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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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brochene Formenreihen uns vorführen, welche durch die An-
nahme der Vererbung funktioneller Abänderungen scheinbar sehr
leicht und einfach zu erklären wären. Aber müssten wir nicht
ganz ebenso schöne und lückenlose Übergangsreihen erhalten,
falls die Phylogenese wesentlich auf Selection beruhte, d. h.
auf der immer vollkommeneren Anpassung an gewisse äussere
Bedingungen des Lebens von ganz allgemeiner Natur? Mir
scheint, dass weder die Vollständigkeit der Entwickelungsreihen,
noch die genaue Beziehung der Natur der Abänderungen zur
Funktion irgend Etwas über die Ursachen aussagen, welche
diese Entwickelungsreihen hervorgerufen haben. An und für
sich könnte ebenso gut fortgesetzte Selection, als fortgesetzte
Vererbung funktioneller Abänderungen solchen Reihen zu Grunde
liegen.

Wenn aber ein hervorragender Forscher Amerika's, Lester
Ward
1), meint, dass der Beweis, dass klimatische Einflüsse das
Keimplasma verändern können, Alles enthielte, was die Neu-
Lamarckische
Schule verlange, so irrt er sich. In dem Ab-
schnitt über Variation wird noch genauer dargelegt werden,
wie ich mir die Entstehung der Variation heute vorstelle; aber
ganz abgesehen davon, ist es sicherlich etwas ganz Anderes,
wenn behauptet wird, dass klimatische Einflüsse das Keimplasma
verändern können, als dass funktionelle Abänderungen irgend
eines Organes das Keimplasma verändern könnten, und gar in
korrespondirender Weise. Für die erstere Behauptung glaube
ich hier den Beweis erbracht zu haben, für die zweite aber
würden ihn die Neu-Lamarckianer erst beizubringen haben.


1) Vergl. Dessen gegen meine Ansichten gerichtete, übrigens durch-
aus objectiv und echt wissenschaftlich gehaltene Schrift: "Neo-Darwi-
nism and Neo-Lamarckism", Washington 1891.

brochene Formenreihen uns vorführen, welche durch die An-
nahme der Vererbung funktioneller Abänderungen scheinbar sehr
leicht und einfach zu erklären wären. Aber müssten wir nicht
ganz ebenso schöne und lückenlose Übergangsreihen erhalten,
falls die Phylogenese wesentlich auf Selection beruhte, d. h.
auf der immer vollkommeneren Anpassung an gewisse äussere
Bedingungen des Lebens von ganz allgemeiner Natur? Mir
scheint, dass weder die Vollständigkeit der Entwickelungsreihen,
noch die genaue Beziehung der Natur der Abänderungen zur
Funktion irgend Etwas über die Ursachen aussagen, welche
diese Entwickelungsreihen hervorgerufen haben. An und für
sich könnte ebenso gut fortgesetzte Selection, als fortgesetzte
Vererbung funktioneller Abänderungen solchen Reihen zu Grunde
liegen.

Wenn aber ein hervorragender Forscher Amerika’s, Lester
Ward
1), meint, dass der Beweis, dass klimatische Einflüsse das
Keimplasma verändern können, Alles enthielte, was die Neu-
Lamarckische
Schule verlange, so irrt er sich. In dem Ab-
schnitt über Variation wird noch genauer dargelegt werden,
wie ich mir die Entstehung der Variation heute vorstelle; aber
ganz abgesehen davon, ist es sicherlich etwas ganz Anderes,
wenn behauptet wird, dass klimatische Einflüsse das Keimplasma
verändern können, als dass funktionelle Abänderungen irgend
eines Organes das Keimplasma verändern könnten, und gar in
korrespondirender Weise. Für die erstere Behauptung glaube
ich hier den Beweis erbracht zu haben, für die zweite aber
würden ihn die Neu-Lamarckianer erst beizubringen haben.


1) Vergl. Dessen gegen meine Ansichten gerichtete, übrigens durch-
aus objectiv und echt wissenschaftlich gehaltene Schrift: „Neo-Darwi-
nism and Neo-Lamarckism“, Washington 1891.
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[536/0560] brochene Formenreihen uns vorführen, welche durch die An- nahme der Vererbung funktioneller Abänderungen scheinbar sehr leicht und einfach zu erklären wären. Aber müssten wir nicht ganz ebenso schöne und lückenlose Übergangsreihen erhalten, falls die Phylogenese wesentlich auf Selection beruhte, d. h. auf der immer vollkommeneren Anpassung an gewisse äussere Bedingungen des Lebens von ganz allgemeiner Natur? Mir scheint, dass weder die Vollständigkeit der Entwickelungsreihen, noch die genaue Beziehung der Natur der Abänderungen zur Funktion irgend Etwas über die Ursachen aussagen, welche diese Entwickelungsreihen hervorgerufen haben. An und für sich könnte ebenso gut fortgesetzte Selection, als fortgesetzte Vererbung funktioneller Abänderungen solchen Reihen zu Grunde liegen. Wenn aber ein hervorragender Forscher Amerika’s, Lester Ward 1), meint, dass der Beweis, dass klimatische Einflüsse das Keimplasma verändern können, Alles enthielte, was die Neu- Lamarckische Schule verlange, so irrt er sich. In dem Ab- schnitt über Variation wird noch genauer dargelegt werden, wie ich mir die Entstehung der Variation heute vorstelle; aber ganz abgesehen davon, ist es sicherlich etwas ganz Anderes, wenn behauptet wird, dass klimatische Einflüsse das Keimplasma verändern können, als dass funktionelle Abänderungen irgend eines Organes das Keimplasma verändern könnten, und gar in korrespondirender Weise. Für die erstere Behauptung glaube ich hier den Beweis erbracht zu haben, für die zweite aber würden ihn die Neu-Lamarckianer erst beizubringen haben. 1) Vergl. Dessen gegen meine Ansichten gerichtete, übrigens durch- aus objectiv und echt wissenschaftlich gehaltene Schrift: „Neo-Darwi- nism and Neo-Lamarckism“, Washington 1891.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/560>, abgerufen am 22.11.2024.