Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
Ilse. Du hast Recht. Ach wie die Zeit vergeht, wenn
man Geld verdient! -- Weißt du noch, wie wir Räuber spielten
-- Wendla Bergmann und du und ich und die Andern,
wenn ihr Abends herauskamt und kuhwarme Ziegenmilch bei
uns trankt? -- Was macht Wendla? Ich sah' sie noch bei der
Ueberschwemmung. -- Was macht Melchi Gabor? -- Schaut
er noch so tiefsinnig drein? -- In der Singstunde standen wir
einander gegenüber.
Moritz. Er philosophirt.
Ilse. Wendla war derweil bei uns und hat der Mutter
Eingemachtes gebracht. Ich saß den Tag bei Isidor Landauer.
Er braucht mich zur heiligen Maria, Mutter Gottes, mit dem
Christuskind. Er ist ein Tropf aber widerlich. Hu, wie ein
Wetterhahn! -- Hast du Katzenjammer?
Moritz. Von gestern Abend! -- Wir haben wie Nilpferde
gezecht. Um fünf Uhr wankt' ich nach Hause.
Ilse. Man braucht dich nur anzuseh'n! -- Waren Mäd-
chen dabei?
Moritz. Arabella, die Biernymphe, Andalusierin! -- Der
Wirth ließ uns die ganze Nacht durch mit ihr allein.
Ilse. Man braucht dich nur anzusehen, Moritz! --
Ich kenne keinen Katzenjammer. Vergangenen Carneval kam
ich drei Tage und drei Nächte in kein Bett und nicht aus den
Kleidern. Von der Redoute in's Cafe, Mittags in Ballavista,
Abends Tingl-Tangl, Nachts zur Redoute. Lena war dabei und
die dicke Viola. -- In der dritten Nacht fand mich Heinrich.
Moritz. Hatte er dich gesucht?
Ilse. Er war über meinen Arm gestolpert. Ich lag
bewußtlos im Straßenschnee. -- Darauf kam ich zu ihm hin.
Vierzehn Tage verließ ich seine Behausung nicht -- eine gräuliche
Ilſe. Du haſt Recht. Ach wie die Zeit vergeht, wenn
man Geld verdient! — Weißt du noch, wie wir Räuber ſpielten
Wendla Bergmann und du und ich und die Andern,
wenn ihr Abends herauskamt und kuhwarme Ziegenmilch bei
uns trankt? — Was macht Wendla? Ich ſah' ſie noch bei der
Ueberſchwemmung. — Was macht Melchi Gabor? — Schaut
er noch ſo tiefſinnig drein? — In der Singſtunde ſtanden wir
einander gegenüber.
Moritz. Er philoſophirt.
Ilſe. Wendla war derweil bei uns und hat der Mutter
Eingemachtes gebracht. Ich ſaß den Tag bei Iſidor Landauer.
Er braucht mich zur heiligen Maria, Mutter Gottes, mit dem
Chriſtuskind. Er iſt ein Tropf aber widerlich. Hu, wie ein
Wetterhahn! — Haſt du Katzenjammer?
Moritz. Von geſtern Abend! — Wir haben wie Nilpferde
gezecht. Um fünf Uhr wankt' ich nach Hauſe.
Ilſe. Man braucht dich nur anzuſeh'n! — Waren Mäd-
chen dabei?
Moritz. Arabella, die Biernymphe, Andaluſierin! — Der
Wirth ließ uns die ganze Nacht durch mit ihr allein.
Ilſe. Man braucht dich nur anzuſehen, Moritz! —
Ich kenne keinen Katzenjammer. Vergangenen Carneval kam
ich drei Tage und drei Nächte in kein Bett und nicht aus den
Kleidern. Von der Redoute in's Café, Mittags in Ballaviſta,
Abends Tingl-Tangl, Nachts zur Redoute. Lena war dabei und
die dicke Viola. — In der dritten Nacht fand mich Heinrich.
Moritz. Hatte er dich geſucht?
Ilſe. Er war über meinen Arm geſtolpert. Ich lag
bewußtlos im Straßenſchnee. — Darauf kam ich zu ihm hin.
Vierzehn Tage verließ ich ſeine Behauſung nicht — eine gräuliche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0062" n="46"/>
          <sp who="#ILS">
            <speaker><hi rendition="#g">Il&#x017F;e</hi>.</speaker>
            <p>Du ha&#x017F;t Recht. Ach wie die Zeit vergeht, wenn<lb/>
man Geld verdient! &#x2014; Weißt du noch, wie wir <hi rendition="#g">Räuber</hi> &#x017F;pielten<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#g">Wendla Bergmann</hi> und du und ich und die Andern,<lb/>
wenn ihr Abends herauskamt und kuhwarme Ziegenmilch bei<lb/>
uns trankt? &#x2014; Was macht <hi rendition="#g">Wendla</hi>? Ich &#x017F;ah' &#x017F;ie noch bei der<lb/>
Ueber&#x017F;chwemmung. &#x2014; Was macht <hi rendition="#g">Melchi Gabor</hi>? &#x2014; Schaut<lb/>
er noch &#x017F;o tief&#x017F;innig drein? &#x2014; In der Sing&#x017F;tunde &#x017F;tanden wir<lb/>
einander gegenüber.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOR">
            <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker>
            <p>Er philo&#x017F;ophirt.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ILS">
            <speaker><hi rendition="#g">Il&#x017F;e</hi>.</speaker>
            <p><hi rendition="#g">Wendla</hi> war derweil bei uns und hat der Mutter<lb/>
Eingemachtes gebracht. Ich &#x017F;aß den Tag bei I&#x017F;idor Landauer.<lb/>
Er braucht mich zur heiligen Maria, Mutter Gottes, mit dem<lb/>
Chri&#x017F;tuskind. Er i&#x017F;t ein Tropf aber widerlich. Hu, wie ein<lb/>
Wetterhahn! &#x2014; Ha&#x017F;t du Katzenjammer?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOR">
            <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker>
            <p>Von ge&#x017F;tern Abend! &#x2014; Wir haben wie Nilpferde<lb/>
gezecht. Um fünf Uhr wankt' ich nach Hau&#x017F;e.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ILS">
            <speaker><hi rendition="#g">Il&#x017F;e</hi>.</speaker>
            <p>Man braucht dich nur anzu&#x017F;eh'n! &#x2014; Waren Mäd-<lb/>
chen dabei?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOR">
            <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker>
            <p>Arabella, die Biernymphe, Andalu&#x017F;ierin! &#x2014; Der<lb/>
Wirth ließ uns die ganze Nacht durch mit ihr allein.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ILS">
            <speaker><hi rendition="#g">Il&#x017F;e</hi>.</speaker>
            <p>Man braucht dich nur anzu&#x017F;ehen, Moritz! &#x2014;<lb/>
Ich kenne keinen Katzenjammer. Vergangenen Carneval kam<lb/>
ich drei Tage und drei Nächte in kein Bett und nicht aus den<lb/>
Kleidern. Von der Redoute in's Caf<hi rendition="#aq">é</hi>, Mittags in Ballavi&#x017F;ta,<lb/>
Abends Tingl-Tangl, Nachts zur Redoute. <hi rendition="#g">Lena</hi> war dabei und<lb/>
die dicke <hi rendition="#g">Viola</hi>. &#x2014; In der dritten Nacht fand mich <hi rendition="#g">Heinrich</hi>.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOR">
            <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker>
            <p>Hatte er dich ge&#x017F;ucht?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ILS">
            <speaker><hi rendition="#g">Il&#x017F;e</hi>.</speaker>
            <p>Er war über meinen Arm ge&#x017F;tolpert. Ich lag<lb/>
bewußtlos im Straßen&#x017F;chnee. &#x2014; Darauf kam ich zu ihm hin.<lb/>
Vierzehn Tage verließ ich &#x017F;eine Behau&#x017F;ung nicht &#x2014; eine gräuliche<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0062] Ilſe. Du haſt Recht. Ach wie die Zeit vergeht, wenn man Geld verdient! — Weißt du noch, wie wir Räuber ſpielten — Wendla Bergmann und du und ich und die Andern, wenn ihr Abends herauskamt und kuhwarme Ziegenmilch bei uns trankt? — Was macht Wendla? Ich ſah' ſie noch bei der Ueberſchwemmung. — Was macht Melchi Gabor? — Schaut er noch ſo tiefſinnig drein? — In der Singſtunde ſtanden wir einander gegenüber. Moritz. Er philoſophirt. Ilſe. Wendla war derweil bei uns und hat der Mutter Eingemachtes gebracht. Ich ſaß den Tag bei Iſidor Landauer. Er braucht mich zur heiligen Maria, Mutter Gottes, mit dem Chriſtuskind. Er iſt ein Tropf aber widerlich. Hu, wie ein Wetterhahn! — Haſt du Katzenjammer? Moritz. Von geſtern Abend! — Wir haben wie Nilpferde gezecht. Um fünf Uhr wankt' ich nach Hauſe. Ilſe. Man braucht dich nur anzuſeh'n! — Waren Mäd- chen dabei? Moritz. Arabella, die Biernymphe, Andaluſierin! — Der Wirth ließ uns die ganze Nacht durch mit ihr allein. Ilſe. Man braucht dich nur anzuſehen, Moritz! — Ich kenne keinen Katzenjammer. Vergangenen Carneval kam ich drei Tage und drei Nächte in kein Bett und nicht aus den Kleidern. Von der Redoute in's Café, Mittags in Ballaviſta, Abends Tingl-Tangl, Nachts zur Redoute. Lena war dabei und die dicke Viola. — In der dritten Nacht fand mich Heinrich. Moritz. Hatte er dich geſucht? Ilſe. Er war über meinen Arm geſtolpert. Ich lag bewußtlos im Straßenſchnee. — Darauf kam ich zu ihm hin. Vierzehn Tage verließ ich ſeine Behauſung nicht — eine gräuliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/62
Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/62>, abgerufen am 23.11.2024.