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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
Sie braßte7 die Arme in höchster Extase,
Fiel dann einer Freundin graciös in den Schooß
Und hielt sich ein mächtiges Tuch vor die Nase,
Wobei sie mir grimmige Blicke zuschoß.
Doch denkt meine Scham, als ich hörte sie sagen
Ganz laut zu der großen Gesellschaft umher,
"Hilf Himmel, ich konnt' es nicht länger ertragen,
Es riecht ja so fürchterlich strenge nach Theer!"
Bestürzt braßt' ich back8 und begann über's Steuer9
Zu gehn und die Thüre zu suchen vom Saal,
Die Nase der Schönen still wünschend zum Geier,
Die so mir verdarb diesen glänzenden Ball.
So ging's mir schon öfter, wenn gleich ich mich steckte
In allerlei Kleidung, es half mir nichts mehr,
Denn kam ich an Land, augenblicklich entdeckte
Ein weiblicher Riecher den häßlichen Theer.
Schenk' ich einer Dame 'ne duftige Rose,
So riecht sie und spricht dann ganz schnippisch; "Mein Herr,
Verzeih'n Sie die Frage, Sie sind wohl Matrose?"
"Warum? Ja!" "Ah!" sagt sie, "ich rieche den Theer."
Was hilft es am Ende, ob ein ich mich weiche
In Oh10 de Gott weiß was und Oh Mine Flöhr11.
Gleich heißt es, sobald ich am Lande mich zeige,
"Hilf Himmel, wie riechen Sie strenge nach Theer."

Das letztere Lied schien sogar dem alten Bootsmann sehr
zu gefallen, denn wenn die Leute Nachmittags auf der Frei-
wache vorn auf dem Deck bei ihren verschiedenen Beschäftigungen
zusammensaßen, munterte er sie öfter auf, doch das Lied von
"Mine Flöhr" zu singen und brummte dann die Melodie leise mit,
wenn gleich er gewöhnlich dabei um ein bis zwei Töne "aus der
Reihe" war. Vielleicht stiegen dabei Reminiscenzen an seine jüngeren
Jahre und an eine darin verflochtene "Mine" in ihm auf.


7 Bewegte.
8 Stand ich still.
9 Rückwärts.
10 Eau.
11 Eau
de mille fleurs.
Werner
Sie braßte7 die Arme in höchſter Extaſe,
Fiel dann einer Freundin graciös in den Schooß
Und hielt ſich ein mächtiges Tuch vor die Naſe,
Wobei ſie mir grimmige Blicke zuſchoß.
Doch denkt meine Scham, als ich hörte ſie ſagen
Ganz laut zu der großen Geſellſchaft umher,
„Hilf Himmel, ich konnt’ es nicht länger ertragen,
Es riecht ja ſo fürchterlich ſtrenge nach Theer!“
Beſtürzt braßt’ ich back8 und begann über’s Steuer9
Zu gehn und die Thüre zu ſuchen vom Saal,
Die Naſe der Schönen ſtill wünſchend zum Geier,
Die ſo mir verdarb dieſen glänzenden Ball.
So ging’s mir ſchon öfter, wenn gleich ich mich ſteckte
In allerlei Kleidung, es half mir nichts mehr,
Denn kam ich an Land, augenblicklich entdeckte
Ein weiblicher Riecher den häßlichen Theer.
Schenk’ ich einer Dame ’ne duftige Roſe,
So riecht ſie und ſpricht dann ganz ſchnippiſch; „Mein Herr,
Verzeih’n Sie die Frage, Sie ſind wohl Matroſe?“
„Warum? Ja!“ „Ah!“ ſagt ſie, „ich rieche den Theer.“
Was hilft es am Ende, ob ein ich mich weiche
In Oh10 de Gott weiß was und Oh Mine Flöhr11.
Gleich heißt es, ſobald ich am Lande mich zeige,
„Hilf Himmel, wie riechen Sie ſtrenge nach Theer.“

Das letztere Lied ſchien ſogar dem alten Bootsmann ſehr
zu gefallen, denn wenn die Leute Nachmittags auf der Frei-
wache vorn auf dem Deck bei ihren verſchiedenen Beſchäftigungen
zuſammenſaßen, munterte er ſie öfter auf, doch das Lied von
„Mine Flöhr“ zu ſingen und brummte dann die Melodie leiſe mit,
wenn gleich er gewöhnlich dabei um ein bis zwei Töne „aus der
Reihe“ war. Vielleicht ſtiegen dabei Reminiscenzen an ſeine jüngeren
Jahre und an eine darin verflochtene „Mine“ in ihm auf.


7 Bewegte.
8 Stand ich ſtill.
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11 Eau
de mille fleurs.
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[70/0082] Werner Sie braßte 7 die Arme in höchſter Extaſe, Fiel dann einer Freundin graciös in den Schooß Und hielt ſich ein mächtiges Tuch vor die Naſe, Wobei ſie mir grimmige Blicke zuſchoß. Doch denkt meine Scham, als ich hörte ſie ſagen Ganz laut zu der großen Geſellſchaft umher, „Hilf Himmel, ich konnt’ es nicht länger ertragen, Es riecht ja ſo fürchterlich ſtrenge nach Theer!“ Beſtürzt braßt’ ich back 8 und begann über’s Steuer 9 Zu gehn und die Thüre zu ſuchen vom Saal, Die Naſe der Schönen ſtill wünſchend zum Geier, Die ſo mir verdarb dieſen glänzenden Ball. So ging’s mir ſchon öfter, wenn gleich ich mich ſteckte In allerlei Kleidung, es half mir nichts mehr, Denn kam ich an Land, augenblicklich entdeckte Ein weiblicher Riecher den häßlichen Theer. Schenk’ ich einer Dame ’ne duftige Roſe, So riecht ſie und ſpricht dann ganz ſchnippiſch; „Mein Herr, Verzeih’n Sie die Frage, Sie ſind wohl Matroſe?“ „Warum? Ja!“ „Ah!“ ſagt ſie, „ich rieche den Theer.“ Was hilft es am Ende, ob ein ich mich weiche In Oh 10 de Gott weiß was und Oh Mine Flöhr 11. Gleich heißt es, ſobald ich am Lande mich zeige, „Hilf Himmel, wie riechen Sie ſtrenge nach Theer.“ Das letztere Lied ſchien ſogar dem alten Bootsmann ſehr zu gefallen, denn wenn die Leute Nachmittags auf der Frei- wache vorn auf dem Deck bei ihren verſchiedenen Beſchäftigungen zuſammenſaßen, munterte er ſie öfter auf, doch das Lied von „Mine Flöhr“ zu ſingen und brummte dann die Melodie leiſe mit, wenn gleich er gewöhnlich dabei um ein bis zwei Töne „aus der Reihe“ war. Vielleicht ſtiegen dabei Reminiscenzen an ſeine jüngeren Jahre und an eine darin verflochtene „Mine“ in ihm auf. 7 Bewegte. 8 Stand ich ſtill. 9 Rückwärts. 10 Eau. 11 Eau de mille fleurs.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/82>, abgerufen am 21.11.2024.