bedeutend zurückgehalten werden kann durch Einwirkung ver- schiedener chemischer Substanzen, wie Chloral, Chinin, Mor- phium u. s. w., wir wissen auch, dass Eier von Seeigeln, wenn sie zu lange im Seewasser auf die Befruchtung warten müssen, eine Minderung ihrer Lebensenergie erfahren und in Folge dessen dem Eindringen vieler, statt nur eines einzigen Spermatozoon's ausgesetzt sind. Dasselbe kann auch durch die genannten chemischen Agentien geschehen, und in beiden Fällen ist abnorme Entwickelung des Eies, vielleicht Doppelbildungen u. s. w. die Folge davon.
Es scheint mir nicht unmöglich, dass eine Beimischung von Alkohol zum Blute der Zeugenden ähnliche Wirkungen auf die Eizelle und Samenzelle ausüben könnte. Je nach dem Grade der Alkoholbeimischung könnte eine excitirende oder lähmende Wirkung eintreten, und Beides würde zu abnormer Entwickelung führen können. Lähmung beider Keimzellen würde allerdings wohl den Befruchtungsvorgang nur verlangsamen oder ganz verhindern, aber Lähmung der Eizelle allein müsste Überfruchtung (Polyspermie) herbeiführen, und dasselbe möchte bei einseitiger Erregung der Samenzellen eintreten können. Das Eindringen mehrerer Spermatozoen würde aber in dem dotterarmen und kleinen Ei des Menschen ebenso zu abnormer Entwicklung Veranlassung geben, wie in dem Ei des Seesterns oder Seeigels. Auf der andern Seite könnte hohe Erregbarkeit beider Keimzellen etwa durch allzu raschen Ablauf der ver- wickelten Vorgänge der Reduction des Keimplasma's im Ei und der nachfolgenden Copulation von Ei- und Samen-Keimplasma zu Ungenauigkeiten und dadurch zu unregelmässiger Ent- wickelung führen.
Neue Anlagen können freilich durch solche Abweichungen vom normalen Entwickelungsgang niemals entstehen, und von einer Änderung der Vererbung kann deshalb nicht die Rede
bedeutend zurückgehalten werden kann durch Einwirkung ver- schiedener chemischer Substanzen, wie Chloral, Chinin, Mor- phium u. s. w., wir wissen auch, dass Eier von Seeigeln, wenn sie zu lange im Seewasser auf die Befruchtung warten müssen, eine Minderung ihrer Lebensenergie erfahren und in Folge dessen dem Eindringen vieler, statt nur eines einzigen Spermatozoon’s ausgesetzt sind. Dasselbe kann auch durch die genannten chemischen Agentien geschehen, und in beiden Fällen ist abnorme Entwickelung des Eies, vielleicht Doppelbildungen u. s. w. die Folge davon.
Es scheint mir nicht unmöglich, dass eine Beimischung von Alkohol zum Blute der Zeugenden ähnliche Wirkungen auf die Eizelle und Samenzelle ausüben könnte. Je nach dem Grade der Alkoholbeimischung könnte eine excitirende oder lähmende Wirkung eintreten, und Beides würde zu abnormer Entwickelung führen können. Lähmung beider Keimzellen würde allerdings wohl den Befruchtungsvorgang nur verlangsamen oder ganz verhindern, aber Lähmung der Eizelle allein müsste Überfruchtung (Polyspermie) herbeiführen, und dasselbe möchte bei einseitiger Erregung der Samenzellen eintreten können. Das Eindringen mehrerer Spermatozoen würde aber in dem dotterarmen und kleinen Ei des Menschen ebenso zu abnormer Entwicklung Veranlassung geben, wie in dem Ei des Seesterns oder Seeigels. Auf der andern Seite könnte hohe Erregbarkeit beider Keimzellen etwa durch allzu raschen Ablauf der ver- wickelten Vorgänge der Reduction des Keimplasma’s im Ei und der nachfolgenden Copulation von Ei- und Samen-Keimplasma zu Ungenauigkeiten und dadurch zu unregelmässiger Ent- wickelung führen.
Neue Anlagen können freilich durch solche Abweichungen vom normalen Entwickelungsgang niemals entstehen, und von einer Änderung der Vererbung kann deshalb nicht die Rede
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0532"n="508"/>
bedeutend zurückgehalten werden kann durch Einwirkung ver-<lb/>
schiedener chemischer Substanzen, wie Chloral, Chinin, Mor-<lb/>
phium u. s. w., wir wissen auch, dass Eier von Seeigeln, wenn<lb/>
sie zu lange im Seewasser auf die Befruchtung warten müssen,<lb/>
eine Minderung ihrer Lebensenergie erfahren und in Folge dessen<lb/>
dem Eindringen <hirendition="#g">vieler</hi>, statt nur eines <hirendition="#g">einzigen</hi> Spermatozoon’s<lb/>
ausgesetzt sind. Dasselbe kann auch durch die genannten<lb/>
chemischen Agentien geschehen, und in beiden Fällen ist abnorme<lb/>
Entwickelung des Eies, vielleicht Doppelbildungen u. s. w. die<lb/>
Folge davon.</p><lb/><p>Es scheint mir nicht unmöglich, dass eine Beimischung<lb/>
von Alkohol zum Blute der Zeugenden ähnliche Wirkungen<lb/>
auf die Eizelle und Samenzelle ausüben könnte. Je nach dem<lb/>
Grade der Alkoholbeimischung könnte eine excitirende oder<lb/>
lähmende Wirkung eintreten, und Beides würde zu abnormer<lb/>
Entwickelung führen können. Lähmung <hirendition="#g">beider</hi> Keimzellen würde<lb/>
allerdings wohl den Befruchtungsvorgang nur verlangsamen<lb/>
oder ganz verhindern, aber Lähmung der Eizelle <hirendition="#g">allein</hi> müsste<lb/>
Überfruchtung (Polyspermie) herbeiführen, und dasselbe möchte<lb/>
bei einseitiger Erregung der Samenzellen eintreten können.<lb/>
Das Eindringen mehrerer Spermatozoen würde aber in dem<lb/>
dotterarmen und kleinen Ei des Menschen ebenso zu abnormer<lb/>
Entwicklung Veranlassung geben, wie in dem Ei des Seesterns<lb/>
oder Seeigels. Auf der andern Seite könnte hohe Erregbarkeit<lb/><hirendition="#g">beider</hi> Keimzellen etwa durch allzu raschen Ablauf der ver-<lb/>
wickelten Vorgänge der Reduction des Keimplasma’s im Ei und<lb/>
der nachfolgenden Copulation von Ei- und Samen-Keimplasma<lb/>
zu Ungenauigkeiten und dadurch zu unregelmässiger Ent-<lb/>
wickelung führen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Neue Anlagen</hi> können freilich durch solche Abweichungen<lb/>
vom normalen Entwickelungsgang niemals entstehen, und von<lb/>
einer Änderung der <hirendition="#g">Vererbung</hi> kann deshalb nicht die Rede<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[508/0532]
bedeutend zurückgehalten werden kann durch Einwirkung ver-
schiedener chemischer Substanzen, wie Chloral, Chinin, Mor-
phium u. s. w., wir wissen auch, dass Eier von Seeigeln, wenn
sie zu lange im Seewasser auf die Befruchtung warten müssen,
eine Minderung ihrer Lebensenergie erfahren und in Folge dessen
dem Eindringen vieler, statt nur eines einzigen Spermatozoon’s
ausgesetzt sind. Dasselbe kann auch durch die genannten
chemischen Agentien geschehen, und in beiden Fällen ist abnorme
Entwickelung des Eies, vielleicht Doppelbildungen u. s. w. die
Folge davon.
Es scheint mir nicht unmöglich, dass eine Beimischung
von Alkohol zum Blute der Zeugenden ähnliche Wirkungen
auf die Eizelle und Samenzelle ausüben könnte. Je nach dem
Grade der Alkoholbeimischung könnte eine excitirende oder
lähmende Wirkung eintreten, und Beides würde zu abnormer
Entwickelung führen können. Lähmung beider Keimzellen würde
allerdings wohl den Befruchtungsvorgang nur verlangsamen
oder ganz verhindern, aber Lähmung der Eizelle allein müsste
Überfruchtung (Polyspermie) herbeiführen, und dasselbe möchte
bei einseitiger Erregung der Samenzellen eintreten können.
Das Eindringen mehrerer Spermatozoen würde aber in dem
dotterarmen und kleinen Ei des Menschen ebenso zu abnormer
Entwicklung Veranlassung geben, wie in dem Ei des Seesterns
oder Seeigels. Auf der andern Seite könnte hohe Erregbarkeit
beider Keimzellen etwa durch allzu raschen Ablauf der ver-
wickelten Vorgänge der Reduction des Keimplasma’s im Ei und
der nachfolgenden Copulation von Ei- und Samen-Keimplasma
zu Ungenauigkeiten und dadurch zu unregelmässiger Ent-
wickelung führen.
Neue Anlagen können freilich durch solche Abweichungen
vom normalen Entwickelungsgang niemals entstehen, und von
einer Änderung der Vererbung kann deshalb nicht die Rede
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/532>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.