Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].

Bild:
<< vorherige Seite
schon zu lang, auch für unsere Pariser Verhältnisse.
Einem gesunden jungen Menschen ruinierst Du nur das
Nervensystem. Um so vorteilhafter eignest Du Dich für
die Stellung, die ich Dir ausgesucht habe.
Lulu. Du bist verrückt. -- Habe ich Dich gebeten,
mir eine Stellung zu verschaffen?
Casti Piani. Ich sagte Dir doch, daß ich Stellen-
vermittlungsagent bin.
Lulu. Du sagtest mir, Du seiest Polizeispion.
Casti Piani. Davon allein kann man nicht leben.
Ursprünglich war ich Stellenvermittlungsagent, bis ich
über ein Pfarrerstöchterchen stolperte, dem ich eine Stellung
in Val Paraiso verschafft hatte. Das Holdchen hatte
sich in seinen kindlichen Träumen das Leben noch berau-
schender vorgestellt und beklagte sich bei Mama. Darauf
wurde ich festgesetzt. Durch charaktervolles Benehmen
gewann ich mir aber rasch das Vertrauen der Kriminal-
polizei. Mit einem Monatswechsel von hundertfünfzig
Mark schickte man mich hierher, weil man wegen der
ewigen Bombenattentate unser hiesiges Kontingent ver-
dreifachte. Aber wer kommt hier mit hundertfünfund-
achtzig Franks im Monat aus? -- Meine Kollegen
lassen sich von Kokotten aushalten. Mir lag es natürlich
näher, meinen früheren Beruf wieder aufzunehmen. Die
Französin geht, wenn sie das Herz auf dem rechten Fleck
hat, allerdings nicht ins Ausland. Aber von den un-
zähligen Abenteurerinnen, die sich hier aus den besten
Familien der ganzen Welt zusammenfinden, habe ich
schon manches lebenshungrige junge Geschöpf an den
Ort seiner natürlichen Bestimmung befördert.
Lulu. Ich tauge nicht für diesen Beruf.
Casti Piani. Deine Ansichten über diese Frage
sind mir vollkommen gleichgültig. Die Staatsanwaltschaft
3*
ſchon zu lang, auch für unſere Pariſer Verhältniſſe.
Einem geſunden jungen Menſchen ruinierſt Du nur das
Nervenſyſtem. Um ſo vorteilhafter eigneſt Du Dich für
die Stellung, die ich Dir ausgeſucht habe.
Lulu. Du biſt verrückt. — Habe ich Dich gebeten,
mir eine Stellung zu verſchaffen?
Caſti Piani. Ich ſagte Dir doch, daß ich Stellen-
vermittlungsagent bin.
Lulu. Du ſagteſt mir, Du ſeieſt Polizeiſpion.
Caſti Piani. Davon allein kann man nicht leben.
Urſprünglich war ich Stellenvermittlungsagent, bis ich
über ein Pfarrerstöchterchen ſtolperte, dem ich eine Stellung
in Val Paraiſo verſchafft hatte. Das Holdchen hatte
ſich in ſeinen kindlichen Träumen das Leben noch berau-
ſchender vorgeſtellt und beklagte ſich bei Mama. Darauf
wurde ich feſtgeſetzt. Durch charaktervolles Benehmen
gewann ich mir aber raſch das Vertrauen der Kriminal-
polizei. Mit einem Monatswechſel von hundertfünfzig
Mark ſchickte man mich hierher, weil man wegen der
ewigen Bombenattentate unſer hieſiges Kontingent ver-
dreifachte. Aber wer kommt hier mit hundertfünfund-
achtzig Franks im Monat aus? — Meine Kollegen
laſſen ſich von Kokotten aushalten. Mir lag es natürlich
näher, meinen früheren Beruf wieder aufzunehmen. Die
Franzöſin geht, wenn ſie das Herz auf dem rechten Fleck
hat, allerdings nicht ins Ausland. Aber von den un-
zähligen Abenteurerinnen, die ſich hier aus den beſten
Familien der ganzen Welt zuſammenfinden, habe ich
ſchon manches lebenshungrige junge Geſchöpf an den
Ort ſeiner natürlichen Beſtimmung befördert.
Lulu. Ich tauge nicht für dieſen Beruf.
Caſti Piani. Deine Anſichten über dieſe Frage
ſind mir vollkommen gleichgültig. Die Staatsanwaltſchaft
3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#PIA">
          <p><pb facs="#f0043" n="35"/>
&#x017F;chon zu lang, auch für un&#x017F;ere Pari&#x017F;er Verhältni&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Einem ge&#x017F;unden jungen Men&#x017F;chen ruinier&#x017F;t Du nur das<lb/>
Nerven&#x017F;y&#x017F;tem. Um &#x017F;o vorteilhafter eigne&#x017F;t Du Dich für<lb/>
die Stellung, die ich Dir ausge&#x017F;ucht habe.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LUL">
          <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker>
          <p>Du bi&#x017F;t verrückt. &#x2014; Habe ich Dich gebeten,<lb/>
mir eine Stellung zu ver&#x017F;chaffen?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#PIA">
          <speaker><hi rendition="#g">Ca&#x017F;ti Piani</hi>.</speaker>
          <p>Ich &#x017F;agte Dir doch, daß ich Stellen-<lb/>
vermittlungsagent bin.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LUL">
          <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker>
          <p>Du &#x017F;agte&#x017F;t mir, Du &#x017F;eie&#x017F;t Polizei&#x017F;pion.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#PIA">
          <speaker><hi rendition="#g">Ca&#x017F;ti Piani</hi>.</speaker>
          <p>Davon allein kann man nicht leben.<lb/>
Ur&#x017F;prünglich war ich Stellenvermittlungsagent, bis ich<lb/>
über ein Pfarrerstöchterchen &#x017F;tolperte, dem ich eine Stellung<lb/>
in Val Parai&#x017F;o ver&#x017F;chafft hatte. Das Holdchen hatte<lb/>
&#x017F;ich in &#x017F;einen kindlichen Träumen das Leben noch berau-<lb/>
&#x017F;chender vorge&#x017F;tellt und beklagte &#x017F;ich bei Mama. Darauf<lb/>
wurde ich fe&#x017F;tge&#x017F;etzt. Durch charaktervolles Benehmen<lb/>
gewann ich mir aber ra&#x017F;ch das Vertrauen der Kriminal-<lb/>
polizei. Mit einem Monatswech&#x017F;el von hundertfünfzig<lb/>
Mark &#x017F;chickte man mich hierher, weil man wegen der<lb/>
ewigen Bombenattentate un&#x017F;er hie&#x017F;iges Kontingent ver-<lb/>
dreifachte. Aber wer kommt hier mit hundertfünfund-<lb/>
achtzig Franks im Monat aus? &#x2014; Meine Kollegen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich von Kokotten aushalten. Mir lag es natürlich<lb/>
näher, meinen früheren Beruf wieder aufzunehmen. Die<lb/>
Franzö&#x017F;in geht, wenn &#x017F;ie das Herz auf dem rechten Fleck<lb/>
hat, allerdings nicht ins Ausland. Aber von den un-<lb/>
zähligen Abenteurerinnen, die &#x017F;ich hier aus den be&#x017F;ten<lb/>
Familien der ganzen Welt zu&#x017F;ammenfinden, habe ich<lb/>
&#x017F;chon manches lebenshungrige junge Ge&#x017F;chöpf an den<lb/>
Ort &#x017F;einer natürlichen Be&#x017F;timmung befördert.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LUL">
          <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker>
          <p>Ich tauge nicht für die&#x017F;en Beruf.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#PIA">
          <speaker><hi rendition="#g">Ca&#x017F;ti Piani</hi>.</speaker>
          <p>Deine An&#x017F;ichten über die&#x017F;e Frage<lb/>
&#x017F;ind mir vollkommen gleichgültig. Die Staatsanwalt&#x017F;chaft<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3*</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0043] ſchon zu lang, auch für unſere Pariſer Verhältniſſe. Einem geſunden jungen Menſchen ruinierſt Du nur das Nervenſyſtem. Um ſo vorteilhafter eigneſt Du Dich für die Stellung, die ich Dir ausgeſucht habe. Lulu. Du biſt verrückt. — Habe ich Dich gebeten, mir eine Stellung zu verſchaffen? Caſti Piani. Ich ſagte Dir doch, daß ich Stellen- vermittlungsagent bin. Lulu. Du ſagteſt mir, Du ſeieſt Polizeiſpion. Caſti Piani. Davon allein kann man nicht leben. Urſprünglich war ich Stellenvermittlungsagent, bis ich über ein Pfarrerstöchterchen ſtolperte, dem ich eine Stellung in Val Paraiſo verſchafft hatte. Das Holdchen hatte ſich in ſeinen kindlichen Träumen das Leben noch berau- ſchender vorgeſtellt und beklagte ſich bei Mama. Darauf wurde ich feſtgeſetzt. Durch charaktervolles Benehmen gewann ich mir aber raſch das Vertrauen der Kriminal- polizei. Mit einem Monatswechſel von hundertfünfzig Mark ſchickte man mich hierher, weil man wegen der ewigen Bombenattentate unſer hieſiges Kontingent ver- dreifachte. Aber wer kommt hier mit hundertfünfund- achtzig Franks im Monat aus? — Meine Kollegen laſſen ſich von Kokotten aushalten. Mir lag es natürlich näher, meinen früheren Beruf wieder aufzunehmen. Die Franzöſin geht, wenn ſie das Herz auf dem rechten Fleck hat, allerdings nicht ins Ausland. Aber von den un- zähligen Abenteurerinnen, die ſich hier aus den beſten Familien der ganzen Welt zuſammenfinden, habe ich ſchon manches lebenshungrige junge Geſchöpf an den Ort ſeiner natürlichen Beſtimmung befördert. Lulu. Ich tauge nicht für dieſen Beruf. Caſti Piani. Deine Anſichten über dieſe Frage ſind mir vollkommen gleichgültig. Die Staatsanwaltſchaft 3*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Bei dieser Ausgabe handelt es sich um die erste s… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/43
Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/43>, abgerufen am 22.12.2024.