Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.sind, fast jeder eine andere Antwort bereit halten wird auf die Hat denn aber nun dieser in der okzidentalen Kultur durch ſind, faſt jeder eine andere Antwort bereit halten wird auf die Hat denn aber nun dieſer in der okzidentalen Kultur durch <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0015" n="16"/> ſind, faſt jeder eine andere Antwort bereit halten wird auf die<lb/> Frage: Wie macht das Geld es, daß man dafür etwas –<lb/> bald viel, bald wenig – kaufen kann? Wie der Wilde es<lb/> macht, um zu ſeiner täglichen Nahrung zu kommen, und welche<lb/> Jnſtitutionen ihm dabei dienen, das weiß er. Die zunehmende<lb/> Jntellektualiſierung und Rationaliſierung bedeutet alſo <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/> eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen,<lb/> unter denen man ſteht. Sondern ſie bedeutet etwas anderes:<lb/> das Wiſſen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn<lb/> man <hi rendition="#g">nur wollte</hi>, es jederzeit erfahren <hi rendition="#g">könnte</hi>, daß es alſo<lb/> prinzipiell keine geheimnisvollen <choice><sic>unberechenbare</sic><corr>unberechenbaren</corr></choice> Mächte gebe,<lb/> die da hineinſpielen, daß man vielmehr alle Dinge – im<lb/> Prinzip – durch <hi rendition="#g">Berechnen beherrſchen</hi> könne. Das<lb/> aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie<lb/> der Wilde, für den es ſolche Mächte gab, muß man zu<lb/> magiſchen Mitteln greifen, um die Geiſter zu beherrſchen oder<lb/> zu erbitten. Sondern techniſche Mittel und Berechnung leiſten<lb/> das. Dies vor allem bedeutet die Jntellektualiſierung als<lb/> ſolche.</p><lb/> <p>Hat denn aber nun dieſer in der okzidentalen Kultur durch<lb/> Jahrtauſende fortgeſetzte Entzauberungsprozeß und überhaupt:<lb/> dieſer „Fortſchritt“, dem die Wiſſenſchaft als Glied und Trieb-<lb/> kraft mit angehört, irgendeinen über dies rein Praktiſche und<lb/> Techniſche hinausgehenden Sinn? Aufgeworfen finden Sie<lb/> dieſe Frage am prinzipiellſten in den Werken Leo Tolſtojs.<lb/> Auf einem eigentümlichen Wege kam er dazu. Das ganze<lb/> Problem ſeines Grübelns drehte ſich zunehmend um die Frage:<lb/> ob der <hi rendition="#g">Tod</hi> eine ſinnvolle Erſcheinung ſei oder nicht. Und<lb/> die Antwort lautet bei ihm: für den Kulturmenſchen – nein.<lb/> Und zwar deshalb nicht, weil ja das ziviliſierte, in den „Fort-<lb/> ſchritt“, in das Unendliche hineingeſtellte einzelne Leben ſeinem<lb/> eigenen immanenten Sinn nach kein Ende haben dürfte. Denn<lb/> es liegt ja immer noch ein weiterer Fortſchritt vor dem, der<lb/> darin ſteht; niemand, der ſtirbt, ſteht auf der Höhe, welche<lb/> in der Unendlichkeit liegt. Abraham oder irgendein Bauer<lb/> der alten Zeit ſtarb „alt und lebensgeſättigt“, weil er im<lb/> organiſchen Kreiſlauf des Lebens ſtand, weil ſein Leben auch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0015]
ſind, faſt jeder eine andere Antwort bereit halten wird auf die
Frage: Wie macht das Geld es, daß man dafür etwas –
bald viel, bald wenig – kaufen kann? Wie der Wilde es
macht, um zu ſeiner täglichen Nahrung zu kommen, und welche
Jnſtitutionen ihm dabei dienen, das weiß er. Die zunehmende
Jntellektualiſierung und Rationaliſierung bedeutet alſo nicht
eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen,
unter denen man ſteht. Sondern ſie bedeutet etwas anderes:
das Wiſſen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn
man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es alſo
prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe,
die da hineinſpielen, daß man vielmehr alle Dinge – im
Prinzip – durch Berechnen beherrſchen könne. Das
aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie
der Wilde, für den es ſolche Mächte gab, muß man zu
magiſchen Mitteln greifen, um die Geiſter zu beherrſchen oder
zu erbitten. Sondern techniſche Mittel und Berechnung leiſten
das. Dies vor allem bedeutet die Jntellektualiſierung als
ſolche.
Hat denn aber nun dieſer in der okzidentalen Kultur durch
Jahrtauſende fortgeſetzte Entzauberungsprozeß und überhaupt:
dieſer „Fortſchritt“, dem die Wiſſenſchaft als Glied und Trieb-
kraft mit angehört, irgendeinen über dies rein Praktiſche und
Techniſche hinausgehenden Sinn? Aufgeworfen finden Sie
dieſe Frage am prinzipiellſten in den Werken Leo Tolſtojs.
Auf einem eigentümlichen Wege kam er dazu. Das ganze
Problem ſeines Grübelns drehte ſich zunehmend um die Frage:
ob der Tod eine ſinnvolle Erſcheinung ſei oder nicht. Und
die Antwort lautet bei ihm: für den Kulturmenſchen – nein.
Und zwar deshalb nicht, weil ja das ziviliſierte, in den „Fort-
ſchritt“, in das Unendliche hineingeſtellte einzelne Leben ſeinem
eigenen immanenten Sinn nach kein Ende haben dürfte. Denn
es liegt ja immer noch ein weiterer Fortſchritt vor dem, der
darin ſteht; niemand, der ſtirbt, ſteht auf der Höhe, welche
in der Unendlichkeit liegt. Abraham oder irgendein Bauer
der alten Zeit ſtarb „alt und lebensgeſättigt“, weil er im
organiſchen Kreiſlauf des Lebens ſtand, weil ſein Leben auch
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