Die Grundlage einer jeden Vererbung ist die Zusammen- setzung der lebenden Substanz aus kleinsten lebenden Einheiten, die wir Biophoren nannten, welche die Fähigkeit der Assimi- lation, des Wachsthums und der Vermehrung durch Theilung besitzen. Die denkbar niedersten Organismen kennen wir nicht und wissen nicht, ob sie noch existiren. Jedenfalls haben sie einmal existirt und zwar als einzelne Biophoren, deren Ver- erbung ohne besonderen weiteren Mechanismus mit der Ver- mehrung zusammenfiel.
Höhere Wesen wären schon solche gewesen, die sich aus vielen Biophoren derselben Art zusammensetzten. Auch von ihnen besitzen wir keine auf Beobachtung sicher zu gründende Kunde, aber wir müssen schliessen, dass auch bei ihnen Ver- erbung keinen besonderen Apparat erfordert, indem Vermehrung durch Zweitheilung zwei völlig congruente Hälften hervor- bringen muss, von denen jede die gleichen Biophoren besitzt, und welche sich einfach durch Vermehrung dieser Letzteren wieder zu einem dem Mutterthier völlig ähnlichen Bion er- gänzt.
Diese einfache Art der Vererbung muss sich geändert haben, sobald die Biophoren durch Arbeitstheilung verschieden- artig wurden und in verschiedenen Zusammenstellungen den Körper des Bion zusammensetzten. Man könnte diese Art hypothetischer Wesen als Hetero-Biophoriden den vorigen Homo- Biophoriden gegenüberstellen. Bei ihnen kann nicht nur eine
Zusammenfassung der vier Bücher und Abschluss.
Die Grundlage einer jeden Vererbung ist die Zusammen- setzung der lebenden Substanz aus kleinsten lebenden Einheiten, die wir Biophoren nannten, welche die Fähigkeit der Assimi- lation, des Wachsthums und der Vermehrung durch Theilung besitzen. Die denkbar niedersten Organismen kennen wir nicht und wissen nicht, ob sie noch existiren. Jedenfalls haben sie einmal existirt und zwar als einzelne Biophoren, deren Ver- erbung ohne besonderen weiteren Mechanismus mit der Ver- mehrung zusammenfiel.
Höhere Wesen wären schon solche gewesen, die sich aus vielen Biophoren derselben Art zusammensetzten. Auch von ihnen besitzen wir keine auf Beobachtung sicher zu gründende Kunde, aber wir müssen schliessen, dass auch bei ihnen Ver- erbung keinen besonderen Apparat erfordert, indem Vermehrung durch Zweitheilung zwei völlig congruente Hälften hervor- bringen muss, von denen jede die gleichen Biophoren besitzt, und welche sich einfach durch Vermehrung dieser Letzteren wieder zu einem dem Mutterthier völlig ähnlichen Bion er- gänzt.
Diese einfache Art der Vererbung muss sich geändert haben, sobald die Biophoren durch Arbeitstheilung verschieden- artig wurden und in verschiedenen Zusammenstellungen den Körper des Bion zusammensetzten. Man könnte diese Art hypothetischer Wesen als Hetero-Biophoriden den vorigen Homo- Biophoriden gegenüberstellen. Bei ihnen kann nicht nur eine
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Zusammenfassung der vier Bücher und
Abschluss.
Die Grundlage einer jeden Vererbung ist die Zusammen-
setzung der lebenden Substanz aus kleinsten lebenden Einheiten,
die wir Biophoren nannten, welche die Fähigkeit der Assimi-
lation, des Wachsthums und der Vermehrung durch Theilung
besitzen. Die denkbar niedersten Organismen kennen wir nicht
und wissen nicht, ob sie noch existiren. Jedenfalls haben sie
einmal existirt und zwar als einzelne Biophoren, deren Ver-
erbung ohne besonderen weiteren Mechanismus mit der Ver-
mehrung zusammenfiel.
Höhere Wesen wären schon solche gewesen, die sich aus
vielen Biophoren derselben Art zusammensetzten. Auch von
ihnen besitzen wir keine auf Beobachtung sicher zu gründende
Kunde, aber wir müssen schliessen, dass auch bei ihnen Ver-
erbung keinen besonderen Apparat erfordert, indem Vermehrung
durch Zweitheilung zwei völlig congruente Hälften hervor-
bringen muss, von denen jede die gleichen Biophoren besitzt,
und welche sich einfach durch Vermehrung dieser Letzteren
wieder zu einem dem Mutterthier völlig ähnlichen Bion er-
gänzt.
Diese einfache Art der Vererbung muss sich geändert
haben, sobald die Biophoren durch Arbeitstheilung verschieden-
artig wurden und in verschiedenen Zusammenstellungen den
Körper des Bion zusammensetzten. Man könnte diese Art
hypothetischer Wesen als Hetero-Biophoriden den vorigen Homo-
Biophoriden gegenüberstellen. Bei ihnen kann nicht nur eine
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. [591]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/615>, abgerufen am 22.11.2024.
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