Wenn nun die Zellen nach den drei Richtungen des Raumes ganz gleich beschaffen wären, so müsste es die gleiche Wirkung auf das Idioplasma haben, ob der Reiz des Substanzverlustes von vorn, von hinten oder von der Seite her auf sie einwirkt. Es könnte dann unmöglich in dem einen Falle nur die eine Determinanten-Gruppe vom Reiz getroffen und zum Activwerden bestimmt werden, in dem andern nur die zweite, in dem dritten nur die dritte. Wir haben aber allen Grund zu glauben, dass der Bau einer solchen Gewebezelle nach den drei Richtungen des Raumes nicht der gleiche ist, dass dieselben vielmehr nach den drei Richtungen verschieden differenzirt sind, folglich auch auf Reize in verschiedener Weise reagiren, je nach der Richtung, in welcher dieselben auf sie einwirken. Vöchting1) hat an höheren Pflanzen den Beweis erbracht, dass zum min- desten bei diesen "jede lebendige Zelle von Wurzel und Stengel ein verschiedenes Oben und Unten, ein verschiedenes Vorn und Hinten und damit eine rechte und linke Hälfte besitzt". Die Transplantation von Wurzelstücken der Pappel auf den Stengel, oder von Stengelstücken auf die Wurzel zeigten ihm, dass diese Stücke nur dann anwuchsen und gediehen, wenn sie in bestimmter Orientirung eingesetzt worden waren; in der um- gekehrten Orientirung eingesetzt, wuchsen sie zwar zuweilen auch an, zeigten aber dann bald Entartungs-Erscheinungen. Er schliesst daraus auf eine "Polarisirung" der Zellen, den Aus- druck zunächst nur im Sinne einer allgemeinen Analogie ge- nommen. "Die Wurzel und der Stengel verhalten sich in ge- wissem Sinne wie ein cylindrischer Magnet, der aus einzelnen, nicht nur in longitudinaler, sondern auch in radialer Richtung gleichsinnig magnetisirten Ausschnitten zusammengesetzt ist. Einen solchen Magneten kann man in Theilstücke zerlegen,
1) H. Vöchting, "Über Transplantation am Pflanzenkörper", Tübingen 1889, p. 400.
Wenn nun die Zellen nach den drei Richtungen des Raumes ganz gleich beschaffen wären, so müsste es die gleiche Wirkung auf das Idioplasma haben, ob der Reiz des Substanzverlustes von vorn, von hinten oder von der Seite her auf sie einwirkt. Es könnte dann unmöglich in dem einen Falle nur die eine Determinanten-Gruppe vom Reiz getroffen und zum Activwerden bestimmt werden, in dem andern nur die zweite, in dem dritten nur die dritte. Wir haben aber allen Grund zu glauben, dass der Bau einer solchen Gewebezelle nach den drei Richtungen des Raumes nicht der gleiche ist, dass dieselben vielmehr nach den drei Richtungen verschieden differenzirt sind, folglich auch auf Reize in verschiedener Weise reagiren, je nach der Richtung, in welcher dieselben auf sie einwirken. Vöchting1) hat an höheren Pflanzen den Beweis erbracht, dass zum min- desten bei diesen „jede lebendige Zelle von Wurzel und Stengel ein verschiedenes Oben und Unten, ein verschiedenes Vorn und Hinten und damit eine rechte und linke Hälfte besitzt“. Die Transplantation von Wurzelstücken der Pappel auf den Stengel, oder von Stengelstücken auf die Wurzel zeigten ihm, dass diese Stücke nur dann anwuchsen und gediehen, wenn sie in bestimmter Orientirung eingesetzt worden waren; in der um- gekehrten Orientirung eingesetzt, wuchsen sie zwar zuweilen auch an, zeigten aber dann bald Entartungs-Erscheinungen. Er schliesst daraus auf eine „Polarisirung“ der Zellen, den Aus- druck zunächst nur im Sinne einer allgemeinen Analogie ge- nommen. „Die Wurzel und der Stengel verhalten sich in ge- wissem Sinne wie ein cylindrischer Magnet, der aus einzelnen, nicht nur in longitudinaler, sondern auch in radialer Richtung gleichsinnig magnetisirten Ausschnitten zusammengesetzt ist. Einen solchen Magneten kann man in Theilstücke zerlegen,
1) H. Vöchting, „Über Transplantation am Pflanzenkörper“, Tübingen 1889, p. 400.
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Wenn nun die Zellen nach den drei Richtungen des Raumes
ganz gleich beschaffen wären, so müsste es die gleiche Wirkung
auf das Idioplasma haben, ob der Reiz des Substanzverlustes
von vorn, von hinten oder von der Seite her auf sie einwirkt.
Es könnte dann unmöglich in dem einen Falle nur die eine
Determinanten-Gruppe vom Reiz getroffen und zum Activwerden
bestimmt werden, in dem andern nur die zweite, in dem dritten
nur die dritte. Wir haben aber allen Grund zu glauben, dass
der Bau einer solchen Gewebezelle nach den drei Richtungen
des Raumes nicht der gleiche ist, dass dieselben vielmehr nach
den drei Richtungen verschieden differenzirt sind, folglich auch
auf Reize in verschiedener Weise reagiren, je nach der
Richtung, in welcher dieselben auf sie einwirken. Vöchting 1)
hat an höheren Pflanzen den Beweis erbracht, dass zum min-
desten bei diesen „jede lebendige Zelle von Wurzel und Stengel
ein verschiedenes Oben und Unten, ein verschiedenes Vorn und
Hinten und damit eine rechte und linke Hälfte besitzt“. Die
Transplantation von Wurzelstücken der Pappel auf den Stengel,
oder von Stengelstücken auf die Wurzel zeigten ihm, dass
diese Stücke nur dann anwuchsen und gediehen, wenn sie in
bestimmter Orientirung eingesetzt worden waren; in der um-
gekehrten Orientirung eingesetzt, wuchsen sie zwar zuweilen
auch an, zeigten aber dann bald Entartungs-Erscheinungen. Er
schliesst daraus auf eine „Polarisirung“ der Zellen, den Aus-
druck zunächst nur im Sinne einer allgemeinen Analogie ge-
nommen. „Die Wurzel und der Stengel verhalten sich in ge-
wissem Sinne wie ein cylindrischer Magnet, der aus einzelnen,
nicht nur in longitudinaler, sondern auch in radialer Richtung
gleichsinnig magnetisirten Ausschnitten zusammengesetzt ist.
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1) H. Vöchting, „Über Transplantation am Pflanzenkörper“,
Tübingen 1889, p. 400.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/197>, abgerufen am 21.11.2024.
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