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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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nahe über dem Matrosen befand, der offenbar nichts von der
wirklichen Absicht des Unterofficiers ahnte und sein Schimpfen
fortsetzte.

Plötzlich ließ Letzterer jedoch die Füße los, schlang sie
blitzschnell um den Hals des erschreckten Mannes und riß ihn
mit einem gewaltigen Ruck von der Saling, so daß er jetzt
zwischen den zusammengekniffenen Beinen wie in einer Schlinge
fast achtzig Fuß über Deck in freier Luft hing. Uns Zuschauern
standen bei diesem unerwarteten Manöver die Haare zu Berge,
aber es ging alles gut. Der ebenso kräftige wie wunderbar
gewandte Unterofficier preßte zwar absichtlich den Hals seines
Gefangenen etwas scharf zusammen, um ihn unschädlich zu
machen, kam dann aber Hand über Hand mit seiner Last den
langen Weg an der Pardune herunter und lieferte ihn mit den
Worten "da ist er" an den wartenden Profoß ab. Der Mensch
geberdete sich jetzt aber so rasend, daß er in den polnischen Bock
gespannt und mit einem Knebel im Munde unten in den Raum
auf den Eisenballast geworfen werden mußte, da sich keine
Arrestlocale an Bord befanden, die auf Schiffen erst eine Ein-
richtung neuerer Zeit sind. Das Verbleiben in dieser Posi-
tion bis zum andern Morgen hatte ihn jedoch endlich zahm
gemacht und bis zu seiner nach einigen Monaten erfolgenden
Entlassung ließ er sich nichts wieder zu Schulden kommen. Die
über ihn verhängte Maßregel stand zwar in keinem Paragraphen
der Disciplinarverordnung, aber solchen Menschen zu bewäl-
tigen, blieb nichts anderes übrig.

Ueberhaupt hat es mit den Strafen an Bord eine eigene
Bewandtniß und es kann an diese nicht der Maßstab gelegt
werden, wie am Lande, weil die Verhältnisse so ganz andere
sind. Wenn in einer Compagnie auf irgend eine Weise zehn
oder mehr Mann sich eines Vergehens schuldig machen, das
ihnen einige Tage Arrest einbringt, so können sie alle zehn
sofort eingesperrt werden, ohne daß der Dienst oder die

Werner
nahe über dem Matroſen befand, der offenbar nichts von der
wirklichen Abſicht des Unterofficiers ahnte und ſein Schimpfen
fortſetzte.

Plötzlich ließ Letzterer jedoch die Füße los, ſchlang ſie
blitzſchnell um den Hals des erſchreckten Mannes und riß ihn
mit einem gewaltigen Ruck von der Saling, ſo daß er jetzt
zwiſchen den zuſammengekniffenen Beinen wie in einer Schlinge
faſt achtzig Fuß über Deck in freier Luft hing. Uns Zuſchauern
ſtanden bei dieſem unerwarteten Manöver die Haare zu Berge,
aber es ging alles gut. Der ebenſo kräftige wie wunderbar
gewandte Unterofficier preßte zwar abſichtlich den Hals ſeines
Gefangenen etwas ſcharf zuſammen, um ihn unſchädlich zu
machen, kam dann aber Hand über Hand mit ſeiner Laſt den
langen Weg an der Pardune herunter und lieferte ihn mit den
Worten „da iſt er“ an den wartenden Profoß ab. Der Menſch
geberdete ſich jetzt aber ſo raſend, daß er in den polniſchen Bock
geſpannt und mit einem Knebel im Munde unten in den Raum
auf den Eiſenballaſt geworfen werden mußte, da ſich keine
Arreſtlocale an Bord befanden, die auf Schiffen erſt eine Ein-
richtung neuerer Zeit ſind. Das Verbleiben in dieſer Poſi-
tion bis zum andern Morgen hatte ihn jedoch endlich zahm
gemacht und bis zu ſeiner nach einigen Monaten erfolgenden
Entlaſſung ließ er ſich nichts wieder zu Schulden kommen. Die
über ihn verhängte Maßregel ſtand zwar in keinem Paragraphen
der Disciplinarverordnung, aber ſolchen Menſchen zu bewäl-
tigen, blieb nichts anderes übrig.

Ueberhaupt hat es mit den Strafen an Bord eine eigene
Bewandtniß und es kann an dieſe nicht der Maßſtab gelegt
werden, wie am Lande, weil die Verhältniſſe ſo ganz andere
ſind. Wenn in einer Compagnie auf irgend eine Weiſe zehn
oder mehr Mann ſich eines Vergehens ſchuldig machen, das
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[236/0248] Werner nahe über dem Matroſen befand, der offenbar nichts von der wirklichen Abſicht des Unterofficiers ahnte und ſein Schimpfen fortſetzte. Plötzlich ließ Letzterer jedoch die Füße los, ſchlang ſie blitzſchnell um den Hals des erſchreckten Mannes und riß ihn mit einem gewaltigen Ruck von der Saling, ſo daß er jetzt zwiſchen den zuſammengekniffenen Beinen wie in einer Schlinge faſt achtzig Fuß über Deck in freier Luft hing. Uns Zuſchauern ſtanden bei dieſem unerwarteten Manöver die Haare zu Berge, aber es ging alles gut. Der ebenſo kräftige wie wunderbar gewandte Unterofficier preßte zwar abſichtlich den Hals ſeines Gefangenen etwas ſcharf zuſammen, um ihn unſchädlich zu machen, kam dann aber Hand über Hand mit ſeiner Laſt den langen Weg an der Pardune herunter und lieferte ihn mit den Worten „da iſt er“ an den wartenden Profoß ab. Der Menſch geberdete ſich jetzt aber ſo raſend, daß er in den polniſchen Bock geſpannt und mit einem Knebel im Munde unten in den Raum auf den Eiſenballaſt geworfen werden mußte, da ſich keine Arreſtlocale an Bord befanden, die auf Schiffen erſt eine Ein- richtung neuerer Zeit ſind. Das Verbleiben in dieſer Poſi- tion bis zum andern Morgen hatte ihn jedoch endlich zahm gemacht und bis zu ſeiner nach einigen Monaten erfolgenden Entlaſſung ließ er ſich nichts wieder zu Schulden kommen. Die über ihn verhängte Maßregel ſtand zwar in keinem Paragraphen der Disciplinarverordnung, aber ſolchen Menſchen zu bewäl- tigen, blieb nichts anderes übrig. Ueberhaupt hat es mit den Strafen an Bord eine eigene Bewandtniß und es kann an dieſe nicht der Maßſtab gelegt werden, wie am Lande, weil die Verhältniſſe ſo ganz andere ſind. Wenn in einer Compagnie auf irgend eine Weiſe zehn oder mehr Mann ſich eines Vergehens ſchuldig machen, das ihnen einige Tage Arreſt einbringt, ſo können ſie alle zehn ſofort eingeſperrt werden, ohne daß der Dienſt oder die

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/248>, abgerufen am 21.11.2024.