Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

des Keimes Doppeldeterminanten sind, halb männlich,
halb weiblich, so dass eine Determinante derselben Provenienz
sich zum männlichen oder zum weiblichen Typus des betreffen-
den Charakters entwickeln kann.

Durch diese Annahme einer weiten Verbreitung von Doppel-
determinanten im Keim lässt sich die schon von Prosper
Lucas
1) hervorgehobene und durch viele Beispiele belegte That-
sache verstehen, dass neu auftretende Charaktere zuweilen nur
auf das eine Geschlecht weiter vererbt werden, auch wenn sie
mit sekundären Sexualcharakteren im eigentlichen Sinn nichts
zu thun haben. Es sind dann eben nur die männlichen oder
nur die weiblichen Hälften solcher Doppeldeterminanten des
Keimplasma's verändert worden. So verhält es sich bei der
eben betrachteten Bluterkrankheit, insofern dieselbe doch einmal
zuerst aufgetreten sein muss, und ähnlich in vielen Fällen von
Farbenblindheit, von überzähligen Fingern, fehlenden Fingern oder
Fingergliedern u. s. w. Auch der berühmte Stachelmensch Lambert
vererbte die sonderbare Beschaffenheit seiner Epidermis nur auf
seine männlichen Nachkommen. Bei der Polydaktylie kennt man
Fälle, in welchen sie sich nur auf die männlichen Familien-
mitglieder vererbte, aber auch solche, wo sie von der Mutter
ausschliesslich auf die Töchter überging.

Es scheint aber, dass solche Abänderungen einer Hälfte
von Doppeldeterminanten sich im Laufe der Zeit auf die an-
dere, wenn auch zunächst noch in geringerem Grade über-
tragen
kann, denn es sind Fälle bekannt, in welchen eine
Abnormität zuerst nur im männlichen Geschlecht entstand (?)
und vererbt wurde, nachher aber auch auf einzelne weibliche
Nachkommen überging. Allerdings aber sind diese Fälle nicht
weit genug verfolgt, um die Deutung ganz auszuschliessen, es

1) Prosper Lucas, "Traite philosophique et physiologique de
l'heredite naturelle", Tom. II, p. 137. Paris 1850.

des Keimes Doppeldeterminanten sind, halb männlich,
halb weiblich, so dass eine Determinante derselben Provenienz
sich zum männlichen oder zum weiblichen Typus des betreffen-
den Charakters entwickeln kann.

Durch diese Annahme einer weiten Verbreitung von Doppel-
determinanten im Keim lässt sich die schon von Prosper
Lucas
1) hervorgehobene und durch viele Beispiele belegte That-
sache verstehen, dass neu auftretende Charaktere zuweilen nur
auf das eine Geschlecht weiter vererbt werden, auch wenn sie
mit sekundären Sexualcharakteren im eigentlichen Sinn nichts
zu thun haben. Es sind dann eben nur die männlichen oder
nur die weiblichen Hälften solcher Doppeldeterminanten des
Keimplasma’s verändert worden. So verhält es sich bei der
eben betrachteten Bluterkrankheit, insofern dieselbe doch einmal
zuerst aufgetreten sein muss, und ähnlich in vielen Fällen von
Farbenblindheit, von überzähligen Fingern, fehlenden Fingern oder
Fingergliedern u. s. w. Auch der berühmte Stachelmensch Lambert
vererbte die sonderbare Beschaffenheit seiner Epidermis nur auf
seine männlichen Nachkommen. Bei der Polydaktylie kennt man
Fälle, in welchen sie sich nur auf die männlichen Familien-
mitglieder vererbte, aber auch solche, wo sie von der Mutter
ausschliesslich auf die Töchter überging.

Es scheint aber, dass solche Abänderungen einer Hälfte
von Doppeldeterminanten sich im Laufe der Zeit auf die an-
dere, wenn auch zunächst noch in geringerem Grade über-
tragen
kann, denn es sind Fälle bekannt, in welchen eine
Abnormität zuerst nur im männlichen Geschlecht entstand (?)
und vererbt wurde, nachher aber auch auf einzelne weibliche
Nachkommen überging. Allerdings aber sind diese Fälle nicht
weit genug verfolgt, um die Deutung ganz auszuschliessen, es

1) Prosper Lucas, „Traité philosophique et physiologique de
l’hérédité naturelle“, Tom. II, p. 137. Paris 1850.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0513" n="489"/>
des Keimes Doppeldeterminanten sind</hi>, halb männlich,<lb/>
halb weiblich, so dass eine Determinante <hi rendition="#g">derselben</hi> Provenienz<lb/>
sich zum männlichen oder zum weiblichen Typus des betreffen-<lb/>
den Charakters entwickeln kann.</p><lb/>
              <p>Durch diese Annahme einer weiten Verbreitung von Doppel-<lb/>
determinanten im Keim lässt sich die schon von <hi rendition="#g">Prosper<lb/>
Lucas</hi><note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Prosper Lucas</hi>, &#x201E;Traité philosophique et physiologique de<lb/>
l&#x2019;hérédité naturelle&#x201C;, Tom. II, p. 137. Paris 1850.</note> hervorgehobene und durch viele Beispiele belegte That-<lb/>
sache verstehen, dass neu auftretende Charaktere zuweilen nur<lb/>
auf das <hi rendition="#g">eine</hi> Geschlecht weiter vererbt werden, auch wenn sie<lb/>
mit sekundären Sexualcharakteren im eigentlichen Sinn nichts<lb/>
zu thun haben. Es sind dann eben nur die männlichen oder<lb/>
nur die weiblichen Hälften solcher Doppeldeterminanten des<lb/>
Keimplasma&#x2019;s verändert worden. So verhält es sich bei der<lb/>
eben betrachteten Bluterkrankheit, insofern dieselbe doch einmal<lb/>
zuerst aufgetreten sein muss, und ähnlich in vielen Fällen von<lb/>
Farbenblindheit, von überzähligen Fingern, fehlenden Fingern oder<lb/>
Fingergliedern u. s. w. Auch der berühmte Stachelmensch <hi rendition="#g">Lambert</hi><lb/>
vererbte die sonderbare Beschaffenheit seiner Epidermis nur auf<lb/>
seine männlichen Nachkommen. Bei der Polydaktylie kennt man<lb/>
Fälle, in welchen sie sich nur auf die männlichen Familien-<lb/>
mitglieder vererbte, aber auch solche, wo sie von der Mutter<lb/>
ausschliesslich auf die Töchter überging.</p><lb/>
              <p>Es scheint aber, dass solche Abänderungen einer Hälfte<lb/>
von Doppeldeterminanten sich im Laufe der Zeit auf die an-<lb/>
dere, wenn auch zunächst noch in geringerem Grade <hi rendition="#g">über-<lb/>
tragen</hi> kann, denn es sind Fälle bekannt, in welchen eine<lb/>
Abnormität zuerst nur im männlichen Geschlecht entstand (?)<lb/>
und vererbt wurde, nachher aber auch auf einzelne weibliche<lb/>
Nachkommen überging. Allerdings aber sind diese Fälle nicht<lb/>
weit genug verfolgt, um die Deutung ganz auszuschliessen, es<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[489/0513] des Keimes Doppeldeterminanten sind, halb männlich, halb weiblich, so dass eine Determinante derselben Provenienz sich zum männlichen oder zum weiblichen Typus des betreffen- den Charakters entwickeln kann. Durch diese Annahme einer weiten Verbreitung von Doppel- determinanten im Keim lässt sich die schon von Prosper Lucas 1) hervorgehobene und durch viele Beispiele belegte That- sache verstehen, dass neu auftretende Charaktere zuweilen nur auf das eine Geschlecht weiter vererbt werden, auch wenn sie mit sekundären Sexualcharakteren im eigentlichen Sinn nichts zu thun haben. Es sind dann eben nur die männlichen oder nur die weiblichen Hälften solcher Doppeldeterminanten des Keimplasma’s verändert worden. So verhält es sich bei der eben betrachteten Bluterkrankheit, insofern dieselbe doch einmal zuerst aufgetreten sein muss, und ähnlich in vielen Fällen von Farbenblindheit, von überzähligen Fingern, fehlenden Fingern oder Fingergliedern u. s. w. Auch der berühmte Stachelmensch Lambert vererbte die sonderbare Beschaffenheit seiner Epidermis nur auf seine männlichen Nachkommen. Bei der Polydaktylie kennt man Fälle, in welchen sie sich nur auf die männlichen Familien- mitglieder vererbte, aber auch solche, wo sie von der Mutter ausschliesslich auf die Töchter überging. Es scheint aber, dass solche Abänderungen einer Hälfte von Doppeldeterminanten sich im Laufe der Zeit auf die an- dere, wenn auch zunächst noch in geringerem Grade über- tragen kann, denn es sind Fälle bekannt, in welchen eine Abnormität zuerst nur im männlichen Geschlecht entstand (?) und vererbt wurde, nachher aber auch auf einzelne weibliche Nachkommen überging. Allerdings aber sind diese Fälle nicht weit genug verfolgt, um die Deutung ganz auszuschliessen, es 1) Prosper Lucas, „Traité philosophique et physiologique de l’hérédité naturelle“, Tom. II, p. 137. Paris 1850.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/513
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/513>, abgerufen am 22.11.2024.