tischen Iden bestünde genau genommen nicht richtig sein können; dasselbe muss sich vielmehr zusammen- setzen aus einer Mehrzahl von vollständig abgeän- derten und mit den neuen Art-Determinanten ver- sehenen Iden, und einer Minderzahl nur unvollkommen oder wohl auch gar nicht abgeänderter Ide der Stamm- art. Die Zahl der Letzteren wird durch Selection der Indi- viduen im Laufe der Zeiten allmälig abnehmen, und damit werden die neuen Artcharaktere mehr und mehr ihre ursprüng- liche Veränderlichkeit verlieren. Durch Naturzüchtung wird das Keimplasma mehr und mehr von seinen nur wenig oder noch gar nicht in der neuen Richtung abgeänderten Iden be- freit, indem die minder gut angepassten Individuen eben die sind, in deren Keimplasma noch eine grössere Zahl nicht um- gewandelter Ide enthalten ist. Da nun diese, die Individuen, nach und nach im Kampf ums Dasein ausgemerzt werden, so wird sich die Zahl der nichtabgeänderten Ide in den folgenden Generationen immer mehr verringern müssen, und dieser Züch- tungsprocess des Keimplasma's wird erst zum Still- stand kommen, wenn die Zahl der nicht oder unvoll- kommen abgeänderten Ide so klein geworden ist, dass ihr Einfluss in Bezug auf die Ausbildung der für die Art wesentlichen Charaktere verschwindend klein geworden ist.
Dieser Process der Umzüchtung der Keimplasma-Ide wird aber einmal sein Ende erreichen, und zwar, wie jeder Züchtungs- process dann, wenn eine Fortsetzung desselben keinen weiteren Vortheil mehr mit sich führen würde. Wie irgend eine An- passung einer Thierart sofort stehen bleibt und sich nicht mehr weiter vervollkommnet, sobald eine weitere Steigerung nutzlos wäre, so wird auch der ihr zu Grunde liegende Umwandlungs- und Ausmerzungsprocess der Ide aufhören, sobald die voll-
tischen Iden bestünde genau genommen nicht richtig sein können; dasselbe muss sich vielmehr zusammen- setzen aus einer Mehrzahl von vollständig abgeän- derten und mit den neuen Art-Determinanten ver- sehenen Iden, und einer Minderzahl nur unvollkommen oder wohl auch gar nicht abgeänderter Ide der Stamm- art. Die Zahl der Letzteren wird durch Selection der Indi- viduen im Laufe der Zeiten allmälig abnehmen, und damit werden die neuen Artcharaktere mehr und mehr ihre ursprüng- liche Veränderlichkeit verlieren. Durch Naturzüchtung wird das Keimplasma mehr und mehr von seinen nur wenig oder noch gar nicht in der neuen Richtung abgeänderten Iden be- freit, indem die minder gut angepassten Individuen eben die sind, in deren Keimplasma noch eine grössere Zahl nicht um- gewandelter Ide enthalten ist. Da nun diese, die Individuen, nach und nach im Kampf ums Dasein ausgemerzt werden, so wird sich die Zahl der nichtabgeänderten Ide in den folgenden Generationen immer mehr verringern müssen, und dieser Züch- tungsprocess des Keimplasma’s wird erst zum Still- stand kommen, wenn die Zahl der nicht oder unvoll- kommen abgeänderten Ide so klein geworden ist, dass ihr Einfluss in Bezug auf die Ausbildung der für die Art wesentlichen Charaktere verschwindend klein geworden ist.
Dieser Process der Umzüchtung der Keimplasma-Ide wird aber einmal sein Ende erreichen, und zwar, wie jeder Züchtungs- process dann, wenn eine Fortsetzung desselben keinen weiteren Vortheil mehr mit sich führen würde. Wie irgend eine An- passung einer Thierart sofort stehen bleibt und sich nicht mehr weiter vervollkommnet, sobald eine weitere Steigerung nutzlos wäre, so wird auch der ihr zu Grunde liegende Umwandlungs- und Ausmerzungsprocess der Ide aufhören, sobald die voll-
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tischen Iden bestünde genau genommen nicht richtig
sein können; dasselbe muss sich vielmehr zusammen-
setzen aus einer Mehrzahl von vollständig abgeän-
derten und mit den neuen Art-Determinanten ver-
sehenen Iden, und einer Minderzahl nur unvollkommen
oder wohl auch gar nicht abgeänderter Ide der Stamm-
art. Die Zahl der Letzteren wird durch Selection der Indi-
viduen im Laufe der Zeiten allmälig abnehmen, und damit
werden die neuen Artcharaktere mehr und mehr ihre ursprüng-
liche Veränderlichkeit verlieren. Durch Naturzüchtung wird
das Keimplasma mehr und mehr von seinen nur wenig oder
noch gar nicht in der neuen Richtung abgeänderten Iden be-
freit, indem die minder gut angepassten Individuen eben die
sind, in deren Keimplasma noch eine grössere Zahl nicht um-
gewandelter Ide enthalten ist. Da nun diese, die Individuen,
nach und nach im Kampf ums Dasein ausgemerzt werden, so
wird sich die Zahl der nichtabgeänderten Ide in den folgenden
Generationen immer mehr verringern müssen, und dieser Züch-
tungsprocess des Keimplasma’s wird erst zum Still-
stand kommen, wenn die Zahl der nicht oder unvoll-
kommen abgeänderten Ide so klein geworden ist,
dass ihr Einfluss in Bezug auf die Ausbildung der
für die Art wesentlichen Charaktere verschwindend
klein geworden ist.
Dieser Process der Umzüchtung der Keimplasma-Ide wird
aber einmal sein Ende erreichen, und zwar, wie jeder Züchtungs-
process dann, wenn eine Fortsetzung desselben keinen weiteren
Vortheil mehr mit sich führen würde. Wie irgend eine An-
passung einer Thierart sofort stehen bleibt und sich nicht mehr
weiter vervollkommnet, sobald eine weitere Steigerung nutzlos
wäre, so wird auch der ihr zu Grunde liegende Umwandlungs-
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/380>, abgerufen am 25.11.2024.
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