Wenn Regeneration eine Anpassungserscheinung ist, dann müssen innere Organe, welche im Naturleben des Thieres Verstümmelungen nicht ausgesetzt sind, keine Regenerations- kraft besitzen und dies auch bei solchen Thieren, deren äussere den Angriffen ihrer Feinde ausgesetzten Theile ein hohes Re- generationsvermögen besitzen.
Ich schnitt einem unserer grossen Wassersalamander, Triton cristatus, die rechte Lunge etwa in ihrer Längsmitte ab und nähte die Hautwunde wieder zu. Das Thier erholte sich bald aus der Chloroform-Narkose, heilte rasch und wurde während vierzehn Monaten sehr gut genährt und dann getödtet. Die rechte Lunge hatte sich nicht ergänzt, sie war nur halb so lang, als die linke und endete nicht spitz, wie diese, sondern mit dickem Blindsack. Vier andere Fälle verliefen ähnlich, in einem derselben blieb es zweifelhaft, ob nicht doch ein Wachs- thum der Lunge eingetreten war, aber auch in diesem hatte sie nicht die ursprüngliche lange spitze Gestalt wiedererlangt.
Die Versuche werden noch fortgesetzt, soviel darf aber schon jetzt aus ihnen abgenommen werden, dass ein auffallendes Missverhältniss in der Regenerationskraft der äusseren Theile der Salamander und ihrer Lunge besteht. Dasselbe erscheint um so grösser, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Regene- ration der Extremität um die Wiederherstellung eines sehr ver- wickelt gebauten, aus vielen ganz verschiedenen Stücken zu- sammengesetzten Theils handelt, während die Lunge ein ein- facher hohler Sack ist ohne Gliederung und von relativ einfachem histologischen Bau.
Man wird also schliessen dürfen, dass die innern, für gewöhn- lich Verletzungen nicht ausgesetzten Theile bei diesen Arten kein höheres Regenerationsvermögen besitzen, als bei den höchsten Wirbelthieren, die ihnen in Bezug auf Regenerationskraft der äussern Theile so ausserordentlich nachstehen. Es giebt dem-
Wenn Regeneration eine Anpassungserscheinung ist, dann müssen innere Organe, welche im Naturleben des Thieres Verstümmelungen nicht ausgesetzt sind, keine Regenerations- kraft besitzen und dies auch bei solchen Thieren, deren äussere den Angriffen ihrer Feinde ausgesetzten Theile ein hohes Re- generationsvermögen besitzen.
Ich schnitt einem unserer grossen Wassersalamander, Triton cristatus, die rechte Lunge etwa in ihrer Längsmitte ab und nähte die Hautwunde wieder zu. Das Thier erholte sich bald aus der Chloroform-Narkose, heilte rasch und wurde während vierzehn Monaten sehr gut genährt und dann getödtet. Die rechte Lunge hatte sich nicht ergänzt, sie war nur halb so lang, als die linke und endete nicht spitz, wie diese, sondern mit dickem Blindsack. Vier andere Fälle verliefen ähnlich, in einem derselben blieb es zweifelhaft, ob nicht doch ein Wachs- thum der Lunge eingetreten war, aber auch in diesem hatte sie nicht die ursprüngliche lange spitze Gestalt wiedererlangt.
Die Versuche werden noch fortgesetzt, soviel darf aber schon jetzt aus ihnen abgenommen werden, dass ein auffallendes Missverhältniss in der Regenerationskraft der äusseren Theile der Salamander und ihrer Lunge besteht. Dasselbe erscheint um so grösser, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Regene- ration der Extremität um die Wiederherstellung eines sehr ver- wickelt gebauten, aus vielen ganz verschiedenen Stücken zu- sammengesetzten Theils handelt, während die Lunge ein ein- facher hohler Sack ist ohne Gliederung und von relativ einfachem histologischen Bau.
Man wird also schliessen dürfen, dass die innern, für gewöhn- lich Verletzungen nicht ausgesetzten Theile bei diesen Arten kein höheres Regenerationsvermögen besitzen, als bei den höchsten Wirbelthieren, die ihnen in Bezug auf Regenerationskraft der äussern Theile so ausserordentlich nachstehen. Es giebt dem-
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Wenn Regeneration eine Anpassungserscheinung ist, dann
müssen innere Organe, welche im Naturleben des Thieres
Verstümmelungen nicht ausgesetzt sind, keine Regenerations-
kraft besitzen und dies auch bei solchen Thieren, deren äussere
den Angriffen ihrer Feinde ausgesetzten Theile ein hohes Re-
generationsvermögen besitzen.
Ich schnitt einem unserer grossen Wassersalamander, Triton
cristatus, die rechte Lunge etwa in ihrer Längsmitte ab und
nähte die Hautwunde wieder zu. Das Thier erholte sich bald
aus der Chloroform-Narkose, heilte rasch und wurde während
vierzehn Monaten sehr gut genährt und dann getödtet. Die
rechte Lunge hatte sich nicht ergänzt, sie war nur halb so
lang, als die linke und endete nicht spitz, wie diese, sondern
mit dickem Blindsack. Vier andere Fälle verliefen ähnlich, in
einem derselben blieb es zweifelhaft, ob nicht doch ein Wachs-
thum der Lunge eingetreten war, aber auch in diesem hatte sie
nicht die ursprüngliche lange spitze Gestalt wiedererlangt.
Die Versuche werden noch fortgesetzt, soviel darf aber
schon jetzt aus ihnen abgenommen werden, dass ein auffallendes
Missverhältniss in der Regenerationskraft der äusseren Theile
der Salamander und ihrer Lunge besteht. Dasselbe erscheint
um so grösser, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Regene-
ration der Extremität um die Wiederherstellung eines sehr ver-
wickelt gebauten, aus vielen ganz verschiedenen Stücken zu-
sammengesetzten Theils handelt, während die Lunge ein ein-
facher hohler Sack ist ohne Gliederung und von relativ einfachem
histologischen Bau.
Man wird also schliessen dürfen, dass die innern, für gewöhn-
lich Verletzungen nicht ausgesetzten Theile bei diesen Arten
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äussern Theile so ausserordentlich nachstehen. Es giebt dem-
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/181>, abgerufen am 24.11.2024.
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