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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Nach Westindien und dem Mittelmeer

Den Sachsen, Angeln, Bructern, Kaninefaten und wie sonst
unsere Altvordern hießen, deren Stämme an den Mündungen
unserer Nordseeströme saßen, war es wahrhaftig nicht zu ver-
denken, wenn sie westwärts zogen, um sich ein neues und nicht
so stiefmütterlich von der Natur behandeltes Heim zu suchen,
und auch wir waren herzlich froh, am nächsten Tage dem un-
wirthlichen Strande den Rücken zu kehren, als in der Nacht
der Sturm sich gelegt hatte. Der Westwind erlaubte kein
Segeln, doch der Motor Dampf trieb das Geschwader pfeil-
schnell durch die grünen Fluthen der Nordsee und nur alle paar
Stunden wurde sein Lauf auf kurze Zeit gehemmt, um das Loth
zu werfen und nach Tiefe und Beschaffenheit des Grundes den
geographischen Ort zu bestimmen, da der graue Wolkenschleier
die Gestirne verdeckte.

Die Zahl der begegnenden Schiffe wurde größer, je mehr
wir uns dem Canale näherten und in der Nacht galt es schärfer
Ausguck halten, um ihnen auszuweichen. "Feuer voraus!"
"Grünes Licht, zwei Strich in Lee!" "Rothes Licht, quer ab
an Backbord!" Dergleichen Rufe ertönen in dieser Gegend,
der Heerstraße Tausender von Schiffen, als Warnungen der
ausgestellten Posten oft kurz nach einander und der Officier der
Wache muß die Regeln des Straßenrechts auf See genau im
Kopfe haben und dabei seine volle Ruhe und Geistesgegenwart
bewahren, um den drohenden Collisionen aus dem Wege zu
gehen.

Bisweilen geräth man mitten in eine Fischerflotte und sieht
plötzlich Hunderte von Blaulichten um sich herum in der dunklen
Nacht aufleuchten. Die Fischer brauchen nicht wie alle anderen
Schiffe ständige farbige Laternen zu führen, sondern sind nur
gehalten, ihre Nähe durch eine Terpentinflamme, eine sogenannte
Bluse, kund zu geben. Aus Nachlässigkeit zögern sie oft so
lange damit, bis es fast zu spät ist und nur mit genauer Noth
einem Unglück vorgebeugt wird.


Nach Weſtindien und dem Mittelmeer

Den Sachſen, Angeln, Bructern, Kaninefaten und wie ſonſt
unſere Altvordern hießen, deren Stämme an den Mündungen
unſerer Nordſeeſtröme ſaßen, war es wahrhaftig nicht zu ver-
denken, wenn ſie weſtwärts zogen, um ſich ein neues und nicht
ſo ſtiefmütterlich von der Natur behandeltes Heim zu ſuchen,
und auch wir waren herzlich froh, am nächſten Tage dem un-
wirthlichen Strande den Rücken zu kehren, als in der Nacht
der Sturm ſich gelegt hatte. Der Weſtwind erlaubte kein
Segeln, doch der Motor Dampf trieb das Geſchwader pfeil-
ſchnell durch die grünen Fluthen der Nordſee und nur alle paar
Stunden wurde ſein Lauf auf kurze Zeit gehemmt, um das Loth
zu werfen und nach Tiefe und Beſchaffenheit des Grundes den
geographiſchen Ort zu beſtimmen, da der graue Wolkenſchleier
die Geſtirne verdeckte.

Die Zahl der begegnenden Schiffe wurde größer, je mehr
wir uns dem Canale näherten und in der Nacht galt es ſchärfer
Ausguck halten, um ihnen auszuweichen. „Feuer voraus!“
„Grünes Licht, zwei Strich in Lee!“ „Rothes Licht, quer ab
an Backbord!“ Dergleichen Rufe ertönen in dieſer Gegend,
der Heerſtraße Tauſender von Schiffen, als Warnungen der
ausgeſtellten Poſten oft kurz nach einander und der Officier der
Wache muß die Regeln des Straßenrechts auf See genau im
Kopfe haben und dabei ſeine volle Ruhe und Geiſtesgegenwart
bewahren, um den drohenden Colliſionen aus dem Wege zu
gehen.

Bisweilen geräth man mitten in eine Fiſcherflotte und ſieht
plötzlich Hunderte von Blaulichten um ſich herum in der dunklen
Nacht aufleuchten. Die Fiſcher brauchen nicht wie alle anderen
Schiffe ſtändige farbige Laternen zu führen, ſondern ſind nur
gehalten, ihre Nähe durch eine Terpentinflamme, eine ſogenannte
Bluſe, kund zu geben. Aus Nachläſſigkeit zögern ſie oft ſo
lange damit, bis es faſt zu ſpät iſt und nur mit genauer Noth
einem Unglück vorgebeugt wird.


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[309/0321] Nach Weſtindien und dem Mittelmeer Den Sachſen, Angeln, Bructern, Kaninefaten und wie ſonſt unſere Altvordern hießen, deren Stämme an den Mündungen unſerer Nordſeeſtröme ſaßen, war es wahrhaftig nicht zu ver- denken, wenn ſie weſtwärts zogen, um ſich ein neues und nicht ſo ſtiefmütterlich von der Natur behandeltes Heim zu ſuchen, und auch wir waren herzlich froh, am nächſten Tage dem un- wirthlichen Strande den Rücken zu kehren, als in der Nacht der Sturm ſich gelegt hatte. Der Weſtwind erlaubte kein Segeln, doch der Motor Dampf trieb das Geſchwader pfeil- ſchnell durch die grünen Fluthen der Nordſee und nur alle paar Stunden wurde ſein Lauf auf kurze Zeit gehemmt, um das Loth zu werfen und nach Tiefe und Beſchaffenheit des Grundes den geographiſchen Ort zu beſtimmen, da der graue Wolkenſchleier die Geſtirne verdeckte. Die Zahl der begegnenden Schiffe wurde größer, je mehr wir uns dem Canale näherten und in der Nacht galt es ſchärfer Ausguck halten, um ihnen auszuweichen. „Feuer voraus!“ „Grünes Licht, zwei Strich in Lee!“ „Rothes Licht, quer ab an Backbord!“ Dergleichen Rufe ertönen in dieſer Gegend, der Heerſtraße Tauſender von Schiffen, als Warnungen der ausgeſtellten Poſten oft kurz nach einander und der Officier der Wache muß die Regeln des Straßenrechts auf See genau im Kopfe haben und dabei ſeine volle Ruhe und Geiſtesgegenwart bewahren, um den drohenden Colliſionen aus dem Wege zu gehen. Bisweilen geräth man mitten in eine Fiſcherflotte und ſieht plötzlich Hunderte von Blaulichten um ſich herum in der dunklen Nacht aufleuchten. Die Fiſcher brauchen nicht wie alle anderen Schiffe ſtändige farbige Laternen zu führen, ſondern ſind nur gehalten, ihre Nähe durch eine Terpentinflamme, eine ſogenannte Bluſe, kund zu geben. Aus Nachläſſigkeit zögern ſie oft ſo lange damit, bis es faſt zu ſpät iſt und nur mit genauer Noth einem Unglück vorgebeugt wird.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/321>, abgerufen am 22.11.2024.