solcher abgeänderter Determinanten eine bedeutsame Rolle spielen, indem sie die bisherige Minorität derselben in den beiden Eltern durch Combination ihrer Keimplasma-Hälften zur Majorität er- heben kann. Dann erst beginnt Selection einzugreifen.
Die ausserordentliche Bedeutung der geschlechtlichen Fort- pflanzung für die Umwandlungsprocesse wird aber erst in ihrem vollen Umfange ersichtlich, wenn man sich klar macht, dass es sich in der Natur selten oder nie nur um eine einzelne Ab- änderung handelt, vielmehr meist um viele zugleich. Nur durch Amphimixis war es möglich, den Selections- processen stets so mannigfaltige Combinationen aller Charaktere darzubieten, dass die richtige Auswahl getroffen werden konnte. Wenn meine seit lange schon festgehaltene Ansicht richtig ist, so kommt es überhaupt nie vor, dass nur ein Charakter gezüchtet wird, sondern der ge- sammte Complex sämmtlicher Charaktere einer Art unterliegt unausgesetzt der Controle der Naturzüchtung, und sowohl die Constanz der augenblicklichen Artcharaktere, als die Beseitigung überflüssig gewordener, als schliesslich die Umwandlung vor- handener und Hervorrufung neuer Charaktere beruht auf der nie rastenden oder aussetzenden Controle der Auslese. Dies ist nur denkbar bei fortwährender Vermischung aller vorkom- menden Modalitäten dieser Charaktere und diese kann nur durch Amphimixis bewirkt werden. Wenn deshalb Amphimixis auch nicht die tiefste Wurzel der individuellen Variation sein kann, so ist sie doch für die Selection eine unerlässliche Voraussetzung, denn sie allein combinirt erst das Material an Variationen der- art, dass Selection damit operiren kann.
Die hier vorgetragene Theorie der Variation giebt noch nach einer andern Seite hin befriedigendere Auskunft, als sie von anderer Basis aus möglich ist. Wer die unbegrenzte Menge der Anpassungen der Organismen an ihre Lebensbedingungen
solcher abgeänderter Determinanten eine bedeutsame Rolle spielen, indem sie die bisherige Minorität derselben in den beiden Eltern durch Combination ihrer Keimplasma-Hälften zur Majorität er- heben kann. Dann erst beginnt Selection einzugreifen.
Die ausserordentliche Bedeutung der geschlechtlichen Fort- pflanzung für die Umwandlungsprocesse wird aber erst in ihrem vollen Umfange ersichtlich, wenn man sich klar macht, dass es sich in der Natur selten oder nie nur um eine einzelne Ab- änderung handelt, vielmehr meist um viele zugleich. Nur durch Amphimixis war es möglich, den Selections- processen stets so mannigfaltige Combinationen aller Charaktere darzubieten, dass die richtige Auswahl getroffen werden konnte. Wenn meine seit lange schon festgehaltene Ansicht richtig ist, so kommt es überhaupt nie vor, dass nur ein Charakter gezüchtet wird, sondern der ge- sammte Complex sämmtlicher Charaktere einer Art unterliegt unausgesetzt der Controle der Naturzüchtung, und sowohl die Constanz der augenblicklichen Artcharaktere, als die Beseitigung überflüssig gewordener, als schliesslich die Umwandlung vor- handener und Hervorrufung neuer Charaktere beruht auf der nie rastenden oder aussetzenden Controle der Auslese. Dies ist nur denkbar bei fortwährender Vermischung aller vorkom- menden Modalitäten dieser Charaktere und diese kann nur durch Amphimixis bewirkt werden. Wenn deshalb Amphimixis auch nicht die tiefste Wurzel der individuellen Variation sein kann, so ist sie doch für die Selection eine unerlässliche Voraussetzung, denn sie allein combinirt erst das Material an Variationen der- art, dass Selection damit operiren kann.
Die hier vorgetragene Theorie der Variation giebt noch nach einer andern Seite hin befriedigendere Auskunft, als sie von anderer Basis aus möglich ist. Wer die unbegrenzte Menge der Anpassungen der Organismen an ihre Lebensbedingungen
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solcher abgeänderter Determinanten eine bedeutsame Rolle spielen,
indem sie die bisherige Minorität derselben in den beiden Eltern
durch Combination ihrer Keimplasma-Hälften zur Majorität er-
heben kann. Dann erst beginnt Selection einzugreifen.
Die ausserordentliche Bedeutung der geschlechtlichen Fort-
pflanzung für die Umwandlungsprocesse wird aber erst in ihrem
vollen Umfange ersichtlich, wenn man sich klar macht, dass es
sich in der Natur selten oder nie nur um eine einzelne Ab-
änderung handelt, vielmehr meist um viele zugleich. Nur
durch Amphimixis war es möglich, den Selections-
processen stets so mannigfaltige Combinationen aller
Charaktere darzubieten, dass die richtige Auswahl
getroffen werden konnte. Wenn meine seit lange schon
festgehaltene Ansicht richtig ist, so kommt es überhaupt nie
vor, dass nur ein Charakter gezüchtet wird, sondern der ge-
sammte Complex sämmtlicher Charaktere einer Art unterliegt
unausgesetzt der Controle der Naturzüchtung, und sowohl die
Constanz der augenblicklichen Artcharaktere, als die Beseitigung
überflüssig gewordener, als schliesslich die Umwandlung vor-
handener und Hervorrufung neuer Charaktere beruht auf der
nie rastenden oder aussetzenden Controle der Auslese. Dies
ist nur denkbar bei fortwährender Vermischung aller vorkom-
menden Modalitäten dieser Charaktere und diese kann nur durch
Amphimixis bewirkt werden. Wenn deshalb Amphimixis auch
nicht die tiefste Wurzel der individuellen Variation sein kann,
so ist sie doch für die Selection eine unerlässliche Voraussetzung,
denn sie allein combinirt erst das Material an Variationen der-
art, dass Selection damit operiren kann.
Die hier vorgetragene Theorie der Variation giebt noch
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von anderer Basis aus möglich ist. Wer die unbegrenzte Menge
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/591>, abgerufen am 22.11.2024.
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