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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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nalist". Sie erinnern sich, jeder von Jhnen, der Dostojewski
kennt, der Szene mit dem Großinquisitor, wo das Problem
treffend auseinandergelegt ist. Es ist nicht möglich, Gesinnungs-
ethik und Verantwortungsethik unter einen Hut zu bringen oder
ethisch zu dekretieren: welcher Zweck welches Mittel heiligen
solle, wenn man diesem Prinzip überhaupt irgendwelche Kon-
zessionen macht.

Der von mir der zweifellosen Lauterkeit seiner Gesinnung
nach persönlich hochgeschätzte, als Politiker freilich unbedingt
abgelehnte Kollege F. W. Förster glaubt, in seinem Buche
um die Schwierigkeit herumzukommen durch die einfache These:
aus Gutem kann nur Gutes, aus Bösem nur Böses folgen.
Dann existierte freilich diese ganze Problematik nicht. Aber
es ist doch erstaunlich, daß 2500 Jahre nach den Upanischaden
eine solche These noch das Licht der Welt erblicken konnte.
Nicht nur der ganze Verlauf der Weltgeschichte, sondern jede
rückhaltlose Prüfung der Alltagserfahrung sagt ja das Gegen-
teil. Die Entwicklung aller Religionen der Erde beruht ja
darauf, daß das Gegenteil wahr ist. Das uralte Problem
der Theodicee ist ja die Frage: Wie kommt es, daß eine Macht,
die als zugleich allmächtig und gütig hingestellt wird, eine derartig
irrationale Welt des unverdienten Leidens, des ungestraften
Unrechts und der unverbesserlichen Dummheit hat erschaffen
können. Entweder ist sie das eine nicht oder das andere nicht,
oder es regieren gänzlich andere Ausgleichs- und Vergeltungs-
prinzipien das Leben, solche, die wir metaphysisch deuten können
oder auch solche, die unserer Deutung für immer entzogen sind.
Dies Problem: die Erfahrung von der Jrrationalität der
Welt war ja die treibende Kraft aller Religionsentwicklung.
Die indische Karmanlehre und der persische Dualismus, die
Erbsünde, die Prädestination und der Deus absconditus sind
alle aus dieser Erfahrung herausgewachsen. Auch die alten
Christen wußten sehr genau, daß die Welt von Dämonen
regiert sei, und daß, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht
und Gewaltsamkeit als Mitteln, sich einläßt, mit diabolischen
Mächten einen Pakt schließt, und daß für sein Handeln es
nicht wahr ist: daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur

naliſt“. Sie erinnern ſich, jeder von Jhnen, der Doſtojewſki
kennt, der Szene mit dem Großinquiſitor, wo das Problem
treffend auseinandergelegt iſt. Es iſt nicht möglich, Geſinnungs-
ethik und Verantwortungsethik unter einen Hut zu bringen oder
ethiſch zu dekretieren: welcher Zweck welches Mittel heiligen
ſolle, wenn man dieſem Prinzip überhaupt irgendwelche Kon-
zeſſionen macht.

Der von mir der zweifelloſen Lauterkeit ſeiner Geſinnung
nach perſönlich hochgeſchätzte, als Politiker freilich unbedingt
abgelehnte Kollege F. W. Förſter glaubt, in ſeinem Buche
um die Schwierigkeit herumzukommen durch die einfache Theſe:
aus Gutem kann nur Gutes, aus Böſem nur Böſes folgen.
Dann exiſtierte freilich dieſe ganze Problematik nicht. Aber
es iſt doch erſtaunlich, daß 2500 Jahre nach den Upaniſchaden
eine ſolche Theſe noch das Licht der Welt erblicken konnte.
Nicht nur der ganze Verlauf der Weltgeſchichte, ſondern jede
rückhaltloſe Prüfung der Alltagserfahrung ſagt ja das Gegen-
teil. Die Entwicklung aller Religionen der Erde beruht ja
darauf, daß das Gegenteil wahr iſt. Das uralte Problem
der Theodicee iſt ja die Frage: Wie kommt es, daß eine Macht,
die als zugleich allmächtig und gütig hingeſtellt wird, eine derartig
irrationale Welt des unverdienten Leidens, des ungeſtraften
Unrechts und der unverbeſſerlichen Dummheit hat erſchaffen
können. Entweder iſt ſie das eine nicht oder das andere nicht,
oder es regieren gänzlich andere Ausgleichs- und Vergeltungs-
prinzipien das Leben, ſolche, die wir metaphyſiſch deuten können
oder auch ſolche, die unſerer Deutung für immer entzogen ſind.
Dies Problem: die Erfahrung von der Jrrationalität der
Welt war ja die treibende Kraft aller Religionsentwicklung.
Die indiſche Karmanlehre und der perſiſche Dualismus, die
Erbsünde, die Prädeſtination und der Deus absconditus ſind
alle aus dieſer Erfahrung herausgewachſen. Auch die alten
Chriſten wußten ſehr genau, daß die Welt von Dämonen
regiert ſei, und daß, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht
und Gewaltſamkeit als Mitteln, ſich einläßt, mit diaboliſchen
Mächten einen Pakt ſchließt, und daß für ſein Handeln es
nicht wahr iſt: daß aus Gutem nur Gutes, aus Böſem nur

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[59/0059] naliſt“. Sie erinnern ſich, jeder von Jhnen, der Doſtojewſki kennt, der Szene mit dem Großinquiſitor, wo das Problem treffend auseinandergelegt iſt. Es iſt nicht möglich, Geſinnungs- ethik und Verantwortungsethik unter einen Hut zu bringen oder ethiſch zu dekretieren: welcher Zweck welches Mittel heiligen ſolle, wenn man dieſem Prinzip überhaupt irgendwelche Kon- zeſſionen macht. Der von mir der zweifelloſen Lauterkeit ſeiner Geſinnung nach perſönlich hochgeſchätzte, als Politiker freilich unbedingt abgelehnte Kollege F. W. Förſter glaubt, in ſeinem Buche um die Schwierigkeit herumzukommen durch die einfache Theſe: aus Gutem kann nur Gutes, aus Böſem nur Böſes folgen. Dann exiſtierte freilich dieſe ganze Problematik nicht. Aber es iſt doch erſtaunlich, daß 2500 Jahre nach den Upaniſchaden eine ſolche Theſe noch das Licht der Welt erblicken konnte. Nicht nur der ganze Verlauf der Weltgeſchichte, ſondern jede rückhaltloſe Prüfung der Alltagserfahrung ſagt ja das Gegen- teil. Die Entwicklung aller Religionen der Erde beruht ja darauf, daß das Gegenteil wahr iſt. Das uralte Problem der Theodicee iſt ja die Frage: Wie kommt es, daß eine Macht, die als zugleich allmächtig und gütig hingeſtellt wird, eine derartig irrationale Welt des unverdienten Leidens, des ungeſtraften Unrechts und der unverbeſſerlichen Dummheit hat erſchaffen können. Entweder iſt ſie das eine nicht oder das andere nicht, oder es regieren gänzlich andere Ausgleichs- und Vergeltungs- prinzipien das Leben, ſolche, die wir metaphyſiſch deuten können oder auch ſolche, die unſerer Deutung für immer entzogen ſind. Dies Problem: die Erfahrung von der Jrrationalität der Welt war ja die treibende Kraft aller Religionsentwicklung. Die indiſche Karmanlehre und der perſiſche Dualismus, die Erbsünde, die Prädeſtination und der Deus absconditus ſind alle aus dieſer Erfahrung herausgewachſen. Auch die alten Chriſten wußten ſehr genau, daß die Welt von Dämonen regiert ſei, und daß, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht und Gewaltſamkeit als Mitteln, ſich einläßt, mit diaboliſchen Mächten einen Pakt ſchließt, und daß für ſein Handeln es nicht wahr iſt: daß aus Gutem nur Gutes, aus Böſem nur

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/59>, abgerufen am 23.11.2024.