Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
Ruprecht. Du Schweinethier?
Helmuth. Galgenvogel!!
Ruprecht (schlägt ihn in's Gesicht). -- Da! (rennt davon).
Helmuth (ihm nachrennend). Den schlag ich todt!
Die Uebrigen (rennen hinterdrein). Hetz, Packan! Hetz! Hetz! Hetz!
Melchior (allein, gegen das Fenster gewandt). -- Da geht der
Blitzableiter hinunter. -- Man muß ein Taschentuch drumwickeln.
-- Wenn ich an sie denke, schießt mir immer das Blut in den
Kopf. Und Moritz liegt mir wie Blei in den Füßen. -- -- --
Ich gehe zur Redaktion: Bezahlen Sie mich per Hundert; ich
kolportire! -- sammle Tagesneuigkeiten -- schreibe -- lokal -- --
ethisch -- -- psychophysisch ... man verhungert nicht mehr so
leicht. Volksküche, Cafe Temperence. -- Das Haus ist sechzig
Fuß hoch und der Verputz bröckelt ab ... Sie haßt mich -- sie
haßt mich, weil ich sie der Freiheit beraubt. Handle ich, wie ich
will, es bleibt Vergewaltigung. -- Ich darf einzig hoffen, im
Laufe der Jahre allmählig ... Ueber acht Tage ist Neumond.
Morgen schmiere ich die Angeln. Bis Sonnabend muß ich unter
allen Umständen wissen, wer den Schlüssel hat. -- Sonntag Abend
in der Andacht kateleptischer Anfall -- will's Gott, wird sonst
niemand krank! -- Alles liegt so klar, als wär' es geschehen,
vor mir. Ueber das Fenstergesims gelang ich mit Leichtigkeit --
ein Schwung -- ein Griff -- aber man muß ein Taschentuch
drumwickeln. -- -- Da kommt der Großinquisitor.
(Ab nach links.)
(Dr. Prokrustes mit einem Schlossermeister von rechts.)
Dr. Prokrustes. ... Die Fenster liegen zwar im dritten
Stock und unten sind Brennnesseln gepflanzt. Aber was kümmert
sich die Entartung um Brennnesseln. -- Vergangenen Winter
stieg uns einer zur Dachluke hinaus und wir hatten die ganze
Schererei mit dem Abholen, Hinbringen und Beisetzen ...
Ruprecht. Du Schweinethier?
Helmuth. Galgenvogel!!
Ruprecht (ſchlägt ihn in's Geſicht). — Da! (rennt davon).
Helmuth (ihm nachrennend). Den ſchlag ich todt!
Die Uebrigen (rennen hinterdrein). Hetz, Packan! Hetz! Hetz! Hetz!
Melchior (allein, gegen das Fenſter gewandt). — Da geht der
Blitzableiter hinunter. — Man muß ein Taſchentuch drumwickeln.
— Wenn ich an ſie denke, ſchießt mir immer das Blut in den
Kopf. Und Moritz liegt mir wie Blei in den Füßen. — — —
Ich gehe zur Redaktion: Bezahlen Sie mich per Hundert; ich
kolportire! — ſammle Tagesneuigkeiten — ſchreibe — lokal — —
ethiſch — — pſychophyſiſch … man verhungert nicht mehr ſo
leicht. Volksküche, Café Temperence. — Das Haus iſt ſechzig
Fuß hoch und der Verputz bröckelt ab … Sie haßt mich — ſie
haßt mich, weil ich ſie der Freiheit beraubt. Handle ich, wie ich
will, es bleibt Vergewaltigung. — Ich darf einzig hoffen, im
Laufe der Jahre allmählig … Ueber acht Tage iſt Neumond.
Morgen ſchmiere ich die Angeln. Bis Sonnabend muß ich unter
allen Umſtänden wiſſen, wer den Schlüſſel hat. — Sonntag Abend
in der Andacht kateleptiſcher Anfall — will's Gott, wird ſonſt
niemand krank! — Alles liegt ſo klar, als wär' es geſchehen,
vor mir. Ueber das Fenſtergeſims gelang ich mit Leichtigkeit —
ein Schwung — ein Griff — aber man muß ein Taſchentuch
drumwickeln. — — Da kommt der Großinquiſitor.
(Ab nach links.)
(Dr. Prokruſtes mit einem Schloſſermeiſter von rechts.)
Dr. Prokruſtes. … Die Fenſter liegen zwar im dritten
Stock und unten ſind Brennneſſeln gepflanzt. Aber was kümmert
ſich die Entartung um Brennneſſeln. — Vergangenen Winter
ſtieg uns einer zur Dachluke hinaus und wir hatten die ganze
Schererei mit dem Abholen, Hinbringen und Beiſetzen …
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0084" n="68"/>
          <sp who="#RUP">
            <speaker><hi rendition="#g">Ruprecht</hi>.</speaker>
            <p>Du Schweinethier?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#HEL">
            <speaker><hi rendition="#g">Helmuth</hi>.</speaker>
            <p>Galgenvogel!!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#RUP">
            <speaker> <hi rendition="#g">Ruprecht</hi> </speaker>
            <stage>(&#x017F;chlägt ihn in's Ge&#x017F;icht).</stage>
            <p>&#x2014; Da!</p>
            <stage>(rennt davon).</stage>
          </sp><lb/>
          <sp who="#HEL">
            <speaker> <hi rendition="#g">Helmuth</hi> </speaker>
            <stage>(ihm nachrennend).</stage>
            <p>Den &#x017F;chlag ich todt!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UEB">
            <speaker> <hi rendition="#g">Die Uebrigen</hi> </speaker>
            <stage>(rennen hinterdrein).</stage>
            <p>Hetz, Packan! Hetz! Hetz! Hetz!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MEL">
            <speaker> <hi rendition="#g">Melchior</hi> </speaker>
            <stage>(allein, gegen das Fen&#x017F;ter gewandt).</stage>
            <p>&#x2014; Da geht der<lb/>
Blitzableiter hinunter. &#x2014; Man muß ein Ta&#x017F;chentuch drumwickeln.<lb/>
&#x2014; Wenn ich an <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> denke, &#x017F;chießt mir immer das Blut in den<lb/>
Kopf. Und Moritz liegt mir wie Blei in den Füßen. &#x2014; &#x2014; &#x2014;<lb/>
Ich gehe zur Redaktion: Bezahlen Sie mich per Hundert; ich<lb/>
kolportire! &#x2014; &#x017F;ammle Tagesneuigkeiten &#x2014; &#x017F;chreibe &#x2014; lokal &#x2014; &#x2014;<lb/>
ethi&#x017F;ch &#x2014; &#x2014; p&#x017F;ychophy&#x017F;i&#x017F;ch &#x2026; man verhungert nicht mehr &#x017F;o<lb/>
leicht. Volksküche, Caf<hi rendition="#aq">é</hi> Temperence. &#x2014; Das Haus i&#x017F;t &#x017F;echzig<lb/>
Fuß hoch und der Verputz bröckelt ab &#x2026; Sie haßt mich &#x2014; &#x017F;ie<lb/>
haßt mich, weil ich &#x017F;ie der Freiheit beraubt. Handle ich, wie ich<lb/>
will, es bleibt Vergewaltigung. &#x2014; Ich darf einzig hoffen, im<lb/>
Laufe der Jahre allmählig &#x2026; Ueber acht Tage i&#x017F;t Neumond.<lb/>
Morgen &#x017F;chmiere ich die Angeln. Bis Sonnabend muß ich unter<lb/>
allen Um&#x017F;tänden wi&#x017F;&#x017F;en, wer den Schlü&#x017F;&#x017F;el hat. &#x2014; Sonntag Abend<lb/>
in der Andacht katelepti&#x017F;cher Anfall &#x2014; will's Gott, wird &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
niemand krank! &#x2014; Alles liegt &#x017F;o klar, als wär' es ge&#x017F;chehen,<lb/>
vor mir. Ueber das Fen&#x017F;terge&#x017F;ims gelang ich mit Leichtigkeit &#x2014;<lb/>
ein Schwung &#x2014; ein Griff &#x2014; aber man muß ein Ta&#x017F;chentuch<lb/>
drumwickeln. &#x2014; &#x2014; Da kommt der Großinqui&#x017F;itor.</p>
            <stage>(Ab nach links.)</stage><lb/>
            <stage>(<hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Prokru&#x017F;tes</hi> mit einem <hi rendition="#g">Schlo&#x017F;&#x017F;ermei&#x017F;ter</hi> von rechts.)</stage>
          </sp><lb/>
          <sp who="#PRO ">
            <speaker><hi rendition="#aq">Dr.</hi><hi rendition="#g">Prokru&#x017F;tes</hi>.</speaker>
            <p>&#x2026; Die Fen&#x017F;ter liegen zwar im dritten<lb/>
Stock und unten &#x017F;ind Brennne&#x017F;&#x017F;eln gepflanzt. Aber was kümmert<lb/>
&#x017F;ich die Entartung um Brennne&#x017F;&#x017F;eln. &#x2014; Vergangenen Winter<lb/>
&#x017F;tieg uns einer zur Dachluke hinaus und wir hatten die ganze<lb/>
Schererei mit dem Abholen, Hinbringen und Bei&#x017F;etzen &#x2026;</p>
          </sp><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0084] Ruprecht. Du Schweinethier? Helmuth. Galgenvogel!! Ruprecht (ſchlägt ihn in's Geſicht). — Da! (rennt davon). Helmuth (ihm nachrennend). Den ſchlag ich todt! Die Uebrigen (rennen hinterdrein). Hetz, Packan! Hetz! Hetz! Hetz! Melchior (allein, gegen das Fenſter gewandt). — Da geht der Blitzableiter hinunter. — Man muß ein Taſchentuch drumwickeln. — Wenn ich an ſie denke, ſchießt mir immer das Blut in den Kopf. Und Moritz liegt mir wie Blei in den Füßen. — — — Ich gehe zur Redaktion: Bezahlen Sie mich per Hundert; ich kolportire! — ſammle Tagesneuigkeiten — ſchreibe — lokal — — ethiſch — — pſychophyſiſch … man verhungert nicht mehr ſo leicht. Volksküche, Café Temperence. — Das Haus iſt ſechzig Fuß hoch und der Verputz bröckelt ab … Sie haßt mich — ſie haßt mich, weil ich ſie der Freiheit beraubt. Handle ich, wie ich will, es bleibt Vergewaltigung. — Ich darf einzig hoffen, im Laufe der Jahre allmählig … Ueber acht Tage iſt Neumond. Morgen ſchmiere ich die Angeln. Bis Sonnabend muß ich unter allen Umſtänden wiſſen, wer den Schlüſſel hat. — Sonntag Abend in der Andacht kateleptiſcher Anfall — will's Gott, wird ſonſt niemand krank! — Alles liegt ſo klar, als wär' es geſchehen, vor mir. Ueber das Fenſtergeſims gelang ich mit Leichtigkeit — ein Schwung — ein Griff — aber man muß ein Taſchentuch drumwickeln. — — Da kommt der Großinquiſitor. (Ab nach links.) (Dr. Prokruſtes mit einem Schloſſermeiſter von rechts.) Dr. Prokruſtes. … Die Fenſter liegen zwar im dritten Stock und unten ſind Brennneſſeln gepflanzt. Aber was kümmert ſich die Entartung um Brennneſſeln. — Vergangenen Winter ſtieg uns einer zur Dachluke hinaus und wir hatten die ganze Schererei mit dem Abholen, Hinbringen und Beiſetzen …

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/84
Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/84>, abgerufen am 09.11.2024.