de Vries mit Recht geltend gemacht, dass sie zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreicht, weil sie die Grundlage dessen, was erklärt werden soll, voraussetzt. Wenn die Zelle irgend einer Pflanze die erbliche Eigenschaft erhalten soll, Apfelsäure zu bilden, so könnten zwar wohl diejenigen "Pangene" des Zellkörpers, welche diese Säure hervorbringen können, durch Fortpflanzung molekülarer Erregungen des Kerns in Thätigkeit gerathen, aber ihr Vorhandensein werde dabei vorausgesetzt, und die Hauptfrage -- wie kommen diese Apfelsäure-Bildner in die Zelle? -- bleibe ungelöst.
Auch der Versuch Haberlandt's1), die Beherrschung der Zelle durch den Kern auf enzymatische Wirkungen desselben zurückzuführen, also auf eine Ausscheidung bestimmter chemi- scher Verbindungen, welche die Zellsubstanz veranlassten, sich in bestimmter Weise zu verändern, wird von de Vries als nicht ausreichend betrachtet, weil auch bei ihm eine bestimmte Differenzirung des Zellkörpers als schon vorhanden vorausgesetzt werden muss.
De Vries selbst giebt eine Lösung des Räthsels, welche jedenfalls den Vorzug grosser Einfachheit und Klarheit hat. Nach seiner Ansicht tritt immer ein Theil der "Pangene", welche die Kernsubstanz zusammensetzen, durch die Kernmem- bran in den Zellkörper aus und bildet dort die Zelltheile und Zellorgane, deren specifische "Eigenschaftsträger" sie sind.
Obgleich ich früher der Strasburger'schen Ansicht zu- neigte, so erschien sie mir doch immer mehr als eine formale, denn als eine reale Lösung des Räthsels, mehr als eine provi- sorische Formel, denn als wirkliche Einsicht. Ich möchte den de Vries'schen Gedanken eines Austritts specifischer kleinster Lebenstheilchen aus dem Kern in den Zellkörper für eine äusserst
1) G. Haberlandt, "Über die Beziehungen zwischen Funktion und Lage des Zellkerns", 1887.
de Vries mit Recht geltend gemacht, dass sie zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreicht, weil sie die Grundlage dessen, was erklärt werden soll, voraussetzt. Wenn die Zelle irgend einer Pflanze die erbliche Eigenschaft erhalten soll, Apfelsäure zu bilden, so könnten zwar wohl diejenigen „Pangene“ des Zellkörpers, welche diese Säure hervorbringen können, durch Fortpflanzung molekülarer Erregungen des Kerns in Thätigkeit gerathen, aber ihr Vorhandensein werde dabei vorausgesetzt, und die Hauptfrage — wie kommen diese Apfelsäure-Bildner in die Zelle? — bleibe ungelöst.
Auch der Versuch Haberlandt’s1), die Beherrschung der Zelle durch den Kern auf enzymatische Wirkungen desselben zurückzuführen, also auf eine Ausscheidung bestimmter chemi- scher Verbindungen, welche die Zellsubstanz veranlassten, sich in bestimmter Weise zu verändern, wird von de Vries als nicht ausreichend betrachtet, weil auch bei ihm eine bestimmte Differenzirung des Zellkörpers als schon vorhanden vorausgesetzt werden muss.
De Vries selbst giebt eine Lösung des Räthsels, welche jedenfalls den Vorzug grosser Einfachheit und Klarheit hat. Nach seiner Ansicht tritt immer ein Theil der „Pangene“, welche die Kernsubstanz zusammensetzen, durch die Kernmem- bran in den Zellkörper aus und bildet dort die Zelltheile und Zellorgane, deren specifische „Eigenschaftsträger“ sie sind.
Obgleich ich früher der Strasburger’schen Ansicht zu- neigte, so erschien sie mir doch immer mehr als eine formale, denn als eine reale Lösung des Räthsels, mehr als eine provi- sorische Formel, denn als wirkliche Einsicht. Ich möchte den de Vries’schen Gedanken eines Austritts specifischer kleinster Lebenstheilchen aus dem Kern in den Zellkörper für eine äusserst
1) G. Haberlandt, „Über die Beziehungen zwischen Funktion und Lage des Zellkerns“, 1887.
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[62/0086]
de Vries mit Recht geltend gemacht, dass sie zur Erklärung
der Erscheinungen nicht ausreicht, weil sie die Grundlage dessen,
was erklärt werden soll, voraussetzt. Wenn die Zelle irgend
einer Pflanze die erbliche Eigenschaft erhalten soll, Apfelsäure
zu bilden, so könnten zwar wohl diejenigen „Pangene“ des
Zellkörpers, welche diese Säure hervorbringen können, durch
Fortpflanzung molekülarer Erregungen des Kerns in Thätigkeit
gerathen, aber ihr Vorhandensein werde dabei vorausgesetzt,
und die Hauptfrage — wie kommen diese Apfelsäure-Bildner
in die Zelle? — bleibe ungelöst.
Auch der Versuch Haberlandt’s 1), die Beherrschung der
Zelle durch den Kern auf enzymatische Wirkungen desselben
zurückzuführen, also auf eine Ausscheidung bestimmter chemi-
scher Verbindungen, welche die Zellsubstanz veranlassten, sich
in bestimmter Weise zu verändern, wird von de Vries als
nicht ausreichend betrachtet, weil auch bei ihm eine bestimmte
Differenzirung des Zellkörpers als schon vorhanden vorausgesetzt
werden muss.
De Vries selbst giebt eine Lösung des Räthsels, welche
jedenfalls den Vorzug grosser Einfachheit und Klarheit hat.
Nach seiner Ansicht tritt immer ein Theil der „Pangene“,
welche die Kernsubstanz zusammensetzen, durch die Kernmem-
bran in den Zellkörper aus und bildet dort die Zelltheile und
Zellorgane, deren specifische „Eigenschaftsträger“ sie sind.
Obgleich ich früher der Strasburger’schen Ansicht zu-
neigte, so erschien sie mir doch immer mehr als eine formale,
denn als eine reale Lösung des Räthsels, mehr als eine provi-
sorische Formel, denn als wirkliche Einsicht. Ich möchte den
de Vries’schen Gedanken eines Austritts specifischer kleinster
Lebenstheilchen aus dem Kern in den Zellkörper für eine äusserst
1) G. Haberlandt, „Über die Beziehungen zwischen Funktion und
Lage des Zellkerns“, 1887.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/86>, abgerufen am 29.11.2024.
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