Fällen physiologischer Regeneration erneuen sich auch viele Gewebe selbst der höchsten Thiere, wenn sie abnormen Sub- stanzverlust erlitten haben. So können verloren gegangene Stücke eines Muskels, eines Decken-Epithels, eines Stückes vom Epithel eines Drüsenganges, eines Knochens bei den Säuge- thieren sich durch zellige Elemente derselben Art wieder er- setzen, und die heutige pathologische Anatomie hat es nahezu sicher festgestellt, dass alle solche Regenerationsvorgänge stets von den Zellen des Gewebes selbst ausgehen, welches ersetzt werden soll. Diese Gewebezellen behalten also die Fähigkeit, sich durch Theilung zu vermehren, sie treten aber nur auf ge- wisse äussere Anregungen hin, vor Allem auf Substanzverluste in ihrer unmittelbaren Umgebung hin in Vermehrung. So proliferiren die Epithelzellen um einen Defekt des Epithels herum, und im verletzten Muskel vermehren sich die Muskel- kerne und formen das sie einhüllende Protoplasma zu Zellen um, welche spindelförmig auswachsen und zu Muskelfasern werden. In beiden Fällen ist es nur die Fähigkeit der Ver- mehrung, welche man dem Idioplasma der betreffenden Zellen zuzuschreiben hat und welche ausgelöst wird durch den Reiz des Substanzverlustes, oder wie die moderne Pathologie1) sagt: "durch Aufhebung der Wachsthumswiderstände". Also auch in diesen einfachsten Fällen abnormen Verlustes bildet der übrigbleibende Rest des betreffenden Gewebes einen Grundstock von Determinanten, von welchem aus Ersatz stattfinden kann.
Verwickelter wird der Vorgang, sobald ein Gewebe von complicirterem Bau regenerirt werden soll. So regenerirt sich die gesammte Epidermis sammt Schleimdrüsen und Haut- sinnesorganen bei den Amphibien nach den Untersuchungen
1) Siehe: E. Ziegler, "Lehrbuch der pathologischen Anatomie". Jena 1890.
Fällen physiologischer Regeneration erneuen sich auch viele Gewebe selbst der höchsten Thiere, wenn sie abnormen Sub- stanzverlust erlitten haben. So können verloren gegangene Stücke eines Muskels, eines Decken-Epithels, eines Stückes vom Epithel eines Drüsenganges, eines Knochens bei den Säuge- thieren sich durch zellige Elemente derselben Art wieder er- setzen, und die heutige pathologische Anatomie hat es nahezu sicher festgestellt, dass alle solche Regenerationsvorgänge stets von den Zellen des Gewebes selbst ausgehen, welches ersetzt werden soll. Diese Gewebezellen behalten also die Fähigkeit, sich durch Theilung zu vermehren, sie treten aber nur auf ge- wisse äussere Anregungen hin, vor Allem auf Substanzverluste in ihrer unmittelbaren Umgebung hin in Vermehrung. So proliferiren die Epithelzellen um einen Defekt des Epithels herum, und im verletzten Muskel vermehren sich die Muskel- kerne und formen das sie einhüllende Protoplasma zu Zellen um, welche spindelförmig auswachsen und zu Muskelfasern werden. In beiden Fällen ist es nur die Fähigkeit der Ver- mehrung, welche man dem Idioplasma der betreffenden Zellen zuzuschreiben hat und welche ausgelöst wird durch den Reiz des Substanzverlustes, oder wie die moderne Pathologie1) sagt: „durch Aufhebung der Wachsthumswiderstände“. Also auch in diesen einfachsten Fällen abnormen Verlustes bildet der übrigbleibende Rest des betreffenden Gewebes einen Grundstock von Determinanten, von welchem aus Ersatz stattfinden kann.
Verwickelter wird der Vorgang, sobald ein Gewebe von complicirterem Bau regenerirt werden soll. So regenerirt sich die gesammte Epidermis sammt Schleimdrüsen und Haut- sinnesorganen bei den Amphibien nach den Untersuchungen
1) Siehe: E. Ziegler, „Lehrbuch der pathologischen Anatomie“. Jena 1890.
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Fällen physiologischer Regeneration erneuen sich auch viele
Gewebe selbst der höchsten Thiere, wenn sie abnormen Sub-
stanzverlust erlitten haben. So können verloren gegangene
Stücke eines Muskels, eines Decken-Epithels, eines Stückes vom
Epithel eines Drüsenganges, eines Knochens bei den Säuge-
thieren sich durch zellige Elemente derselben Art wieder er-
setzen, und die heutige pathologische Anatomie hat es nahezu
sicher festgestellt, dass alle solche Regenerationsvorgänge stets
von den Zellen des Gewebes selbst ausgehen, welches ersetzt
werden soll. Diese Gewebezellen behalten also die Fähigkeit,
sich durch Theilung zu vermehren, sie treten aber nur auf ge-
wisse äussere Anregungen hin, vor Allem auf Substanzverluste
in ihrer unmittelbaren Umgebung hin in Vermehrung. So
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herum, und im verletzten Muskel vermehren sich die Muskel-
kerne und formen das sie einhüllende Protoplasma zu Zellen
um, welche spindelförmig auswachsen und zu Muskelfasern
werden. In beiden Fällen ist es nur die Fähigkeit der Ver-
mehrung, welche man dem Idioplasma der betreffenden Zellen
zuzuschreiben hat und welche ausgelöst wird durch den Reiz
des Substanzverlustes, oder wie die moderne Pathologie 1) sagt:
„durch Aufhebung der Wachsthumswiderstände“. Also auch
in diesen einfachsten Fällen abnormen Verlustes bildet der
übrigbleibende Rest des betreffenden Gewebes einen Grundstock
von Determinanten, von welchem aus Ersatz stattfinden kann.
Verwickelter wird der Vorgang, sobald ein Gewebe von
complicirterem Bau regenerirt werden soll. So regenerirt sich
die gesammte Epidermis sammt Schleimdrüsen und Haut-
sinnesorganen bei den Amphibien nach den Untersuchungen
1) Siehe: E. Ziegler, „Lehrbuch der pathologischen Anatomie“.
Jena 1890.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/152>, abgerufen am 21.11.2024.
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