Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.Eine erste Seereise Hagelbö herauf. Man kennt sie an den dunkelgelben Streifen,die sich scharf gegen das übrige Gewölk abgrenzen und wie eine starre Mauer erscheinen. Wenn sie so viel Wind brachte, wie die letzte, dann war es kaum denkbar, daß die Segel es aus- halten konnten. Trotzdem hofften wir es; jeder von uns wußte, daß es hieß "Biegen oder Brechen". Konnten wir von der Küste nicht frei segeln, so waren wir höchst wahrscheinlich verloren. Seit meinem Erwachen hatten die Ereignisse des Morgens Ohne die schleunigste Hülfe wäre ich verloren gewesen und * Eine Verdrehung im Tauwerk; figürlich auch auf "Ecke" übertragen. ** Eine Art Strebepfeiler, der vom Bugspriet nach unten zeigt und zum Straffhalten von Haltetauen des Klüverbaums dient. *** Der vorderste Theil des oberen Verdecks.
Eine erſte Seereiſe Hagelbö herauf. Man kennt ſie an den dunkelgelben Streifen,die ſich ſcharf gegen das übrige Gewölk abgrenzen und wie eine ſtarre Mauer erſcheinen. Wenn ſie ſo viel Wind brachte, wie die letzte, dann war es kaum denkbar, daß die Segel es aus- halten konnten. Trotzdem hofften wir es; jeder von uns wußte, daß es hieß „Biegen oder Brechen“. Konnten wir von der Küſte nicht frei ſegeln, ſo waren wir höchſt wahrſcheinlich verloren. Seit meinem Erwachen hatten die Ereigniſſe des Morgens Ohne die ſchleunigſte Hülfe wäre ich verloren geweſen und * Eine Verdrehung im Tauwerk; figürlich auch auf „Ecke“ übertragen. ** Eine Art Strebepfeiler, der vom Bugſpriet nach unten zeigt und zum Straffhalten von Haltetauen des Klüverbaums dient. *** Der vorderſte Theil des oberen Verdecks.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0043" n="31"/><fw place="top" type="header">Eine erſte Seereiſe</fw><lb/> Hagelbö herauf. Man kennt ſie an den dunkelgelben Streifen,<lb/> die ſich ſcharf gegen das übrige Gewölk abgrenzen und wie eine<lb/> ſtarre Mauer erſcheinen. Wenn ſie ſo viel Wind brachte, wie<lb/> die letzte, dann war es kaum denkbar, daß die Segel es aus-<lb/> halten konnten. Trotzdem hofften wir es; jeder von uns wußte,<lb/> daß es hieß „Biegen oder Brechen“. Konnten wir von der<lb/> Küſte nicht frei ſegeln, ſo waren wir höchſt wahrſcheinlich<lb/> verloren.</p><lb/> <p>Seit meinem Erwachen hatten die Ereigniſſe des Morgens<lb/> ſo ſchnell gewechſelt und mein Intereſſe ſo ſehr in Anſpruch<lb/> genommen, daß mir keine Zeit blieb, mich um etwas anders<lb/> zu kümmern. Jetzt war eine Ruhepauſe; die vergangene Nacht<lb/> trat mir wieder lebhaft vor die Seele und damit auch meine<lb/> noch unaufgeklärte Rettung. Ein Leichtmatroſe von unſerer<lb/> Wache gab mir Aufſchluß über die näheren Umſtände. Als ich<lb/> von der See über den Klüverbaum geworfen war, hatte ſich die<lb/> Beſchlagzeiſing, d. h. das zum Befeſtigen der Segel dienende<lb/> Tau, durch einen glücklichen Zufall wie eine Schleife um meinen<lb/> Körper gewunden, was der Bootsmann mit einem „verkehrten<lb/> Kink<note place="foot" n="*">Eine Verdrehung im Tauwerk; figürlich auch auf „Ecke“<lb/> übertragen.</note>“ bezeichnete. Dadurch war ich über Waſſer hängen ge-<lb/> blieben, aber mit dem Kopf gegen den Stampfſtock<note place="foot" n="**">Eine Art Strebepfeiler, der vom Bugſpriet nach unten zeigt und<lb/> zum Straffhalten von Haltetauen des Klüverbaums dient.</note> geſchlagen,<lb/> beſinnungslos geworden und hatte als lebloſe Maſſe geſchwebt,<lb/> die bei jedem tiefern Stampfen des Schiffes in das Waſſer<lb/> getaucht wurde.</p><lb/> <p>Ohne die ſchleunigſte Hülfe wäre ich verloren geweſen und<lb/> dieſe wurde mir mit eigener größter Lebensgefahr durch den<lb/> Bootsmann gebracht. Während das Unglück paſſirte, hatte er auf<lb/> der Back<note place="foot" n="***">Der vorderſte Theil des oberen Verdecks.</note> geſtanden. Durch ſeinen Ruf „Mann über Bord“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [31/0043]
Eine erſte Seereiſe
Hagelbö herauf. Man kennt ſie an den dunkelgelben Streifen,
die ſich ſcharf gegen das übrige Gewölk abgrenzen und wie eine
ſtarre Mauer erſcheinen. Wenn ſie ſo viel Wind brachte, wie
die letzte, dann war es kaum denkbar, daß die Segel es aus-
halten konnten. Trotzdem hofften wir es; jeder von uns wußte,
daß es hieß „Biegen oder Brechen“. Konnten wir von der
Küſte nicht frei ſegeln, ſo waren wir höchſt wahrſcheinlich
verloren.
Seit meinem Erwachen hatten die Ereigniſſe des Morgens
ſo ſchnell gewechſelt und mein Intereſſe ſo ſehr in Anſpruch
genommen, daß mir keine Zeit blieb, mich um etwas anders
zu kümmern. Jetzt war eine Ruhepauſe; die vergangene Nacht
trat mir wieder lebhaft vor die Seele und damit auch meine
noch unaufgeklärte Rettung. Ein Leichtmatroſe von unſerer
Wache gab mir Aufſchluß über die näheren Umſtände. Als ich
von der See über den Klüverbaum geworfen war, hatte ſich die
Beſchlagzeiſing, d. h. das zum Befeſtigen der Segel dienende
Tau, durch einen glücklichen Zufall wie eine Schleife um meinen
Körper gewunden, was der Bootsmann mit einem „verkehrten
Kink *“ bezeichnete. Dadurch war ich über Waſſer hängen ge-
blieben, aber mit dem Kopf gegen den Stampfſtock ** geſchlagen,
beſinnungslos geworden und hatte als lebloſe Maſſe geſchwebt,
die bei jedem tiefern Stampfen des Schiffes in das Waſſer
getaucht wurde.
Ohne die ſchleunigſte Hülfe wäre ich verloren geweſen und
dieſe wurde mir mit eigener größter Lebensgefahr durch den
Bootsmann gebracht. Während das Unglück paſſirte, hatte er auf
der Back *** geſtanden. Durch ſeinen Ruf „Mann über Bord“
* Eine Verdrehung im Tauwerk; figürlich auch auf „Ecke“
übertragen.
** Eine Art Strebepfeiler, der vom Bugſpriet nach unten zeigt und
zum Straffhalten von Haltetauen des Klüverbaums dient.
*** Der vorderſte Theil des oberen Verdecks.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |