische Betrach- Auch unter dem Schein des "Friedens", das zeigte sich freilich Hans Delbrücks Urteil über dessen nationalpolitische Wir-
kung in seinen verschiedenen bekannten Artikeln in den Preuß. Jahrbüchern keineswegs. Schon die mechanische Berechnung unter Vergleichung der Zahl der begründeten Bauernhöfe mit der Zahl der Polen ist für Niemand, der sich das Kulturwerk der Kolonisation an Ort und Stelle betrachtet hat, beweiskräftig; wenige Dörfer mit je ein Dutzend deutschen Höfen germanisieren eventuell mehrere Quadratmeilen, natürlich vorausgesetzt, daß der proletarische Nach- schub aus dem Osten abgedämmt wird und daß man nicht, indem man die Abbröckelung und den Zerfall des Großbesitzes im Uebrigen sich selbst und dem durch die Rentengutsgesetze noch weiter entbun- denen freien Spiel der Kräfte allein überläßt, dem Faß, in welches man schöpft, den Boden ausschlägt. ſchen Agrarpolitik möchte ich heute beſprechen. Jch möchte viel- Wie verhält ſich aber die volkswirtſchaftspolitiſche Betrach- Auch unter dem Schein des „Friedens“, das zeigte ſich freilich Hans Delbrücks Urteil über deſſen nationalpolitiſche Wir-
kung in ſeinen verſchiedenen bekannten Artikeln in den Preuß. Jahrbüchern keineswegs. Schon die mechaniſche Berechnung unter Vergleichung der Zahl der begründeten Bauernhöfe mit der Zahl der Polen iſt für Niemand, der ſich das Kulturwerk der Koloniſation an Ort und Stelle betrachtet hat, beweiskräftig; wenige Dörfer mit je ein Dutzend deutſchen Höfen germaniſieren eventuell mehrere Quadratmeilen, natürlich vorausgeſetzt, daß der proletariſche Nach- ſchub aus dem Oſten abgedämmt wird und daß man nicht, indem man die Abbröckelung und den Zerfall des Großbeſitzes im Uebrigen ſich ſelbſt und dem durch die Rentengutsgeſetze noch weiter entbun- denen freien Spiel der Kräfte allein überläßt, dem Faß, in welches man ſchöpft, den Boden ausſchlägt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0021" n="15"/> ſchen Agrarpolitik möchte ich heute beſprechen. Jch möchte viel-<lb/> mehr an die Thatſache anknüpfen, daß eine ſolche Frage bei uns<lb/> Allen überhaupt entſteht, daß wir das Deutſchtum des Oſtens<lb/> als ſolches für etwas halten, das geſchützt werden und für deſſen<lb/> Schutz auch die Wirtſchaftspolitik des Staates in die Schranken<lb/> treten ſoll. Es iſt der Umſtand, daß unſer Staatsweſen ein<lb/> Nationalſtaat iſt, welcher uns das Recht zu dieſer Forderung<lb/> empfinden läßt.</p><lb/> <p>Wie verhält ſich aber die volkswirtſchaftspolitiſche Betrach-<lb/> tung dazu? Sind für ſie derartige nationaliſtiſche Werturteile<lb/> Vorurteile, deren ſie ſich ſorgſam zu entledigen hat, um ihren<lb/> eigenen Wertmaßſtab, unbeeinflußt durch Gefühlsreflexe, an die<lb/> ökonomiſchen Thatſachen legen zu können? Und welches iſt<lb/> dieſer „eigene“ Wertmaßſtab der Volkswirtſchaftspolitik? Dieſer<lb/> Frage möchte ich in einigen weiteren Ueberlegungen näher zu<lb/> kommen verſuchen. –</p><lb/> <p>Auch unter dem Schein des „Friedens“, das zeigte ſich<lb/><note xml:id="note-0021" prev="#note-0020" place="foot" n="1)">freilich Hans Delbrücks Urteil über deſſen nationalpolitiſche Wir-<lb/> kung in ſeinen verſchiedenen bekannten Artikeln in den Preuß.<lb/> Jahrbüchern keineswegs. Schon die mechaniſche Berechnung unter<lb/> Vergleichung der Zahl der begründeten Bauernhöfe mit der Zahl<lb/> der Polen iſt für Niemand, der ſich das Kulturwerk der Koloniſation<lb/> an Ort und Stelle betrachtet hat, beweiskräftig; wenige Dörfer mit<lb/> je ein Dutzend deutſchen Höfen <hi rendition="#g">germaniſieren</hi> eventuell mehrere<lb/> Quadratmeilen, natürlich vorausgeſetzt, daß der proletariſche Nach-<lb/> ſchub aus dem Oſten abgedämmt wird und daß man nicht, indem<lb/> man die Abbröckelung und den Zerfall des Großbeſitzes im Uebrigen<lb/> ſich ſelbſt und dem durch die Rentengutsgeſetze noch weiter entbun-<lb/> denen freien Spiel der Kräfte allein überläßt, dem Faß, in welches<lb/> man ſchöpft, den Boden ausſchlägt.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0021]
ſchen Agrarpolitik möchte ich heute beſprechen. Jch möchte viel-
mehr an die Thatſache anknüpfen, daß eine ſolche Frage bei uns
Allen überhaupt entſteht, daß wir das Deutſchtum des Oſtens
als ſolches für etwas halten, das geſchützt werden und für deſſen
Schutz auch die Wirtſchaftspolitik des Staates in die Schranken
treten ſoll. Es iſt der Umſtand, daß unſer Staatsweſen ein
Nationalſtaat iſt, welcher uns das Recht zu dieſer Forderung
empfinden läßt.
Wie verhält ſich aber die volkswirtſchaftspolitiſche Betrach-
tung dazu? Sind für ſie derartige nationaliſtiſche Werturteile
Vorurteile, deren ſie ſich ſorgſam zu entledigen hat, um ihren
eigenen Wertmaßſtab, unbeeinflußt durch Gefühlsreflexe, an die
ökonomiſchen Thatſachen legen zu können? Und welches iſt
dieſer „eigene“ Wertmaßſtab der Volkswirtſchaftspolitik? Dieſer
Frage möchte ich in einigen weiteren Ueberlegungen näher zu
kommen verſuchen. –
Auch unter dem Schein des „Friedens“, das zeigte ſich
1)
1) freilich Hans Delbrücks Urteil über deſſen nationalpolitiſche Wir-
kung in ſeinen verſchiedenen bekannten Artikeln in den Preuß.
Jahrbüchern keineswegs. Schon die mechaniſche Berechnung unter
Vergleichung der Zahl der begründeten Bauernhöfe mit der Zahl
der Polen iſt für Niemand, der ſich das Kulturwerk der Koloniſation
an Ort und Stelle betrachtet hat, beweiskräftig; wenige Dörfer mit
je ein Dutzend deutſchen Höfen germaniſieren eventuell mehrere
Quadratmeilen, natürlich vorausgeſetzt, daß der proletariſche Nach-
ſchub aus dem Oſten abgedämmt wird und daß man nicht, indem
man die Abbröckelung und den Zerfall des Großbeſitzes im Uebrigen
ſich ſelbſt und dem durch die Rentengutsgeſetze noch weiter entbun-
denen freien Spiel der Kräfte allein überläßt, dem Faß, in welches
man ſchöpft, den Boden ausſchlägt.
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