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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
construirt waren, wies derselbe überzeugend nach, daß z. B.
Reisen von Europa nach Ostindien um durchschnittlich 20 Tage
abgekürzt werden konnten, wenn die Kapitäne sich mit dem
Studium der Meteorologie vertraut machten. Das ergab aber
für größere Schiffe Ersparnisse von Tausenden von Thalern.

Nach Feierabend ging ich mit dem Bootsmann an Land.
Er hatte sich sehr fein gemacht und auch meinen Sonntagsanzug
inspicirt, ehe wir das Schiff verließen. Unser Weg führte
direct in ein am Hafen gelegenes Gasthaus, in dem Seeleute
verkehrten, aber nur die höheren Chargen von Handelsschiffen,
d. h. Steuerleute und Bootsleute, und damit war die "an-
ständige Gesellschaft" gemeint gewesen. Mein alter Mentor
hatte es zwar gut mit mir im Sinne gehabt, aber der Kreis,
in den er mich brachte, war nicht dazu angethan, mich zu zer-
streuen und zu erheitern. Ich kam mir wie verrathen und ver-
kauft unter allen diesen ernsten, bedächtigen und steifen Holländern
vor. Da saßen sie in der nur spärlich erleuchteten Gaststube
an einem schwerfälligen Tische, auf eben so schwerfälligen Bänken,
Jeder mit einem Glas Genever vor sich und einer langen Kalk-
pfeife im Munde, aus der sie um die Wette dichte Rauchwolken
bliesen, welche das Zimmer mit einem Nebel erfüllten. Es
herrschte eine strenge Rangordnung in den Sitzen, wie mir
später der Bootsmann erklärte, und zwar regelte sich dieselbe
nach der Zahl der nach Ostindien gemachten Reisen. Sieben
Reisen dorthin waren das Erforderniß, um überhaupt in dem
Club als Mitglied zugelassen zu werden, und erst diese Zahl
gab Anspruch auf das Prädicat "vollbefahren." Unser Boots-
mann war als Gast geladen, seine drei Reisen nach der Südsee
zählten für voll, und für sein Ansehen sprach der Umstand, daß
er einen solchen Neuling wie mich einführen durfte. Natürlich
war ich stumme Person und suchte vergebens meinen Wider-
willen gegen den Genever zu überwinden, den man auch mir
vorsetzte, während eine Kalkpfeife mir nicht verabreicht war;

Eine erſte Seereiſe
conſtruirt waren, wies derſelbe überzeugend nach, daß z. B.
Reiſen von Europa nach Oſtindien um durchſchnittlich 20 Tage
abgekürzt werden konnten, wenn die Kapitäne ſich mit dem
Studium der Meteorologie vertraut machten. Das ergab aber
für größere Schiffe Erſparniſſe von Tauſenden von Thalern.

Nach Feierabend ging ich mit dem Bootsmann an Land.
Er hatte ſich ſehr fein gemacht und auch meinen Sonntagsanzug
inſpicirt, ehe wir das Schiff verließen. Unſer Weg führte
direct in ein am Hafen gelegenes Gaſthaus, in dem Seeleute
verkehrten, aber nur die höheren Chargen von Handelsſchiffen,
d. h. Steuerleute und Bootsleute, und damit war die „an-
ſtändige Geſellſchaft“ gemeint geweſen. Mein alter Mentor
hatte es zwar gut mit mir im Sinne gehabt, aber der Kreis,
in den er mich brachte, war nicht dazu angethan, mich zu zer-
ſtreuen und zu erheitern. Ich kam mir wie verrathen und ver-
kauft unter allen dieſen ernſten, bedächtigen und ſteifen Holländern
vor. Da ſaßen ſie in der nur ſpärlich erleuchteten Gaſtſtube
an einem ſchwerfälligen Tiſche, auf eben ſo ſchwerfälligen Bänken,
Jeder mit einem Glas Genever vor ſich und einer langen Kalk-
pfeife im Munde, aus der ſie um die Wette dichte Rauchwolken
blieſen, welche das Zimmer mit einem Nebel erfüllten. Es
herrſchte eine ſtrenge Rangordnung in den Sitzen, wie mir
ſpäter der Bootsmann erklärte, und zwar regelte ſich dieſelbe
nach der Zahl der nach Oſtindien gemachten Reiſen. Sieben
Reiſen dorthin waren das Erforderniß, um überhaupt in dem
Club als Mitglied zugelaſſen zu werden, und erſt dieſe Zahl
gab Anſpruch auf das Prädicat „vollbefahren.“ Unſer Boots-
mann war als Gaſt geladen, ſeine drei Reiſen nach der Südſee
zählten für voll, und für ſein Anſehen ſprach der Umſtand, daß
er einen ſolchen Neuling wie mich einführen durfte. Natürlich
war ich ſtumme Perſon und ſuchte vergebens meinen Wider-
willen gegen den Genever zu überwinden, den man auch mir
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[43/0055] Eine erſte Seereiſe conſtruirt waren, wies derſelbe überzeugend nach, daß z. B. Reiſen von Europa nach Oſtindien um durchſchnittlich 20 Tage abgekürzt werden konnten, wenn die Kapitäne ſich mit dem Studium der Meteorologie vertraut machten. Das ergab aber für größere Schiffe Erſparniſſe von Tauſenden von Thalern. Nach Feierabend ging ich mit dem Bootsmann an Land. Er hatte ſich ſehr fein gemacht und auch meinen Sonntagsanzug inſpicirt, ehe wir das Schiff verließen. Unſer Weg führte direct in ein am Hafen gelegenes Gaſthaus, in dem Seeleute verkehrten, aber nur die höheren Chargen von Handelsſchiffen, d. h. Steuerleute und Bootsleute, und damit war die „an- ſtändige Geſellſchaft“ gemeint geweſen. Mein alter Mentor hatte es zwar gut mit mir im Sinne gehabt, aber der Kreis, in den er mich brachte, war nicht dazu angethan, mich zu zer- ſtreuen und zu erheitern. Ich kam mir wie verrathen und ver- kauft unter allen dieſen ernſten, bedächtigen und ſteifen Holländern vor. Da ſaßen ſie in der nur ſpärlich erleuchteten Gaſtſtube an einem ſchwerfälligen Tiſche, auf eben ſo ſchwerfälligen Bänken, Jeder mit einem Glas Genever vor ſich und einer langen Kalk- pfeife im Munde, aus der ſie um die Wette dichte Rauchwolken blieſen, welche das Zimmer mit einem Nebel erfüllten. Es herrſchte eine ſtrenge Rangordnung in den Sitzen, wie mir ſpäter der Bootsmann erklärte, und zwar regelte ſich dieſelbe nach der Zahl der nach Oſtindien gemachten Reiſen. Sieben Reiſen dorthin waren das Erforderniß, um überhaupt in dem Club als Mitglied zugelaſſen zu werden, und erſt dieſe Zahl gab Anſpruch auf das Prädicat „vollbefahren.“ Unſer Boots- mann war als Gaſt geladen, ſeine drei Reiſen nach der Südſee zählten für voll, und für ſein Anſehen ſprach der Umſtand, daß er einen ſolchen Neuling wie mich einführen durfte. Natürlich war ich ſtumme Perſon und ſuchte vergebens meinen Wider- willen gegen den Genever zu überwinden, den man auch mir vorſetzte, während eine Kalkpfeife mir nicht verabreicht war;

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/55>, abgerufen am 21.11.2024.