Begriffen das Leben verschönern, weist das seemännische Fach nur wenige auf.
In der Kriegsmarine bietet sich und namentlich in den höheren Officiersstellen einiger Ersatz dafür, aber in der Handels- marine ist das selten der Fall. Hier ist auch für den Kapitän das Leben fast nur eine ununterbrochene Kette von Mühselig- keiten und schwerer Verantwortung. Er ist abhängig von seinen Rhedern. Erwerben ist ihre und überhaupt die Devise des Handels, dem die Schiffe dienen, und alles Uebrige tritt dagegen in den Hintergrund. Mit fliegender Hast wird das von langer Reise zurückgekehrte Fahrzeug entladen und gefüllt, um schleunigst wieder hinausgeschickt zu werden über den weiten Ocean und mehr zu erwerben. Der Begriff der Heimath ist deshalb für den Seemann der Handelsmarine fast unbekannt; Häuslichkeit, Weib und Kind sind für ihn nur flüchtige Erscheinungen; in die Seligkeit des Wiedersehens mischt der Gedanke an das so bald wieder bevorstehende Scheiden bereits bittere Wermuthstropfen. Nur spärliche Stunden ungetrübten Glückes sind ihm vergönnt und Jahre lang muß er auf einsamem Meere von der Er- innerung zehren.
Das Leben an Bord eines Kauffarteischiffes, wie es sich in Wahrheit gestaltet, ist in weiteren Kreisen wenig gekannt; unsere Literatur hat sich mit diesem Gegenstande bisher fast gar nicht beschäftigt und doch bietet es so manche Momente, die all- gemeines Interesse verdienen. Wenn ich deshalb im Nach- stehenden die Eindrücke und Erfahrungen zu schildern versuche, die ein junger Mann von Bildung auf einer ersten Seereise gewinnt, darf ich voraussetzen, manchem Leser etwas Neues zu bieten, ihm einen Einblick in die Eigenthümlichkeiten des See- wesens zu gewähren und gleichzeitig zur Richtigstellung irriger Ansichten beizutragen. Das Leben an Bord von Handelsschiffen hat sich zwar seit jener Zeit, von der ich reden werde, in einigen Aeußerlichkeiten geändert und zwar zu Gunsten der Seeleute,
Werner
Begriffen das Leben verſchönern, weiſt das ſeemänniſche Fach nur wenige auf.
In der Kriegsmarine bietet ſich und namentlich in den höheren Officiersſtellen einiger Erſatz dafür, aber in der Handels- marine iſt das ſelten der Fall. Hier iſt auch für den Kapitän das Leben faſt nur eine ununterbrochene Kette von Mühſelig- keiten und ſchwerer Verantwortung. Er iſt abhängig von ſeinen Rhedern. Erwerben iſt ihre und überhaupt die Deviſe des Handels, dem die Schiffe dienen, und alles Uebrige tritt dagegen in den Hintergrund. Mit fliegender Haſt wird das von langer Reiſe zurückgekehrte Fahrzeug entladen und gefüllt, um ſchleunigſt wieder hinausgeſchickt zu werden über den weiten Ocean und mehr zu erwerben. Der Begriff der Heimath iſt deshalb für den Seemann der Handelsmarine faſt unbekannt; Häuslichkeit, Weib und Kind ſind für ihn nur flüchtige Erſcheinungen; in die Seligkeit des Wiederſehens miſcht der Gedanke an das ſo bald wieder bevorſtehende Scheiden bereits bittere Wermuthstropfen. Nur ſpärliche Stunden ungetrübten Glückes ſind ihm vergönnt und Jahre lang muß er auf einſamem Meere von der Er- innerung zehren.
Das Leben an Bord eines Kauffarteiſchiffes, wie es ſich in Wahrheit geſtaltet, iſt in weiteren Kreiſen wenig gekannt; unſere Literatur hat ſich mit dieſem Gegenſtande bisher faſt gar nicht beſchäftigt und doch bietet es ſo manche Momente, die all- gemeines Intereſſe verdienen. Wenn ich deshalb im Nach- ſtehenden die Eindrücke und Erfahrungen zu ſchildern verſuche, die ein junger Mann von Bildung auf einer erſten Seereiſe gewinnt, darf ich vorausſetzen, manchem Leſer etwas Neues zu bieten, ihm einen Einblick in die Eigenthümlichkeiten des See- weſens zu gewähren und gleichzeitig zur Richtigſtellung irriger Anſichten beizutragen. Das Leben an Bord von Handelsſchiffen hat ſich zwar ſeit jener Zeit, von der ich reden werde, in einigen Aeußerlichkeiten geändert und zwar zu Gunſten der Seeleute,
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[2/0014]
Werner
Begriffen das Leben verſchönern, weiſt das ſeemänniſche Fach
nur wenige auf.
In der Kriegsmarine bietet ſich und namentlich in den
höheren Officiersſtellen einiger Erſatz dafür, aber in der Handels-
marine iſt das ſelten der Fall. Hier iſt auch für den Kapitän
das Leben faſt nur eine ununterbrochene Kette von Mühſelig-
keiten und ſchwerer Verantwortung. Er iſt abhängig von ſeinen
Rhedern. Erwerben iſt ihre und überhaupt die Deviſe des
Handels, dem die Schiffe dienen, und alles Uebrige tritt dagegen
in den Hintergrund. Mit fliegender Haſt wird das von langer
Reiſe zurückgekehrte Fahrzeug entladen und gefüllt, um ſchleunigſt
wieder hinausgeſchickt zu werden über den weiten Ocean und
mehr zu erwerben. Der Begriff der Heimath iſt deshalb für
den Seemann der Handelsmarine faſt unbekannt; Häuslichkeit,
Weib und Kind ſind für ihn nur flüchtige Erſcheinungen; in die
Seligkeit des Wiederſehens miſcht der Gedanke an das ſo bald
wieder bevorſtehende Scheiden bereits bittere Wermuthstropfen.
Nur ſpärliche Stunden ungetrübten Glückes ſind ihm vergönnt
und Jahre lang muß er auf einſamem Meere von der Er-
innerung zehren.
Das Leben an Bord eines Kauffarteiſchiffes, wie es ſich
in Wahrheit geſtaltet, iſt in weiteren Kreiſen wenig gekannt;
unſere Literatur hat ſich mit dieſem Gegenſtande bisher faſt gar
nicht beſchäftigt und doch bietet es ſo manche Momente, die all-
gemeines Intereſſe verdienen. Wenn ich deshalb im Nach-
ſtehenden die Eindrücke und Erfahrungen zu ſchildern verſuche,
die ein junger Mann von Bildung auf einer erſten Seereiſe
gewinnt, darf ich vorausſetzen, manchem Leſer etwas Neues zu
bieten, ihm einen Einblick in die Eigenthümlichkeiten des See-
weſens zu gewähren und gleichzeitig zur Richtigſtellung irriger
Anſichten beizutragen. Das Leben an Bord von Handelsſchiffen
hat ſich zwar ſeit jener Zeit, von der ich reden werde, in einigen
Aeußerlichkeiten geändert und zwar zu Gunſten der Seeleute,
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/14>, abgerufen am 21.11.2024.
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