Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.Eine erste Seereise sehr an und hatte eine recht gefällige Melodie. So viel ichmich erinnere, lautete es folgendermaßen: Ich kann nicht erinnern, daß jemals auf See Matrosen ich traurig erblickt, Kein Hagel und Regen, kein Sturm oder Schnee Nichts giebt's was zu Boden ihn drückt. Wenn's weht aus Nordwest und in Sorge und Noth, Manch' Bräutchen und Mutter sich quält, Sitzt Janmaat behaglich in Lee1 von dem Boot Und da wird gelacht und erzählt. Guckt Rasmus2 dann über die Reiling3 und spült Gehörig die Klüsen4 ihm aus, Dann schüttelt er sich wie ein Pudel und schilt Und zieht auch die Nase wohl kraus. Bald ist er jedoch wieder heiter gestimmt Wie sehr er zuerst auch erbost, Staut besser sich in die Kinken5 und nimmt Ein tüchtiges Prüntje6 zum Trost. Wenn Nachts in der Coje er wonnig und warm Liegt bis an die Ohren versteckt Und ihn aus der Träume holdseligen Schwarm Das donnernde "Reewe"7 erweckt, Dann wickelt er sich aus den Decken hervor Und's setzt auch bisweilen 'nen Fluch, Wenn schallend die Glocke verkündet dem Ohr Daß eben sechs Glasen8 es schlug. 1 Die geschützte Seite unter dem Winde. 2 Personificirte See. 3 Verschanzung. 4 Die Oeffnungen vorn am Schiff, durch welche die Ankerketten nach außenbord's geleitet werden, hier figürlich für Augen. 5 Eigentlich eine falsche Bucht in einem Tau, figürlich Ecke. 6 Kau- taback. 7 Der Ruf, wenn bei Sturm die Leute zum Segelkürzen an Deck kommen sollen. 8 Jede Wache von 4 Stunden wird in 8 halbe Stunden (Glasen, von den früher gebrauchten Sanduhren sogenannt) eingetheilt. Wenn sechs Glasen geschlagen werden, so ist nur noch eine 5*
Eine erſte Seereiſe ſehr an und hatte eine recht gefällige Melodie. So viel ichmich erinnere, lautete es folgendermaßen: Ich kann nicht erinnern, daß jemals auf See Matroſen ich traurig erblickt, Kein Hagel und Regen, kein Sturm oder Schnee Nichts giebt’s was zu Boden ihn drückt. Wenn’s weht aus Nordweſt und in Sorge und Noth, Manch’ Bräutchen und Mutter ſich quält, Sitzt Janmaat behaglich in Lee1 von dem Boot Und da wird gelacht und erzählt. Guckt Rasmus2 dann über die Reiling3 und ſpült Gehörig die Klüſen4 ihm aus, Dann ſchüttelt er ſich wie ein Pudel und ſchilt Und zieht auch die Naſe wohl kraus. Bald iſt er jedoch wieder heiter geſtimmt Wie ſehr er zuerſt auch erboſt, Staut beſſer ſich in die Kinken5 und nimmt Ein tüchtiges Prüntje6 zum Troſt. Wenn Nachts in der Coje er wonnig und warm Liegt bis an die Ohren verſteckt Und ihn aus der Träume holdſeligen Schwarm Das donnernde „Reewe“7 erweckt, Dann wickelt er ſich aus den Decken hervor Und’s ſetzt auch bisweilen ’nen Fluch, Wenn ſchallend die Glocke verkündet dem Ohr Daß eben ſechs Glaſen8 es ſchlug. 1 Die geſchützte Seite unter dem Winde. 2 Perſonificirte See. 3 Verſchanzung. 4 Die Oeffnungen vorn am Schiff, durch welche die Ankerketten nach außenbord’s geleitet werden, hier figürlich für Augen. 5 Eigentlich eine falſche Bucht in einem Tau, figürlich Ecke. 6 Kau- taback. 7 Der Ruf, wenn bei Sturm die Leute zum Segelkürzen an Deck kommen ſollen. 8 Jede Wache von 4 Stunden wird in 8 halbe Stunden (Glaſen, von den früher gebrauchten Sanduhren ſogenannt) eingetheilt. Wenn ſechs Glaſen geſchlagen werden, ſo iſt nur noch eine 5*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0079" n="67"/><fw place="top" type="header">Eine erſte Seereiſe</fw><lb/> ſehr an und hatte eine recht gefällige Melodie. So viel ich<lb/> mich erinnere, lautete es folgendermaßen:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ich kann nicht erinnern, daß jemals auf See</l><lb/> <l>Matroſen ich traurig erblickt,</l><lb/> <l>Kein Hagel und Regen, kein Sturm oder Schnee</l><lb/> <l>Nichts giebt’s was zu Boden ihn drückt.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wenn’s weht aus Nordweſt und in Sorge und Noth,</l><lb/> <l>Manch’ Bräutchen und Mutter ſich quält,</l><lb/> <l>Sitzt Janmaat behaglich in Lee<note place="foot" n="1">Die geſchützte Seite unter dem Winde.</note> von dem Boot</l><lb/> <l>Und da wird gelacht und erzählt.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Guckt Rasmus<note place="foot" n="2">Perſonificirte See.</note> dann über die Reiling<note place="foot" n="3">Verſchanzung.</note> und ſpült</l><lb/> <l>Gehörig die Klüſen<note place="foot" n="4">Die Oeffnungen vorn am Schiff, durch welche die<lb/> Ankerketten nach außenbord’s geleitet werden, hier figürlich für Augen.</note> ihm aus,</l><lb/> <l>Dann ſchüttelt er ſich wie ein Pudel und ſchilt</l><lb/> <l>Und zieht auch die Naſe wohl kraus.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Bald iſt er jedoch wieder heiter geſtimmt</l><lb/> <l>Wie ſehr er zuerſt auch erboſt,</l><lb/> <l>Staut beſſer ſich in die Kinken<note place="foot" n="5">Eigentlich eine falſche Bucht in einem Tau, figürlich Ecke.</note> und nimmt</l><lb/> <l>Ein tüchtiges Prüntje<note place="foot" n="6">Kau-<lb/> taback.</note> zum Troſt.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Wenn Nachts in der Coje er wonnig und warm</l><lb/> <l>Liegt bis an die Ohren verſteckt</l><lb/> <l>Und ihn aus der Träume holdſeligen Schwarm</l><lb/> <l>Das donnernde „Reewe“<note place="foot" n="7">Der Ruf, wenn bei Sturm die Leute zum Segelkürzen an<lb/> Deck kommen ſollen.</note> erweckt,</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Dann wickelt er ſich aus den Decken hervor</l><lb/> <l>Und’s ſetzt auch bisweilen ’nen Fluch,</l><lb/> <l>Wenn ſchallend die Glocke verkündet dem Ohr</l><lb/> <l>Daß eben ſechs Glaſen<note xml:id="note-0079" next="#note-0080" place="foot" n="8">Jede Wache von 4 Stunden wird in 8 halbe<lb/> Stunden (Glaſen, von den früher gebrauchten Sanduhren ſogenannt)<lb/> eingetheilt. Wenn ſechs Glaſen geſchlagen werden, ſo iſt nur noch eine</note> es ſchlug.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [67/0079]
Eine erſte Seereiſe
ſehr an und hatte eine recht gefällige Melodie. So viel ich
mich erinnere, lautete es folgendermaßen:
Ich kann nicht erinnern, daß jemals auf See
Matroſen ich traurig erblickt,
Kein Hagel und Regen, kein Sturm oder Schnee
Nichts giebt’s was zu Boden ihn drückt.
Wenn’s weht aus Nordweſt und in Sorge und Noth,
Manch’ Bräutchen und Mutter ſich quält,
Sitzt Janmaat behaglich in Lee 1 von dem Boot
Und da wird gelacht und erzählt.
Guckt Rasmus 2 dann über die Reiling 3 und ſpült
Gehörig die Klüſen 4 ihm aus,
Dann ſchüttelt er ſich wie ein Pudel und ſchilt
Und zieht auch die Naſe wohl kraus.
Bald iſt er jedoch wieder heiter geſtimmt
Wie ſehr er zuerſt auch erboſt,
Staut beſſer ſich in die Kinken 5 und nimmt
Ein tüchtiges Prüntje 6 zum Troſt.
Wenn Nachts in der Coje er wonnig und warm
Liegt bis an die Ohren verſteckt
Und ihn aus der Träume holdſeligen Schwarm
Das donnernde „Reewe“ 7 erweckt,
Dann wickelt er ſich aus den Decken hervor
Und’s ſetzt auch bisweilen ’nen Fluch,
Wenn ſchallend die Glocke verkündet dem Ohr
Daß eben ſechs Glaſen 8 es ſchlug.
1 Die geſchützte Seite unter dem Winde.
2 Perſonificirte See.
3 Verſchanzung.
4 Die Oeffnungen vorn am Schiff, durch welche die
Ankerketten nach außenbord’s geleitet werden, hier figürlich für Augen.
5 Eigentlich eine falſche Bucht in einem Tau, figürlich Ecke.
6 Kau-
taback.
7 Der Ruf, wenn bei Sturm die Leute zum Segelkürzen an
Deck kommen ſollen.
8 Jede Wache von 4 Stunden wird in 8 halbe
Stunden (Glaſen, von den früher gebrauchten Sanduhren ſogenannt)
eingetheilt. Wenn ſechs Glaſen geſchlagen werden, ſo iſt nur noch eine
5*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |