Berücksichtigt man, dass die Gruppen von Ersatz-Determi- nanten um so verwickelter sein müssen, je complicirter der Organismus ist, und der Theil, der durch sie ins Leben gerufen werden soll, so begreift man, dass die facultative Regeneration nur bei relativ einfachen Organismen gefunden wird, dass sie nach drei Dimensionen hin nur bei Polypen und Plattwürmern vorzukommen scheint, bei Anneliden und Seesternen aber nur nach zwei Dimensionen eintritt, um dann bei Arthropoden, Mollusken und Wirbelthieren überall zur eindimensionalen Re- generation herabzusinken.
Es soll dabei nicht verkannt werden, dass noch andere Momente hinzutreten, welche die Regenerationsfähigkeit ein- schränken, vor Allem die Vulnerabilität der höheren Organismen und ihre Abhängigkeit von Blutkreislauf, Bluttemperatur, des Einflusses des Nervensystems nicht zu gedenken, dessen tieferes Wesen wir noch so wenig kennen. Auch die geringe Substanz- menge des abgetrennten Theiles gegenüber der Substanzmenge des übrigen Körpers würden es verbieten, dass z. B. das ab- geschnittene Bein eines Molches sich zum ganzen Thier re- generirte. Alles dieses erklärt, warum die Einrichtung zwei- dimensionaler, d. h. facultativer Regeneration in zwei Rich- tungen bei höheren Thieren nicht getroffen werden konnte.
Wenn nun die Regeneration auf der Zutheilung von Ersatz- Determinanten an gewisse Zellen beruht, die nach Bedürfniss und Möglichkeit erfolgte, so wird die Wurzel derselben bei Metazoen immer in einer Verdoppelung der Ide irgend einer ontogenetischen Stufe liegen müssen. Da bei jeder mitotischen Kerntheilung Spaltung und Verdoppelung der Idanten vor- kommt, so fehlt also der Theorie nicht die reale Basis, wenn freilich auch von dem Wachsthum und der Verdoppelung von Iden und Determinanten im Allgemeinen bis zu der plan-
Berücksichtigt man, dass die Gruppen von Ersatz-Determi- nanten um so verwickelter sein müssen, je complicirter der Organismus ist, und der Theil, der durch sie ins Leben gerufen werden soll, so begreift man, dass die facultative Regeneration nur bei relativ einfachen Organismen gefunden wird, dass sie nach drei Dimensionen hin nur bei Polypen und Plattwürmern vorzukommen scheint, bei Anneliden und Seesternen aber nur nach zwei Dimensionen eintritt, um dann bei Arthropoden, Mollusken und Wirbelthieren überall zur eindimensionalen Re- generation herabzusinken.
Es soll dabei nicht verkannt werden, dass noch andere Momente hinzutreten, welche die Regenerationsfähigkeit ein- schränken, vor Allem die Vulnerabilität der höheren Organismen und ihre Abhängigkeit von Blutkreislauf, Bluttemperatur, des Einflusses des Nervensystems nicht zu gedenken, dessen tieferes Wesen wir noch so wenig kennen. Auch die geringe Substanz- menge des abgetrennten Theiles gegenüber der Substanzmenge des übrigen Körpers würden es verbieten, dass z. B. das ab- geschnittene Bein eines Molches sich zum ganzen Thier re- generirte. Alles dieses erklärt, warum die Einrichtung zwei- dimensionaler, d. h. facultativer Regeneration in zwei Rich- tungen bei höheren Thieren nicht getroffen werden konnte.
Wenn nun die Regeneration auf der Zutheilung von Ersatz- Determinanten an gewisse Zellen beruht, die nach Bedürfniss und Möglichkeit erfolgte, so wird die Wurzel derselben bei Metazoen immer in einer Verdoppelung der Ide irgend einer ontogenetischen Stufe liegen müssen. Da bei jeder mitotischen Kerntheilung Spaltung und Verdoppelung der Idanten vor- kommt, so fehlt also der Theorie nicht die reale Basis, wenn freilich auch von dem Wachsthum und der Verdoppelung von Iden und Determinanten im Allgemeinen bis zu der plan-
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[176/0200]
Berücksichtigt man, dass die Gruppen von Ersatz-Determi-
nanten um so verwickelter sein müssen, je complicirter der
Organismus ist, und der Theil, der durch sie ins Leben gerufen
werden soll, so begreift man, dass die facultative Regeneration
nur bei relativ einfachen Organismen gefunden wird, dass sie
nach drei Dimensionen hin nur bei Polypen und Plattwürmern
vorzukommen scheint, bei Anneliden und Seesternen aber nur
nach zwei Dimensionen eintritt, um dann bei Arthropoden,
Mollusken und Wirbelthieren überall zur eindimensionalen Re-
generation herabzusinken.
Es soll dabei nicht verkannt werden, dass noch andere
Momente hinzutreten, welche die Regenerationsfähigkeit ein-
schränken, vor Allem die Vulnerabilität der höheren Organismen
und ihre Abhängigkeit von Blutkreislauf, Bluttemperatur, des
Einflusses des Nervensystems nicht zu gedenken, dessen tieferes
Wesen wir noch so wenig kennen. Auch die geringe Substanz-
menge des abgetrennten Theiles gegenüber der Substanzmenge
des übrigen Körpers würden es verbieten, dass z. B. das ab-
geschnittene Bein eines Molches sich zum ganzen Thier re-
generirte. Alles dieses erklärt, warum die Einrichtung zwei-
dimensionaler, d. h. facultativer Regeneration in zwei Rich-
tungen bei höheren Thieren nicht getroffen werden konnte.
Wenn nun die Regeneration auf der Zutheilung von Ersatz-
Determinanten an gewisse Zellen beruht, die nach Bedürfniss
und Möglichkeit erfolgte, so wird die Wurzel derselben bei
Metazoen immer in einer Verdoppelung der Ide irgend einer
ontogenetischen Stufe liegen müssen. Da bei jeder mitotischen
Kerntheilung Spaltung und Verdoppelung der Idanten vor-
kommt, so fehlt also der Theorie nicht die reale Basis, wenn
freilich auch von dem Wachsthum und der Verdoppelung von
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/200>, abgerufen am 16.02.2025.
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