würdigen Vermittelung des Zahlmeisters, der mit gutmüthigem Humor jedem ernsteren Conflicte sofort die Spitze abzubrechen und die gereizten Gemüther in ruhiges Fahrwasser zurückzu- leiten verstand.
Zahlmeister Albert war überhaupt auch nach anderen Rich- tungen seines Faches ein Musterknabe und hatte sich als binnen- ländische Landratte wunderbar schnell in die anfänglich ihm so fremden Schiffsverhältnisse zu finden gewußt. Er war Süd- deutscher, hatte Jura studirt und soeben sein Referendarexamen gemacht, als der Ruf nach einer deutschen Flotte im Vaterlande erschallte. Da kam es auf einmal wie eine Erleuchtung über ihn, daß er bisher seinen Beruf verfehlt habe und falschen Göttern huldige. Nicht Themis, sondern Neptun rief ihn zur Heeresfolge; nicht der grüne Tisch, sondern der blaue, wogende Ocean war die Arena, auf der er fernerhin kämpfen und siegen sollte. Die Pandecten flogen in die Ecke; der angehende See- held stürmte nach Frankfurt, um sich zu einer Kadettenstelle zu melden, wurde aber auf das Schmerzlichste enttäuscht, als man ihn für die Seeofficiercarriere zu alt erklärte. Seine durch diesen Bescheid schon geknickten Lebenshoffnungen richteten sich jedoch wieder auf, als sich ihm Aussicht auf eine Zahlmeister- stellung eröffnete. Dankbar nahm er die letztere an, und schon wenige Tage darauf befand er sich auf dem Wege nach Bre- merhafen.
Mit glühendem Eifer ergriff er jede sich bietende Gelegen- heit, um sich für seinen Beruf vorzubilden. Bereits auf der Reise nach seinem neuen Bestimmungsorte, zuerst auf dem Rhein- dampfer bis Cöln, dann auf dem Passagierdampfer von Bremen nach Bremerhafen suchte er nautische Studien zu machen. Er plagte Kapitäne und Mannschaften mit Fragen nach allen möglichen Dingen bis auf's Blut und hielt sich Stunden lang in der mit Auswanderern letzter Classe vollgepfropften zweiten Kajüte auf, um in deren Stickluft die Nase gegen zu erwartende Schiffsgerüche
16*
Ernſtes und Heiteres
würdigen Vermittelung des Zahlmeiſters, der mit gutmüthigem Humor jedem ernſteren Conflicte ſofort die Spitze abzubrechen und die gereizten Gemüther in ruhiges Fahrwaſſer zurückzu- leiten verſtand.
Zahlmeiſter Albert war überhaupt auch nach anderen Rich- tungen ſeines Faches ein Muſterknabe und hatte ſich als binnen- ländiſche Landratte wunderbar ſchnell in die anfänglich ihm ſo fremden Schiffsverhältniſſe zu finden gewußt. Er war Süd- deutſcher, hatte Jura ſtudirt und ſoeben ſein Referendarexamen gemacht, als der Ruf nach einer deutſchen Flotte im Vaterlande erſchallte. Da kam es auf einmal wie eine Erleuchtung über ihn, daß er bisher ſeinen Beruf verfehlt habe und falſchen Göttern huldige. Nicht Themis, ſondern Neptun rief ihn zur Heeresfolge; nicht der grüne Tiſch, ſondern der blaue, wogende Ocean war die Arena, auf der er fernerhin kämpfen und ſiegen ſollte. Die Pandecten flogen in die Ecke; der angehende See- held ſtürmte nach Frankfurt, um ſich zu einer Kadettenſtelle zu melden, wurde aber auf das Schmerzlichſte enttäuſcht, als man ihn für die Seeofficiercarriere zu alt erklärte. Seine durch dieſen Beſcheid ſchon geknickten Lebenshoffnungen richteten ſich jedoch wieder auf, als ſich ihm Ausſicht auf eine Zahlmeiſter- ſtellung eröffnete. Dankbar nahm er die letztere an, und ſchon wenige Tage darauf befand er ſich auf dem Wege nach Bre- merhafen.
Mit glühendem Eifer ergriff er jede ſich bietende Gelegen- heit, um ſich für ſeinen Beruf vorzubilden. Bereits auf der Reiſe nach ſeinem neuen Beſtimmungsorte, zuerſt auf dem Rhein- dampfer bis Cöln, dann auf dem Paſſagierdampfer von Bremen nach Bremerhafen ſuchte er nautiſche Studien zu machen. Er plagte Kapitäne und Mannſchaften mit Fragen nach allen möglichen Dingen bis auf’s Blut und hielt ſich Stunden lang in der mit Auswanderern letzter Claſſe vollgepfropften zweiten Kajüte auf, um in deren Stickluft die Naſe gegen zu erwartende Schiffsgerüche
16*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0255"n="243"/><fwplace="top"type="header">Ernſtes und Heiteres</fw><lb/>
würdigen Vermittelung des Zahlmeiſters, der mit gutmüthigem<lb/>
Humor jedem ernſteren Conflicte ſofort die Spitze abzubrechen<lb/>
und die gereizten Gemüther in ruhiges Fahrwaſſer zurückzu-<lb/>
leiten verſtand.</p><lb/><p>Zahlmeiſter Albert war überhaupt auch nach anderen Rich-<lb/>
tungen ſeines Faches ein Muſterknabe und hatte ſich als binnen-<lb/>
ländiſche Landratte wunderbar ſchnell in die anfänglich ihm ſo<lb/>
fremden Schiffsverhältniſſe zu finden gewußt. Er war Süd-<lb/>
deutſcher, hatte Jura ſtudirt und ſoeben ſein Referendarexamen<lb/>
gemacht, als der Ruf nach einer deutſchen Flotte im Vaterlande<lb/>
erſchallte. Da kam es auf einmal wie eine Erleuchtung über<lb/>
ihn, daß er bisher ſeinen Beruf verfehlt habe und falſchen<lb/>
Göttern huldige. Nicht Themis, ſondern Neptun rief ihn zur<lb/>
Heeresfolge; nicht der grüne Tiſch, ſondern der blaue, wogende<lb/>
Ocean war die Arena, auf der er fernerhin kämpfen und ſiegen<lb/>ſollte. Die Pandecten flogen in die Ecke; der angehende See-<lb/>
held ſtürmte nach Frankfurt, um ſich zu einer Kadettenſtelle zu<lb/>
melden, wurde aber auf das Schmerzlichſte enttäuſcht, als man<lb/>
ihn für die Seeofficiercarriere zu alt erklärte. Seine durch<lb/>
dieſen Beſcheid ſchon geknickten Lebenshoffnungen richteten ſich<lb/>
jedoch wieder auf, als ſich ihm Ausſicht auf eine Zahlmeiſter-<lb/>ſtellung eröffnete. Dankbar nahm er die letztere an, und ſchon<lb/>
wenige Tage darauf befand er ſich auf dem Wege nach Bre-<lb/>
merhafen.</p><lb/><p>Mit glühendem Eifer ergriff er jede ſich bietende Gelegen-<lb/>
heit, um ſich für ſeinen Beruf vorzubilden. Bereits auf der<lb/>
Reiſe nach ſeinem neuen Beſtimmungsorte, zuerſt auf dem Rhein-<lb/>
dampfer bis Cöln, dann auf dem Paſſagierdampfer von Bremen<lb/>
nach Bremerhafen ſuchte er nautiſche Studien zu machen. Er<lb/>
plagte Kapitäne und Mannſchaften mit Fragen nach allen möglichen<lb/>
Dingen bis auf’s Blut und hielt ſich Stunden lang in der mit<lb/>
Auswanderern letzter Claſſe vollgepfropften zweiten Kajüte auf, um<lb/>
in deren Stickluft die Naſe gegen zu erwartende Schiffsgerüche<lb/><fwplace="bottom"type="sig">16*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[243/0255]
Ernſtes und Heiteres
würdigen Vermittelung des Zahlmeiſters, der mit gutmüthigem
Humor jedem ernſteren Conflicte ſofort die Spitze abzubrechen
und die gereizten Gemüther in ruhiges Fahrwaſſer zurückzu-
leiten verſtand.
Zahlmeiſter Albert war überhaupt auch nach anderen Rich-
tungen ſeines Faches ein Muſterknabe und hatte ſich als binnen-
ländiſche Landratte wunderbar ſchnell in die anfänglich ihm ſo
fremden Schiffsverhältniſſe zu finden gewußt. Er war Süd-
deutſcher, hatte Jura ſtudirt und ſoeben ſein Referendarexamen
gemacht, als der Ruf nach einer deutſchen Flotte im Vaterlande
erſchallte. Da kam es auf einmal wie eine Erleuchtung über
ihn, daß er bisher ſeinen Beruf verfehlt habe und falſchen
Göttern huldige. Nicht Themis, ſondern Neptun rief ihn zur
Heeresfolge; nicht der grüne Tiſch, ſondern der blaue, wogende
Ocean war die Arena, auf der er fernerhin kämpfen und ſiegen
ſollte. Die Pandecten flogen in die Ecke; der angehende See-
held ſtürmte nach Frankfurt, um ſich zu einer Kadettenſtelle zu
melden, wurde aber auf das Schmerzlichſte enttäuſcht, als man
ihn für die Seeofficiercarriere zu alt erklärte. Seine durch
dieſen Beſcheid ſchon geknickten Lebenshoffnungen richteten ſich
jedoch wieder auf, als ſich ihm Ausſicht auf eine Zahlmeiſter-
ſtellung eröffnete. Dankbar nahm er die letztere an, und ſchon
wenige Tage darauf befand er ſich auf dem Wege nach Bre-
merhafen.
Mit glühendem Eifer ergriff er jede ſich bietende Gelegen-
heit, um ſich für ſeinen Beruf vorzubilden. Bereits auf der
Reiſe nach ſeinem neuen Beſtimmungsorte, zuerſt auf dem Rhein-
dampfer bis Cöln, dann auf dem Paſſagierdampfer von Bremen
nach Bremerhafen ſuchte er nautiſche Studien zu machen. Er
plagte Kapitäne und Mannſchaften mit Fragen nach allen möglichen
Dingen bis auf’s Blut und hielt ſich Stunden lang in der mit
Auswanderern letzter Claſſe vollgepfropften zweiten Kajüte auf, um
in deren Stickluft die Naſe gegen zu erwartende Schiffsgerüche
16*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/255>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.