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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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in saloppem Negligee erschien und von uns für einen Unter-
officier gehalten wurde, sich plötzlich als General entpuppte.
Guzman soll das Militär etwas zu heben beflissen sein, aber
man merkt nicht viel davon und sowol der Zustand der Truppen
wie der der beiden "Kriegsschiffe", ein Paar alter hölzerner
Dampfcorvetten mit reducirter Besatzung, welche die Seemacht
der Republik bilden, geben Zeugniß für die ungeregelten staat-
lichen Zustände Venezuela's.

Unser Aufenthalt in Caracas, während dessen wir in
einer englischen Pension sehr preiswürdig und gut wohnten,
währte drei Tage. Von Seiten der Bewohner sowie der Be-
hörden kam man uns überall freundlich und aufmerksam ent-
gegen und bei einer Audienz hatten wir auch Gelegenheit, den
Präsidenten Guzman Blanco persönlich kennen zu lernen. Er
war ein sehr stattlicher Mann, jetzt wol Anfang der Vierziger,
und die ihm innewohnende Energie prägte sich in seinen Ge-
sichtszügen aus. Seine Gemahlin galt anerkannt für die schönste
Frau in Caracas und das will unter vielen Tausenden von
spanischen Creolinnen nicht wenig sagen.

Das damalige Congreßgebäude, in dem wir empfangen
wurden, hatte etwas Stallähnliches und zeichnete sich durch Un-
sauberkeit aus. Eine Heerde zerlumpter Straßenjungen lungerte
im Flur und auf den Treppen und drängte sich auch unge-
hindert mit in den Audienzsaal. Seit Kurzem ist das jedoch
geändert; Guzman hat ein prachtvolles neues Congreßhaus bauen
lassen, das eine Zierde der Stadt bildet und mit der Zeit wird
man auch wol die Straßenjungen hinausweisen. Mag der
Präsident sich aber auch in der Staatszeitung als den illustrisi-
mo Americano
bezeichnen, gegen dessen Verdienste der Ruhm
Napoleons und Kaiser Wilhelms völlig in den Schatten tritt,
mag er in den Städten seines Landes Statuen von sich er-
richten lassen und bereits die fünfte Million zu seinen Erspar-
nissen in den fünf Jahren seiner Präsidentschaft fügen -- den-

Werner
in ſaloppem Negligée erſchien und von uns für einen Unter-
officier gehalten wurde, ſich plötzlich als General entpuppte.
Guzman ſoll das Militär etwas zu heben befliſſen ſein, aber
man merkt nicht viel davon und ſowol der Zuſtand der Truppen
wie der der beiden „Kriegsſchiffe“, ein Paar alter hölzerner
Dampfcorvetten mit reducirter Beſatzung, welche die Seemacht
der Republik bilden, geben Zeugniß für die ungeregelten ſtaat-
lichen Zuſtände Venezuela’s.

Unſer Aufenthalt in Caracas, während deſſen wir in
einer engliſchen Penſion ſehr preiswürdig und gut wohnten,
währte drei Tage. Von Seiten der Bewohner ſowie der Be-
hörden kam man uns überall freundlich und aufmerkſam ent-
gegen und bei einer Audienz hatten wir auch Gelegenheit, den
Präſidenten Guzman Blanco perſönlich kennen zu lernen. Er
war ein ſehr ſtattlicher Mann, jetzt wol Anfang der Vierziger,
und die ihm innewohnende Energie prägte ſich in ſeinen Ge-
ſichtszügen aus. Seine Gemahlin galt anerkannt für die ſchönſte
Frau in Caracas und das will unter vielen Tauſenden von
ſpaniſchen Creolinnen nicht wenig ſagen.

Das damalige Congreßgebäude, in dem wir empfangen
wurden, hatte etwas Stallähnliches und zeichnete ſich durch Un-
ſauberkeit aus. Eine Heerde zerlumpter Straßenjungen lungerte
im Flur und auf den Treppen und drängte ſich auch unge-
hindert mit in den Audienzſaal. Seit Kurzem iſt das jedoch
geändert; Guzman hat ein prachtvolles neues Congreßhaus bauen
laſſen, das eine Zierde der Stadt bildet und mit der Zeit wird
man auch wol die Straßenjungen hinausweiſen. Mag der
Präſident ſich aber auch in der Staatszeitung als den illustrisi-
mo Americano
bezeichnen, gegen deſſen Verdienſte der Ruhm
Napoleons und Kaiſer Wilhelms völlig in den Schatten tritt,
mag er in den Städten ſeines Landes Statuen von ſich er-
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[338/0350] Werner in ſaloppem Negligée erſchien und von uns für einen Unter- officier gehalten wurde, ſich plötzlich als General entpuppte. Guzman ſoll das Militär etwas zu heben befliſſen ſein, aber man merkt nicht viel davon und ſowol der Zuſtand der Truppen wie der der beiden „Kriegsſchiffe“, ein Paar alter hölzerner Dampfcorvetten mit reducirter Beſatzung, welche die Seemacht der Republik bilden, geben Zeugniß für die ungeregelten ſtaat- lichen Zuſtände Venezuela’s. Unſer Aufenthalt in Caracas, während deſſen wir in einer engliſchen Penſion ſehr preiswürdig und gut wohnten, währte drei Tage. Von Seiten der Bewohner ſowie der Be- hörden kam man uns überall freundlich und aufmerkſam ent- gegen und bei einer Audienz hatten wir auch Gelegenheit, den Präſidenten Guzman Blanco perſönlich kennen zu lernen. Er war ein ſehr ſtattlicher Mann, jetzt wol Anfang der Vierziger, und die ihm innewohnende Energie prägte ſich in ſeinen Ge- ſichtszügen aus. Seine Gemahlin galt anerkannt für die ſchönſte Frau in Caracas und das will unter vielen Tauſenden von ſpaniſchen Creolinnen nicht wenig ſagen. Das damalige Congreßgebäude, in dem wir empfangen wurden, hatte etwas Stallähnliches und zeichnete ſich durch Un- ſauberkeit aus. Eine Heerde zerlumpter Straßenjungen lungerte im Flur und auf den Treppen und drängte ſich auch unge- hindert mit in den Audienzſaal. Seit Kurzem iſt das jedoch geändert; Guzman hat ein prachtvolles neues Congreßhaus bauen laſſen, das eine Zierde der Stadt bildet und mit der Zeit wird man auch wol die Straßenjungen hinausweiſen. Mag der Präſident ſich aber auch in der Staatszeitung als den illustrisi- mo Americano bezeichnen, gegen deſſen Verdienſte der Ruhm Napoleons und Kaiſer Wilhelms völlig in den Schatten tritt, mag er in den Städten ſeines Landes Statuen von ſich er- richten laſſen und bereits die fünfte Million zu ſeinen Erſpar- niſſen in den fünf Jahren ſeiner Präſidentſchaft fügen — den-

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/350>, abgerufen am 22.11.2024.