wissen Krankheit oder besser Bildungs-Anomalie des Menschen besprechen, einmal weil sie, wie ich glaube, von dem bis jetzt gewonnenen Standpunkt aus verständlicher erscheint, als bisher, und dann auch, weil ihre Analyse vielleicht wieder neues Licht auf die Ursachen des sexuellen Dimorphismus zu- rückwirft.
Die Erscheinung, um welche es sich handelt, ist die so- genannte Bluter-Krankheit, eine seltene Anomalie, welche aber in einer Reihe von Fällen sehr genau beobachtet, und von welcher festgestellt ist, dass sie sich in hohem Grade auf die Nachkommen überträgt, aber in sehr eigenthümlicher Weise. Sie tritt nämlich nur bei den Männern einer Familie auf, wird aber durch die Weiber übertragen, verhält sich also in Bezug auf Vererbung wie ein sekundärer Sexual- charakter.
Dennoch hängt die Krankheit in keiner erkennbaren Weise mit den Geschlechtsorganen oder mit solchen Theilen zusammen, die dem Geschlecht nach anders ausgeprägt wären. Sie besteht in einer abnormen Schlaffheit der Gefässwandungen, welche zur Folge hat, dass geringe Verletzungen zu starken, schwer still- baren Blutungen führen. Da die Blutgefässe beim Aufbau des Körpers aus gewissen Zellen des sogenannten Mesoblast's oder "Parablast's" hervorgehen, so wird in manchen Handbüchern der pathologischen Anatomie die Bluterkrankheit als eine an- geborene Anomalie des "Bindegewebekeim's" oder des "Para- blast's" bezeichnet. Gewiss muss angenommen werden, dass irgend eine, zunächst noch nicht näher bestimmbare Variation gewisser Mesoblast-Zellen die Ursache jener verhängnissvollen Gefäss- Variation ist, nämlich der Zellen, aus welchen die Blutgefässe sich bilden. Die Determinanten der Blutgefässzellen müssen hier in irgend einer Weise variirt haben im Keimplasma der betreffenden Individuen, und der Beginn der Anomalie muss
wissen Krankheit oder besser Bildungs-Anomalie des Menschen besprechen, einmal weil sie, wie ich glaube, von dem bis jetzt gewonnenen Standpunkt aus verständlicher erscheint, als bisher, und dann auch, weil ihre Analyse vielleicht wieder neues Licht auf die Ursachen des sexuellen Dimorphismus zu- rückwirft.
Die Erscheinung, um welche es sich handelt, ist die so- genannte Bluter-Krankheit, eine seltene Anomalie, welche aber in einer Reihe von Fällen sehr genau beobachtet, und von welcher festgestellt ist, dass sie sich in hohem Grade auf die Nachkommen überträgt, aber in sehr eigenthümlicher Weise. Sie tritt nämlich nur bei den Männern einer Familie auf, wird aber durch die Weiber übertragen, verhält sich also in Bezug auf Vererbung wie ein sekundärer Sexual- charakter.
Dennoch hängt die Krankheit in keiner erkennbaren Weise mit den Geschlechtsorganen oder mit solchen Theilen zusammen, die dem Geschlecht nach anders ausgeprägt wären. Sie besteht in einer abnormen Schlaffheit der Gefässwandungen, welche zur Folge hat, dass geringe Verletzungen zu starken, schwer still- baren Blutungen führen. Da die Blutgefässe beim Aufbau des Körpers aus gewissen Zellen des sogenannten Mesoblast’s oder „Parablast’s“ hervorgehen, so wird in manchen Handbüchern der pathologischen Anatomie die Bluterkrankheit als eine an- geborene Anomalie des „Bindegewebekeim’s“ oder des „Para- blast’s“ bezeichnet. Gewiss muss angenommen werden, dass irgend eine, zunächst noch nicht näher bestimmbare Variation gewisser Mesoblast-Zellen die Ursache jener verhängnissvollen Gefäss- Variation ist, nämlich der Zellen, aus welchen die Blutgefässe sich bilden. Die Determinanten der Blutgefässzellen müssen hier in irgend einer Weise variirt haben im Keimplasma der betreffenden Individuen, und der Beginn der Anomalie muss
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Menschen besprechen, einmal weil sie, wie ich glaube, von dem
bis jetzt gewonnenen Standpunkt aus verständlicher erscheint,
als bisher, und dann auch, weil ihre Analyse vielleicht wieder
neues Licht auf die Ursachen des sexuellen Dimorphismus zu-
rückwirft.
Die Erscheinung, um welche es sich handelt, ist die so-
genannte Bluter-Krankheit, eine seltene Anomalie, welche
aber in einer Reihe von Fällen sehr genau beobachtet, und von
welcher festgestellt ist, dass sie sich in hohem Grade auf die
Nachkommen überträgt, aber in sehr eigenthümlicher Weise.
Sie tritt nämlich nur bei den Männern einer Familie auf,
wird aber durch die Weiber übertragen, verhält sich also
in Bezug auf Vererbung wie ein sekundärer Sexual-
charakter.
Dennoch hängt die Krankheit in keiner erkennbaren Weise
mit den Geschlechtsorganen oder mit solchen Theilen zusammen,
die dem Geschlecht nach anders ausgeprägt wären. Sie besteht
in einer abnormen Schlaffheit der Gefässwandungen, welche zur
Folge hat, dass geringe Verletzungen zu starken, schwer still-
baren Blutungen führen. Da die Blutgefässe beim Aufbau des
Körpers aus gewissen Zellen des sogenannten Mesoblast’s oder
„Parablast’s“ hervorgehen, so wird in manchen Handbüchern
der pathologischen Anatomie die Bluterkrankheit als eine an-
geborene Anomalie des „Bindegewebekeim’s“ oder des „Para-
blast’s“ bezeichnet. Gewiss muss angenommen werden, dass irgend
eine, zunächst noch nicht näher bestimmbare Variation gewisser
Mesoblast-Zellen die Ursache jener verhängnissvollen Gefäss-
Variation ist, nämlich der Zellen, aus welchen die Blutgefässe
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hier in irgend einer Weise variirt haben im Keimplasma der
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/509>, abgerufen am 22.11.2024.
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