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Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

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Der Rock in Fetzen, die Taschen leer -- vor dem Harmlosesten
bin ich nicht sicher. -- Tagsüber muß ich im Walde weiter zu
kommen suchen. ...

Ein Kreuz habe ich niedergestampft. -- Die Blümchen
wären heut' noch erfroren! -- Ringsum ist die Erde kahl. ...

Im Todtenreich! --
Aus der Dachluke zu klettern war so schwer nicht wie dieser
Weg! -- Darauf nur war ich nicht gefaßt gewesen. ...

Ich hänge über dem Abgrund -- alles versunken, ver-
schwunden -- O wär' ich dort geblieben!

Warum sie um meinetwillen! -- Warum nicht der Ver-
schuldete! -- Unfaßbare Vorsicht! -- Ich hätte Steine geklopft
und gehungert ...!

Was hält mich noch aufrecht? -- Verbrechen folgt auf
Verbrechen. Ich bin dem Morast überantwortet. Nicht so viel
Kraft mehr, um abzuschließen. ...

Ich war nicht schlecht! -- Ich war nicht schlecht! -- Ich
war nicht schlecht. ...

-- So neiderfüllt ist noch kein Sterblicher über Gräber
gewandelt. -- Pah -- ich brächte ja den Muth nicht auf! -- O,
wenn mich Wahnsinn umfinge -- in dieser Nacht noch!

Ich muß drüben unter den Letzten suchen! -- Der Wind
pfeift auf jedem Stein aus einer anderen Tonart -- eine
beklemmende Symphonie! -- Die morschen Kränze reißen entzwei
und baumeln an ihren langen Fäden stückweise um die Marmor-
kreuze -- ein Wald von Vogelscheuchen! -- Vogelscheuchen auf
allen Gräbern, eine gräulicher als die andere -- haushohe, vor
denen die Teufel Reißaus nehmen. -- Die goldenen Lettern blinken
so kalt. ... Die Trauerweide ächzt auf und fährt mit Riesen-
fingern über die Inschrift. ...

-- Ein betendes Engelskind -- Eine Tafel --
Der Rock in Fetzen, die Taſchen leer — vor dem Harmloſeſten
bin ich nicht ſicher. — Tagsüber muß ich im Walde weiter zu
kommen ſuchen. …

Ein Kreuz habe ich niedergeſtampft. — Die Blümchen
wären heut' noch erfroren! — Ringsum iſt die Erde kahl. …

Im Todtenreich! —
Aus der Dachluke zu klettern war ſo ſchwer nicht wie dieſer
Weg! — Darauf nur war ich nicht gefaßt geweſen. …

Ich hänge über dem Abgrund — alles verſunken, ver-
ſchwunden — O wär' ich dort geblieben!

Warum ſie um meinetwillen! — Warum nicht der Ver-
ſchuldete! — Unfaßbare Vorſicht! — Ich hätte Steine geklopft
und gehungert …!

Was hält mich noch aufrecht? — Verbrechen folgt auf
Verbrechen. Ich bin dem Moraſt überantwortet. Nicht ſo viel
Kraft mehr, um abzuſchließen. …

Ich war nicht ſchlecht! — Ich war nicht ſchlecht! — Ich
war nicht ſchlecht. …

— So neiderfüllt iſt noch kein Sterblicher über Gräber
gewandelt. — Pah — ich brächte ja den Muth nicht auf! — O,
wenn mich Wahnſinn umfinge — in dieſer Nacht noch!

Ich muß drüben unter den Letzten ſuchen! — Der Wind
pfeift auf jedem Stein aus einer anderen Tonart — eine
beklemmende Symphonie! — Die morſchen Kränze reißen entzwei
und baumeln an ihren langen Fäden ſtückweiſe um die Marmor-
kreuze — ein Wald von Vogelſcheuchen! — Vogelſcheuchen auf
allen Gräbern, eine gräulicher als die andere — haushohe, vor
denen die Teufel Reißaus nehmen. — Die goldenen Lettern blinken
ſo kalt. … Die Trauerweide ächzt auf und fährt mit Rieſen-
fingern über die Inſchrift. …

— Ein betendes Engelskind — Eine Tafel —
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[76/0092] Der Rock in Fetzen, die Taſchen leer — vor dem Harmloſeſten bin ich nicht ſicher. — Tagsüber muß ich im Walde weiter zu kommen ſuchen. … Ein Kreuz habe ich niedergeſtampft. — Die Blümchen wären heut' noch erfroren! — Ringsum iſt die Erde kahl. … Im Todtenreich! — Aus der Dachluke zu klettern war ſo ſchwer nicht wie dieſer Weg! — Darauf nur war ich nicht gefaßt geweſen. … Ich hänge über dem Abgrund — alles verſunken, ver- ſchwunden — O wär' ich dort geblieben! Warum ſie um meinetwillen! — Warum nicht der Ver- ſchuldete! — Unfaßbare Vorſicht! — Ich hätte Steine geklopft und gehungert …! Was hält mich noch aufrecht? — Verbrechen folgt auf Verbrechen. Ich bin dem Moraſt überantwortet. Nicht ſo viel Kraft mehr, um abzuſchließen. … Ich war nicht ſchlecht! — Ich war nicht ſchlecht! — Ich war nicht ſchlecht. … — So neiderfüllt iſt noch kein Sterblicher über Gräber gewandelt. — Pah — ich brächte ja den Muth nicht auf! — O, wenn mich Wahnſinn umfinge — in dieſer Nacht noch! Ich muß drüben unter den Letzten ſuchen! — Der Wind pfeift auf jedem Stein aus einer anderen Tonart — eine beklemmende Symphonie! — Die morſchen Kränze reißen entzwei und baumeln an ihren langen Fäden ſtückweiſe um die Marmor- kreuze — ein Wald von Vogelſcheuchen! — Vogelſcheuchen auf allen Gräbern, eine gräulicher als die andere — haushohe, vor denen die Teufel Reißaus nehmen. — Die goldenen Lettern blinken ſo kalt. … Die Trauerweide ächzt auf und fährt mit Rieſen- fingern über die Inſchrift. … — Ein betendes Engelskind — Eine Tafel —

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/92>, abgerufen am 09.11.2024.