schwer, ja wohl unmöglich, aus den bisher bekannt gewordenen Beobachtungen diese Fälle mit Sicherheit herauszufinden. "Hunde bedecken sich in Kaschmir bald mit Wolle"1), so heisst es, aber Wer hat es beobachtet und Wer hat festgestellt, dass diese Veränderung -- falls sie wirklich eintritt -- sich vererbt. "Merinoschafe verlieren die feine Wolle, wenn sie in tropisches Klima gebracht werden", aber ich habe keine Angabe finden können, ob dieser Verlust nicht etwa schon in der ersten Gene- ration eintritt, anstatt erst im Laufe mehrerer. Wir bleiben somit im Unklaren, ob hier nicht vielleicht blos eine direkte Veränderung eines somatischen Theiles des Haares durch das Klima bewirkt wird, welche in der folgenden Generation wieder verschwindet, falls die Nachkommen in das ursprüngliche Klima zurückversetzt würden. Die nackten tropischen Hunderassen, z. B. der Guinea-Hund, gehören vielleicht hierher, denn "sie bekommen das verlorene Haar nicht wieder, wenn sie in ge- mässigtes Klima gebracht werden".2)
Auch bei Pflanzen mögen manche der klimatischen Ab- arten ganz oder theilweise auf gleichzeitiger Veränderung ent- sprechender Determinanten in irgend einem Theile des Soma und im Keimplasma der Fortpflanzungszellen beruhen, und solche Abänderungen sind nothwendigerweise erblich. Tempe- ratur, Ernährung im weitesten Sinne treffen den ganzen Pflanzen- körper, somatische und Keimzellen. Ob aber auch hier Deter- minanten, welche schon im Soma liegen, stärker beeinflusst werden, als wenn sie noch im Keimplasma enthalten sind, wird
1) Ich citire nach einem Aufsatz von Giard, der die angezogenen Daten für Beweise einer Vererbung somatogener Vererbung nimmt. Vergl. "L'heredite des modifications somatiques" in der "Revue scienti- fique" vom 6. December 1890.
2) Vergl. auch die von Darwin sorgfältig gesammelten Fälle über Entartung der Nachkommen europäischer Hunde in Indien. "Var. der Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestication" I, p. 45.
schwer, ja wohl unmöglich, aus den bisher bekannt gewordenen Beobachtungen diese Fälle mit Sicherheit herauszufinden. „Hunde bedecken sich in Kaschmir bald mit Wolle“1), so heisst es, aber Wer hat es beobachtet und Wer hat festgestellt, dass diese Veränderung — falls sie wirklich eintritt — sich vererbt. „Merinoschafe verlieren die feine Wolle, wenn sie in tropisches Klima gebracht werden“, aber ich habe keine Angabe finden können, ob dieser Verlust nicht etwa schon in der ersten Gene- ration eintritt, anstatt erst im Laufe mehrerer. Wir bleiben somit im Unklaren, ob hier nicht vielleicht blos eine direkte Veränderung eines somatischen Theiles des Haares durch das Klima bewirkt wird, welche in der folgenden Generation wieder verschwindet, falls die Nachkommen in das ursprüngliche Klima zurückversetzt würden. Die nackten tropischen Hunderassen, z. B. der Guinea-Hund, gehören vielleicht hierher, denn „sie bekommen das verlorene Haar nicht wieder, wenn sie in ge- mässigtes Klima gebracht werden“.2)
Auch bei Pflanzen mögen manche der klimatischen Ab- arten ganz oder theilweise auf gleichzeitiger Veränderung ent- sprechender Determinanten in irgend einem Theile des Soma und im Keimplasma der Fortpflanzungszellen beruhen, und solche Abänderungen sind nothwendigerweise erblich. Tempe- ratur, Ernährung im weitesten Sinne treffen den ganzen Pflanzen- körper, somatische und Keimzellen. Ob aber auch hier Deter- minanten, welche schon im Soma liegen, stärker beeinflusst werden, als wenn sie noch im Keimplasma enthalten sind, wird
1) Ich citire nach einem Aufsatz von Giard, der die angezogenen Daten für Beweise einer Vererbung somatogener Vererbung nimmt. Vergl. „L’hérédité des modifications somatiques“ in der „Revue scienti- fique“ vom 6. December 1890.
2) Vergl. auch die von Darwin sorgfältig gesammelten Fälle über Entartung der Nachkommen europäischer Hunde in Indien. „Var. der Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestication“ I, p. 45.
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schwer, ja wohl unmöglich, aus den bisher bekannt gewordenen
Beobachtungen diese Fälle mit Sicherheit herauszufinden. „Hunde
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Wer hat es beobachtet und Wer hat festgestellt, dass diese
Veränderung — falls sie wirklich eintritt — sich vererbt.
„Merinoschafe verlieren die feine Wolle, wenn sie in tropisches
Klima gebracht werden“, aber ich habe keine Angabe finden
können, ob dieser Verlust nicht etwa schon in der ersten Gene-
ration eintritt, anstatt erst im Laufe mehrerer. Wir bleiben
somit im Unklaren, ob hier nicht vielleicht blos eine direkte
Veränderung eines somatischen Theiles des Haares durch das
Klima bewirkt wird, welche in der folgenden Generation wieder
verschwindet, falls die Nachkommen in das ursprüngliche Klima
zurückversetzt würden. Die nackten tropischen Hunderassen,
z. B. der Guinea-Hund, gehören vielleicht hierher, denn „sie
bekommen das verlorene Haar nicht wieder, wenn sie in ge-
mässigtes Klima gebracht werden“. 2)
Auch bei Pflanzen mögen manche der klimatischen Ab-
arten ganz oder theilweise auf gleichzeitiger Veränderung ent-
sprechender Determinanten in irgend einem Theile des Soma
und im Keimplasma der Fortpflanzungszellen beruhen, und
solche Abänderungen sind nothwendigerweise erblich. Tempe-
ratur, Ernährung im weitesten Sinne treffen den ganzen Pflanzen-
körper, somatische und Keimzellen. Ob aber auch hier Deter-
minanten, welche schon im Soma liegen, stärker beeinflusst
werden, als wenn sie noch im Keimplasma enthalten sind, wird
1) Ich citire nach einem Aufsatz von Giard, der die angezogenen
Daten für Beweise einer Vererbung somatogener Vererbung nimmt.
Vergl. „L’hérédité des modifications somatiques“ in der „Revue scienti-
fique“ vom 6. December 1890.
2) Vergl. auch die von Darwin sorgfältig gesammelten Fälle über
Entartung der Nachkommen europäischer Hunde in Indien. „Var. der
Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestication“ I, p. 45.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/556>, abgerufen am 22.11.2024.
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