Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

fahren mit auf den Weg zu geben, sondern den ewigen Kampf um die
Erhaltung und Emporzüchtung unserer nationalen Art. Und wir
dürfen uns nicht der optimistischen Hoffnung hingeben, daß mit
der höchstmöglichen Entfaltung wirtschaftlicher Kultur bei uns die
Arbeit gethan sei und die Auslese im freien und "friedlichen"
ökonomischen Kampfe dem höher entwickelten Typus alsdann von
selbst zum Siege verhelfen werde.

Nicht in erster Linie für die Art der volkswirtschaftlichen
Organisation, die wir ihnen überliefern, werden unsere Nachfahren
uns vor der Geschichte verantwortlich machen, sondern für das
Maß des Ellenbogenraums, den wir ihnen in der Welt erringen
und hinterlassen. Machtkämpfe sind in letzter Linie auch die
ökonomischen Entwicklungsprozesse, die Machtinteressen der Nation
sind, wo sie in Frage gestellt sind, die letzten und entscheidenden
Jnteressen, in deren Dienst ihre Wirtschaftspolitik sich zu stellen
hat, die Wissenschaft von der Volkswirtschaftspolitik ist eine
politische Wissenschaft. Sie ist eine Dienerin der Politik,
nicht der Tagespolitik der jeweils herrschenden Machthaber und
Klassen, sondern der dauernden machtpolitischen Jnteressen der
Nation. Und der Nationalstaat ist uns nicht ein unbestimmtes
Etwas, welches man um so höher zu stellen glaubt, je mehr man sein
Wesen in mystisches Dunkel hüllt, sondern die weltliche Macht-
organisation der Nation, und in diesem Nationalstaat ist für
uns der letzte Wertmaßstab auch der volkswirtschaftlichen Betrach-
tung die "Staatsraison". Sie bedeutet uns nicht, wie ein selt-
sames Mißverständnis glaubt: "Staatshülfe" statt der "Selbst-
hülfe", staatliche Reglementierung des Wirtschaftslebens statt des
freien Spiels der wirtschaftlichen Kräfte, sondern wir wollen mit
diesem Schlagwort die Forderung erheben, daß für die Fragen

2*

fahren mit auf den Weg zu geben, ſondern den ewigen Kampf um die
Erhaltung und Emporzüchtung unſerer nationalen Art. Und wir
dürfen uns nicht der optimiſtiſchen Hoffnung hingeben, daß mit
der höchſtmöglichen Entfaltung wirtſchaftlicher Kultur bei uns die
Arbeit gethan ſei und die Ausleſe im freien und „friedlichen“
ökonomiſchen Kampfe dem höher entwickelten Typus alsdann von
ſelbſt zum Siege verhelfen werde.

Nicht in erſter Linie für die Art der volkswirtſchaftlichen
Organiſation, die wir ihnen überliefern, werden unſere Nachfahren
uns vor der Geſchichte verantwortlich machen, ſondern für das
Maß des Ellenbogenraums, den wir ihnen in der Welt erringen
und hinterlaſſen. Machtkämpfe ſind in letzter Linie auch die
ökonomiſchen Entwicklungsprozeſſe, die Machtintereſſen der Nation
ſind, wo ſie in Frage geſtellt ſind, die letzten und entſcheidenden
Jntereſſen, in deren Dienſt ihre Wirtſchaftspolitik ſich zu ſtellen
hat, die Wiſſenſchaft von der Volkswirtſchaftspolitik iſt eine
politiſche Wiſſenſchaft. Sie iſt eine Dienerin der Politik,
nicht der Tagespolitik der jeweils herrſchenden Machthaber und
Klaſſen, ſondern der dauernden machtpolitiſchen Jntereſſen der
Nation. Und der Nationalſtaat iſt uns nicht ein unbeſtimmtes
Etwas, welches man um ſo höher zu ſtellen glaubt, je mehr man ſein
Weſen in myſtiſches Dunkel hüllt, ſondern die weltliche Macht-
organiſation der Nation, und in dieſem Nationalſtaat iſt für
uns der letzte Wertmaßſtab auch der volkswirtſchaftlichen Betrach-
tung die „Staatsraiſon“. Sie bedeutet uns nicht, wie ein ſelt-
ſames Mißverſtändnis glaubt: „Staatshülfe“ ſtatt der „Selbſt-
hülfe“, ſtaatliche Reglementierung des Wirtſchaftslebens ſtatt des
freien Spiels der wirtſchaftlichen Kräfte, ſondern wir wollen mit
dieſem Schlagwort die Forderung erheben, daß für die Fragen

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="19"/>
fahren mit auf den Weg zu geben, &#x017F;ondern den <hi rendition="#g">ewigen Kampf</hi> um die<lb/>
Erhaltung und Emporzüchtung un&#x017F;erer nationalen Art. Und wir<lb/>
dürfen uns nicht der optimi&#x017F;ti&#x017F;chen Hoffnung hingeben, daß mit<lb/>
der höch&#x017F;tmöglichen Entfaltung wirt&#x017F;chaftlicher Kultur bei uns die<lb/>
Arbeit gethan &#x017F;ei und die Ausle&#x017F;e im freien und &#x201E;friedlichen&#x201C;<lb/>
ökonomi&#x017F;chen Kampfe dem höher entwickelten Typus alsdann von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zum Siege verhelfen werde.</p><lb/>
        <p>Nicht in er&#x017F;ter Linie für die Art der volkswirt&#x017F;chaftlichen<lb/>
Organi&#x017F;ation, die wir ihnen überliefern, werden un&#x017F;ere Nachfahren<lb/>
uns vor der Ge&#x017F;chichte verantwortlich machen, &#x017F;ondern für das<lb/>
Maß des Ellenbogenraums, den wir ihnen in der Welt erringen<lb/>
und hinterla&#x017F;&#x017F;en. Machtkämpfe &#x017F;ind in letzter Linie auch die<lb/>
ökonomi&#x017F;chen Entwicklungsproze&#x017F;&#x017F;e, die Machtintere&#x017F;&#x017F;en der Nation<lb/>
&#x017F;ind, wo &#x017F;ie in Frage ge&#x017F;tellt &#x017F;ind, die letzten und ent&#x017F;cheidenden<lb/>
Jntere&#x017F;&#x017F;en, in deren Dien&#x017F;t ihre Wirt&#x017F;chaftspolitik &#x017F;ich zu &#x017F;tellen<lb/>
hat, die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft von der Volkswirt&#x017F;chaftspolitik i&#x017F;t eine<lb/><hi rendition="#g">politi&#x017F;che</hi> Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Sie i&#x017F;t eine Dienerin der Politik,<lb/>
nicht der Tagespolitik der jeweils herr&#x017F;chenden Machthaber und<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern der dauernden machtpoliti&#x017F;chen Jntere&#x017F;&#x017F;en der<lb/>
Nation. Und der <hi rendition="#g">National&#x017F;taat</hi> i&#x017F;t uns nicht ein unbe&#x017F;timmtes<lb/>
Etwas, welches man um &#x017F;o höher zu &#x017F;tellen glaubt, je mehr man &#x017F;ein<lb/>
We&#x017F;en in my&#x017F;ti&#x017F;ches Dunkel hüllt, &#x017F;ondern die weltliche Macht-<lb/>
organi&#x017F;ation der Nation, und in die&#x017F;em National&#x017F;taat i&#x017F;t für<lb/>
uns der letzte Wertmaß&#x017F;tab auch der volkswirt&#x017F;chaftlichen Betrach-<lb/>
tung die <hi rendition="#g">&#x201E;Staatsrai&#x017F;on&#x201C;</hi>. Sie bedeutet uns nicht, wie ein &#x017F;elt-<lb/>
&#x017F;ames Mißver&#x017F;tändnis glaubt: &#x201E;Staatshülfe&#x201C; &#x017F;tatt der &#x201E;Selb&#x017F;t-<lb/>
hülfe&#x201C;, &#x017F;taatliche Reglementierung des Wirt&#x017F;chaftslebens &#x017F;tatt des<lb/>
freien Spiels der wirt&#x017F;chaftlichen Kräfte, &#x017F;ondern wir wollen mit<lb/>
die&#x017F;em Schlagwort die Forderung erheben, daß für die Fragen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#right">2*</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0025] fahren mit auf den Weg zu geben, ſondern den ewigen Kampf um die Erhaltung und Emporzüchtung unſerer nationalen Art. Und wir dürfen uns nicht der optimiſtiſchen Hoffnung hingeben, daß mit der höchſtmöglichen Entfaltung wirtſchaftlicher Kultur bei uns die Arbeit gethan ſei und die Ausleſe im freien und „friedlichen“ ökonomiſchen Kampfe dem höher entwickelten Typus alsdann von ſelbſt zum Siege verhelfen werde. Nicht in erſter Linie für die Art der volkswirtſchaftlichen Organiſation, die wir ihnen überliefern, werden unſere Nachfahren uns vor der Geſchichte verantwortlich machen, ſondern für das Maß des Ellenbogenraums, den wir ihnen in der Welt erringen und hinterlaſſen. Machtkämpfe ſind in letzter Linie auch die ökonomiſchen Entwicklungsprozeſſe, die Machtintereſſen der Nation ſind, wo ſie in Frage geſtellt ſind, die letzten und entſcheidenden Jntereſſen, in deren Dienſt ihre Wirtſchaftspolitik ſich zu ſtellen hat, die Wiſſenſchaft von der Volkswirtſchaftspolitik iſt eine politiſche Wiſſenſchaft. Sie iſt eine Dienerin der Politik, nicht der Tagespolitik der jeweils herrſchenden Machthaber und Klaſſen, ſondern der dauernden machtpolitiſchen Jntereſſen der Nation. Und der Nationalſtaat iſt uns nicht ein unbeſtimmtes Etwas, welches man um ſo höher zu ſtellen glaubt, je mehr man ſein Weſen in myſtiſches Dunkel hüllt, ſondern die weltliche Macht- organiſation der Nation, und in dieſem Nationalſtaat iſt für uns der letzte Wertmaßſtab auch der volkswirtſchaftlichen Betrach- tung die „Staatsraiſon“. Sie bedeutet uns nicht, wie ein ſelt- ſames Mißverſtändnis glaubt: „Staatshülfe“ ſtatt der „Selbſt- hülfe“, ſtaatliche Reglementierung des Wirtſchaftslebens ſtatt des freien Spiels der wirtſchaftlichen Kräfte, ſondern wir wollen mit dieſem Schlagwort die Forderung erheben, daß für die Fragen 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-06T09:08:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T09:08:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T09:08:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Bogensignaturen: übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/25
Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/25>, abgerufen am 21.11.2024.