Da nun andrerseits durch beide Versuche bewiesen ist, dass die alte Annahme der Lepidopterologen richtig ist, wonach auch die einmalige Einwirkung von Wärme einen deutschen Schmetterling schwärzlich machen kann, und ferner feststeht, dass die einmalige Anwendung der Kälte einen neapolitanischen Schmetterling weniger schwarz machen kann, so liegt die An- nahme nahe, dass die beiden Varietäten auf einer langsamen und cumulativen Einwirkung des Klima's beruhen möchten, in der Weise, dass die schwache Wirkung eines Sommers oder eines Winters sich auf die folgende Generation vererbt, und nun von Generation zu Generation gesteigert habe. Wir hätten also dann eine Vererbung erworbener Eigenschaften.
Ich glaube aber durchaus nicht, dass dies die richtige Deutung der Thatsachen ist. Wäre es so, so könnte keine Verbreitungs- zone vorkommen, wo die Art saisondimorph ist, wie ich dies für die ligurische Küste selbst festgestellt habe. Es müsste dann das Keimplasma entweder die Anlage der rothen oder der schwarzen Varietät enthalten; die erstere, wenn lange Gene- rationen hindurch niedere Wärme auf die betreffende Colonie eingewirkt hätte, die zweite, wenn ebenso lang hohe Wärme ein- gewirkt hätte. Es könnte dann keinen Unterschied machen, welcher Temperatur eine einzelne Generation heute künstlich ausgesetzt wird, denn das Keimplasma enthielte schon in sich die Bestimmung der Farbe es enthielte, in meine Ausdrucks- weise übersetzt, entweder "rothgoldene" oder "schwarze" De- terminanten für die betreffenden Flügelschuppen. Dann wäre es ganz unmöglich, dass bei der Frühjahrsgeneration rothgoldene, bei der Sommergeneration schwarze Schuppen sich bildeten, denn es wären eben für eine bestimmte Flügelstelle nur ent- weder rothe oder schwarze Determinanten im Keimplasma ent- halten.
Ich glaube, dass gerade die Determinantenlehre eine sehr
Da nun andrerseits durch beide Versuche bewiesen ist, dass die alte Annahme der Lepidopterologen richtig ist, wonach auch die einmalige Einwirkung von Wärme einen deutschen Schmetterling schwärzlich machen kann, und ferner feststeht, dass die einmalige Anwendung der Kälte einen neapolitanischen Schmetterling weniger schwarz machen kann, so liegt die An- nahme nahe, dass die beiden Varietäten auf einer langsamen und cumulativen Einwirkung des Klima’s beruhen möchten, in der Weise, dass die schwache Wirkung eines Sommers oder eines Winters sich auf die folgende Generation vererbt, und nun von Generation zu Generation gesteigert habe. Wir hätten also dann eine Vererbung erworbener Eigenschaften.
Ich glaube aber durchaus nicht, dass dies die richtige Deutung der Thatsachen ist. Wäre es so, so könnte keine Verbreitungs- zone vorkommen, wo die Art saisondimorph ist, wie ich dies für die ligurische Küste selbst festgestellt habe. Es müsste dann das Keimplasma entweder die Anlage der rothen oder der schwarzen Varietät enthalten; die erstere, wenn lange Gene- rationen hindurch niedere Wärme auf die betreffende Colonie eingewirkt hätte, die zweite, wenn ebenso lang hohe Wärme ein- gewirkt hätte. Es könnte dann keinen Unterschied machen, welcher Temperatur eine einzelne Generation heute künstlich ausgesetzt wird, denn das Keimplasma enthielte schon in sich die Bestimmung der Farbe es enthielte, in meine Ausdrucks- weise übersetzt, entweder „rothgoldene“ oder „schwarze“ De- terminanten für die betreffenden Flügelschuppen. Dann wäre es ganz unmöglich, dass bei der Frühjahrsgeneration rothgoldene, bei der Sommergeneration schwarze Schuppen sich bildeten, denn es wären eben für eine bestimmte Flügelstelle nur ent- weder rothe oder schwarze Determinanten im Keimplasma ent- halten.
Ich glaube, dass gerade die Determinantenlehre eine sehr
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Da nun andrerseits durch beide Versuche bewiesen ist, dass
die alte Annahme der Lepidopterologen richtig ist, wonach
auch die einmalige Einwirkung von Wärme einen deutschen
Schmetterling schwärzlich machen kann, und ferner feststeht,
dass die einmalige Anwendung der Kälte einen neapolitanischen
Schmetterling weniger schwarz machen kann, so liegt die An-
nahme nahe, dass die beiden Varietäten auf einer langsamen
und cumulativen Einwirkung des Klima’s beruhen möchten, in
der Weise, dass die schwache Wirkung eines Sommers oder
eines Winters sich auf die folgende Generation vererbt, und
nun von Generation zu Generation gesteigert habe. Wir hätten
also dann eine Vererbung erworbener Eigenschaften.
Ich glaube aber durchaus nicht, dass dies die richtige Deutung
der Thatsachen ist. Wäre es so, so könnte keine Verbreitungs-
zone vorkommen, wo die Art saisondimorph ist, wie ich dies
für die ligurische Küste selbst festgestellt habe. Es müsste
dann das Keimplasma entweder die Anlage der rothen oder der
schwarzen Varietät enthalten; die erstere, wenn lange Gene-
rationen hindurch niedere Wärme auf die betreffende Colonie
eingewirkt hätte, die zweite, wenn ebenso lang hohe Wärme ein-
gewirkt hätte. Es könnte dann keinen Unterschied machen,
welcher Temperatur eine einzelne Generation heute künstlich
ausgesetzt wird, denn das Keimplasma enthielte schon in sich
die Bestimmung der Farbe es enthielte, in meine Ausdrucks-
weise übersetzt, entweder „rothgoldene“ oder „schwarze“ De-
terminanten für die betreffenden Flügelschuppen. Dann wäre
es ganz unmöglich, dass bei der Frühjahrsgeneration rothgoldene,
bei der Sommergeneration schwarze Schuppen sich bildeten,
denn es wären eben für eine bestimmte Flügelstelle nur ent-
weder rothe oder schwarze Determinanten im Keimplasma ent-
halten.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/549>, abgerufen am 22.11.2024.
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