Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Mischung der Charaktere: 1. Die elterlichen Charaktere
bilden in allen Theilen der Pflanze ein Mittel, 2. die
Merkmale des Vaters überwiegen, oder diejenigen der
Mutter, und 3. gewisse Theile der Mischpflanze zeigen
den mütterlichen, andere den väterlichen Charakter
.

Der erste Fall ist der weitaus häufigste; ein Beispiel
für ihn bildet der schon von Koellreutter erzeugte Mischling
zweier Tabakarten, der Nicotiana rustica x N. paniculata
Koellreutter1) selbst erklärt ihn für das genaue Mittel der
Eltern, während Gärtner ihn der N. paniculata, Focke der
N. rustica etwas ähnlicher hielt. Koellreutter wird also
wohl ziemlich richtig geschätzt haben und nur von einer
Schätzung, nicht von mathematischer Genauigkeit kann hier
die Rede sein. Nach Focke beträgt die Länge der Kronen-
röhre bei N. rustica 14 Mm., bei N. paniculata 26 Mm., beim
Bastard 19 Mm. Das genaue mathematische Mittel würde
20 sein, in diesem Charakter nähert sich der Bastard etwas
mehr der N. paniculata. In der Weite der Kronenröhre da-
gegen neigt sich der Bastard in Bezug auf die weiteste Stelle
mehr der N. rustica zu, in Bezug auf die engste Stelle hält
er genau das mathematische Mittel. Der Fall ist belehrend da-
für, dass wir das eigentliche, physiologische Mittel nicht er-
kennen können, denn die Länge der Krone setzt sich aus den-
selben Zellen zusammen, die auch ihre Weite bestimmen. Noch
ungenauer wird unsere Taxirung, wenn es sich um Farben-
mittel handelt, weil die verschiedenen Farben der Pflanzen auf
ganz verschiedenen morphologischen Bestandtheilen beruhen.
Wenn Gelb und Roth zweier Arten sich in der Bastardblume
mischten, so wäre es denkbar, dass beide Farben in derselben

1) Joseph Gottlieb Koellreutter, "Vorläufige Nachricht von
einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobach-
tungen". 1761.

Mischung der Charaktere: 1. Die elterlichen Charaktere
bilden in allen Theilen der Pflanze ein Mittel, 2. die
Merkmale des Vaters überwiegen, oder diejenigen der
Mutter, und 3. gewisse Theile der Mischpflanze zeigen
den mütterlichen, andere den väterlichen Charakter
.

Der erste Fall ist der weitaus häufigste; ein Beispiel
für ihn bildet der schon von Koellreutter erzeugte Mischling
zweier Tabakarten, der Nicotiana rustica ♀ × N. paniculata ♂
Koellreutter1) selbst erklärt ihn für das genaue Mittel der
Eltern, während Gärtner ihn der N. paniculata, Focke der
N. rustica etwas ähnlicher hielt. Koellreutter wird also
wohl ziemlich richtig geschätzt haben und nur von einer
Schätzung, nicht von mathematischer Genauigkeit kann hier
die Rede sein. Nach Focke beträgt die Länge der Kronen-
röhre bei N. rustica 14 Mm., bei N. paniculata 26 Mm., beim
Bastard 19 Mm. Das genaue mathematische Mittel würde
20 sein, in diesem Charakter nähert sich der Bastard etwas
mehr der N. paniculata. In der Weite der Kronenröhre da-
gegen neigt sich der Bastard in Bezug auf die weiteste Stelle
mehr der N. rustica zu, in Bezug auf die engste Stelle hält
er genau das mathematische Mittel. Der Fall ist belehrend da-
für, dass wir das eigentliche, physiologische Mittel nicht er-
kennen können, denn die Länge der Krone setzt sich aus den-
selben Zellen zusammen, die auch ihre Weite bestimmen. Noch
ungenauer wird unsere Taxirung, wenn es sich um Farben-
mittel handelt, weil die verschiedenen Farben der Pflanzen auf
ganz verschiedenen morphologischen Bestandtheilen beruhen.
Wenn Gelb und Roth zweier Arten sich in der Bastardblume
mischten, so wäre es denkbar, dass beide Farben in derselben

1) Joseph Gottlieb Koellreutter, „Vorläufige Nachricht von
einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobach-
tungen“. 1761.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0366" n="342"/>
Mischung der Charaktere: 1. <hi rendition="#g">Die elterlichen Charaktere<lb/>
bilden in allen Theilen der Pflanze ein Mittel, 2. die<lb/>
Merkmale des Vaters überwiegen, oder diejenigen der<lb/>
Mutter, und 3. gewisse Theile der Mischpflanze zeigen<lb/>
den mütterlichen, andere den väterlichen Charakter</hi>.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Der erste Fall ist</hi> der weitaus häufigste; ein Beispiel<lb/>
für ihn bildet der schon von <hi rendition="#g">Koellreutter</hi> erzeugte Mischling<lb/>
zweier Tabakarten, der Nicotiana rustica &#x2640; × N. paniculata &#x2642;<lb/><hi rendition="#g">Koellreutter</hi><note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Joseph Gottlieb Koellreutter</hi>, &#x201E;Vorläufige Nachricht von<lb/>
einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobach-<lb/>
tungen&#x201C;. 1761.</note> selbst erklärt ihn für das genaue Mittel der<lb/>
Eltern, während <hi rendition="#g">Gärtner</hi> ihn der N. paniculata, <hi rendition="#g">Focke</hi> der<lb/>
N. rustica etwas ähnlicher hielt. <hi rendition="#g">Koellreutter</hi> wird also<lb/>
wohl ziemlich richtig geschätzt haben und nur von einer<lb/>
Schätzung, nicht von mathematischer Genauigkeit kann hier<lb/>
die Rede sein. Nach <hi rendition="#g">Focke</hi> beträgt die Länge der Kronen-<lb/>
röhre bei N. rustica 14 Mm., bei N. paniculata 26 Mm., beim<lb/>
Bastard 19 Mm. Das genaue mathematische Mittel würde<lb/>
20 sein, in diesem Charakter nähert sich der Bastard etwas<lb/>
mehr der N. paniculata. In der Weite der Kronenröhre da-<lb/>
gegen neigt sich der Bastard in Bezug auf die weiteste Stelle<lb/>
mehr der N. rustica zu, in Bezug auf die engste Stelle hält<lb/>
er genau das mathematische Mittel. Der Fall ist belehrend da-<lb/>
für, dass wir das eigentliche, <hi rendition="#g">physiologische</hi> Mittel nicht er-<lb/>
kennen können, denn die Länge der Krone setzt sich aus den-<lb/>
selben Zellen zusammen, die auch ihre Weite bestimmen. Noch<lb/>
ungenauer wird unsere Taxirung, wenn es sich um Farben-<lb/>
mittel handelt, weil die verschiedenen Farben der Pflanzen auf<lb/>
ganz verschiedenen morphologischen Bestandtheilen beruhen.<lb/>
Wenn Gelb und Roth zweier Arten sich in der Bastardblume<lb/>
mischten, so wäre es denkbar, dass beide Farben in derselben<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0366] Mischung der Charaktere: 1. Die elterlichen Charaktere bilden in allen Theilen der Pflanze ein Mittel, 2. die Merkmale des Vaters überwiegen, oder diejenigen der Mutter, und 3. gewisse Theile der Mischpflanze zeigen den mütterlichen, andere den väterlichen Charakter. Der erste Fall ist der weitaus häufigste; ein Beispiel für ihn bildet der schon von Koellreutter erzeugte Mischling zweier Tabakarten, der Nicotiana rustica ♀ × N. paniculata ♂ Koellreutter 1) selbst erklärt ihn für das genaue Mittel der Eltern, während Gärtner ihn der N. paniculata, Focke der N. rustica etwas ähnlicher hielt. Koellreutter wird also wohl ziemlich richtig geschätzt haben und nur von einer Schätzung, nicht von mathematischer Genauigkeit kann hier die Rede sein. Nach Focke beträgt die Länge der Kronen- röhre bei N. rustica 14 Mm., bei N. paniculata 26 Mm., beim Bastard 19 Mm. Das genaue mathematische Mittel würde 20 sein, in diesem Charakter nähert sich der Bastard etwas mehr der N. paniculata. In der Weite der Kronenröhre da- gegen neigt sich der Bastard in Bezug auf die weiteste Stelle mehr der N. rustica zu, in Bezug auf die engste Stelle hält er genau das mathematische Mittel. Der Fall ist belehrend da- für, dass wir das eigentliche, physiologische Mittel nicht er- kennen können, denn die Länge der Krone setzt sich aus den- selben Zellen zusammen, die auch ihre Weite bestimmen. Noch ungenauer wird unsere Taxirung, wenn es sich um Farben- mittel handelt, weil die verschiedenen Farben der Pflanzen auf ganz verschiedenen morphologischen Bestandtheilen beruhen. Wenn Gelb und Roth zweier Arten sich in der Bastardblume mischten, so wäre es denkbar, dass beide Farben in derselben 1) Joseph Gottlieb Koellreutter, „Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobach- tungen“. 1761.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/366
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/366>, abgerufen am 24.11.2024.