zudenken, welches zwar höchst zusammengesetzt, aber doch nicht aus einer so unfassbaren Menge von Einzeltheilchen ge- bildet sei und welches zugleich so gebaut sei, dass es sich beim Wachsthum in der Ontogenese gesetzmässig derart verändere, dass es schliesslich eine noch viel grössere Zahl verschieden- artiger Idioplasmen liefere, welche nun die Zellen des Körpers in specifischer Weise bestimmten.
In ähnlicher Weise meinte Hatschek1) noch kürzlich, man könne "in der Eizelle eine relativ geringe Zahl von Qualitäten annehmen", nicht grösser, als sie in irgend einer histologisch differenzirten Körperzelle anzunehmen sei. Die Mannigfaltigkeit im viellzelligen Organismus beruhe darauf, "dass trotz der be- schränkten Mannigfaltigkeit der Qualitäten innerhalb der ein- zelnen Zelle (auch der Eizelle) doch eine viel complicirtere Ge- sammtleistung des Körpers durch Variirung des einen Grund- thema's erreicht" werde.
Handelte es sich bei einer Vererbungstheorie nur um Er- klärung der Übertragung eines unveränderlichen Körper- baues vom Elter auf das Kind durch alle Generationen hin- durch, so würde einer solchen Structur des Keimplasma's theoretisch Nichts entgegenzustellen sein, allein es handelt sich bei der Vererbung um die Übertragung veränderlicher Stücke, und dies verlangt die Annahme, dass im Keimplasma ebenso viel selbstständig veränderliche Theile enthalten sind, als solcher am ausgebildeten Organismus vorkommen. Es ist unmöglich, dass ein Theil des Körpers selbstständig und übertragbar variire, wenn er nicht auch im Keimplasma schon durch ein besonderes Theilchen vertreten ist, dessen Variiren sein Variiren nach sich zieht. Wäre er mit andern Körpertheilen zusammen durch ein Theilchen des Keimplasma's vertreten, so würde eine Ver-
1) B. Hatschek, "Lehrbuch der Zoologie", zweite Lieferung, Jena 1889, p. 232.
zudenken, welches zwar höchst zusammengesetzt, aber doch nicht aus einer so unfassbaren Menge von Einzeltheilchen ge- bildet sei und welches zugleich so gebaut sei, dass es sich beim Wachsthum in der Ontogenese gesetzmässig derart verändere, dass es schliesslich eine noch viel grössere Zahl verschieden- artiger Idioplasmen liefere, welche nun die Zellen des Körpers in specifischer Weise bestimmten.
In ähnlicher Weise meinte Hatschek1) noch kürzlich, man könne „in der Eizelle eine relativ geringe Zahl von Qualitäten annehmen“, nicht grösser, als sie in irgend einer histologisch differenzirten Körperzelle anzunehmen sei. Die Mannigfaltigkeit im viellzelligen Organismus beruhe darauf, „dass trotz der be- schränkten Mannigfaltigkeit der Qualitäten innerhalb der ein- zelnen Zelle (auch der Eizelle) doch eine viel complicirtere Ge- sammtleistung des Körpers durch Variirung des einen Grund- thema’s erreicht“ werde.
Handelte es sich bei einer Vererbungstheorie nur um Er- klärung der Übertragung eines unveränderlichen Körper- baues vom Elter auf das Kind durch alle Generationen hin- durch, so würde einer solchen Structur des Keimplasma’s theoretisch Nichts entgegenzustellen sein, allein es handelt sich bei der Vererbung um die Übertragung veränderlicher Stücke, und dies verlangt die Annahme, dass im Keimplasma ebenso viel selbstständig veränderliche Theile enthalten sind, als solcher am ausgebildeten Organismus vorkommen. Es ist unmöglich, dass ein Theil des Körpers selbstständig und übertragbar variire, wenn er nicht auch im Keimplasma schon durch ein besonderes Theilchen vertreten ist, dessen Variiren sein Variiren nach sich zieht. Wäre er mit andern Körpertheilen zusammen durch ein Theilchen des Keimplasma’s vertreten, so würde eine Ver-
1) B. Hatschek, „Lehrbuch der Zoologie“, zweite Lieferung, Jena 1889, p. 232.
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zudenken, welches zwar höchst zusammengesetzt, aber doch
nicht aus einer so unfassbaren Menge von Einzeltheilchen ge-
bildet sei und welches zugleich so gebaut sei, dass es sich beim
Wachsthum in der Ontogenese gesetzmässig derart verändere,
dass es schliesslich eine noch viel grössere Zahl verschieden-
artiger Idioplasmen liefere, welche nun die Zellen des Körpers
in specifischer Weise bestimmten.
In ähnlicher Weise meinte Hatschek 1) noch kürzlich, man
könne „in der Eizelle eine relativ geringe Zahl von Qualitäten
annehmen“, nicht grösser, als sie in irgend einer histologisch
differenzirten Körperzelle anzunehmen sei. Die Mannigfaltigkeit
im viellzelligen Organismus beruhe darauf, „dass trotz der be-
schränkten Mannigfaltigkeit der Qualitäten innerhalb der ein-
zelnen Zelle (auch der Eizelle) doch eine viel complicirtere Ge-
sammtleistung des Körpers durch Variirung des einen Grund-
thema’s erreicht“ werde.
Handelte es sich bei einer Vererbungstheorie nur um Er-
klärung der Übertragung eines unveränderlichen Körper-
baues vom Elter auf das Kind durch alle Generationen hin-
durch, so würde einer solchen Structur des Keimplasma’s
theoretisch Nichts entgegenzustellen sein, allein es handelt sich
bei der Vererbung um die Übertragung veränderlicher Stücke,
und dies verlangt die Annahme, dass im Keimplasma ebenso
viel selbstständig veränderliche Theile enthalten sind, als solcher
am ausgebildeten Organismus vorkommen. Es ist unmöglich,
dass ein Theil des Körpers selbstständig und übertragbar variire,
wenn er nicht auch im Keimplasma schon durch ein besonderes
Theilchen vertreten ist, dessen Variiren sein Variiren nach
sich zieht. Wäre er mit andern Körpertheilen zusammen durch
ein Theilchen des Keimplasma’s vertreten, so würde eine Ver-
1) B. Hatschek, „Lehrbuch der Zoologie“, zweite Lieferung, Jena
1889, p. 232.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/96>, abgerufen am 11.12.2024.
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