Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.geworfene Redensarten; dann kommt er an ein Wort des An- Interessant sind die Beziehungen der Aphasie zur Alexie geworfene Redensarten; dann kommt er an ein Wort des An- Interessant sind die Beziehungen der Aphasie zur Alexie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0052" n="48"/> geworfene Redensarten; dann kommt er an ein Wort des An-<lb/> stosses, bleibt daran hängen, müht sich, ärgert sich, und fast jedes<lb/> Wort, das er dann stockend vorbringt, ist unsinnig; er verbessert<lb/> sich immer wieder, und je mehr er sich müht, desto schlimmer<lb/> wird der Zustand. Erräth man den intendirten Sinn und sagt es<lb/> ihm, so athmet er auf: Ja, das wollt ich sagen. Andererseits<lb/> passirt es ihm, wenn er sich gehen lässt, dass ihm ganze Sätze,<lb/> die in sich grammatisch richtig sind, herausfahren mit einem ganz<lb/> anderen Sinne als dem gewollten; dann wird er ebenso ärgerlich<lb/> und desavouirt den eben gesprochenen Satz. Sehr oft fragt er in<lb/> Bezug auf das eben Gesprochene: War das richtig?</p><lb/> <p>Interessant sind die Beziehungen der Aphasie zur Alexie<lb/> und Agraphie. Beide Zustände sind vorhanden, aber in sehr ver-<lb/> schiedenem Grade. Es wird ihm ein gross gedruckter Buchstabe<lb/> vorgelegt, er soll ihn benennen. Trotz aller Mühe erkennt er ihn<lb/> nicht; er sieht sich Hilfe suchend um, sein Auge fällt auf den mit<lb/> Goldschrift gedruckten Titel eines Buches, er zeigt auf den Titel<lb/> und sagt: das erkenne ich, das heisst Göthe. Dicht daneben<lb/> steht, ebenso eingebunden, der Schiller; er soll den Titel lesen,<lb/> erkennt ihn aber trotz aller Mühe nicht, nur findet er durch Ver-<lb/> gleichung beider Titel, dass es nicht dasselbe ist, wie Goethe. So<lb/> liest er auf der Strasse im Vorbeigehen die Schilder, ohne dass<lb/> er sie besonders sucht; wird er aber auf ein bestimmtes Wort,<lb/> einen bestimmten Buchstaben gewiesen, so gelingt es ihm nie, ihn<lb/> zu finden. Unter einer Anzahl ihm vorgeschriebener Zahlen und<lb/> Buchstaben findet er den verlangten zwar langsam, aber immer<lb/> richtig; er merkt es auch regelmässig, wenn die verlangte Zahl<lb/> oder der Buchstabe nicht darunter ist. Er erkennt auch jeden<lb/> einzelnen Buchstaben dadurch, dass man ihm Buchstaben vorsagt:<lb/> er lehnt die übrigen ab und hält sich an den richtigen. Bei den<lb/> Zahlen hilft er sieh dadurch, dass er die Zahl mit dem Auge<lb/> fixirt und dabei an den Fingern abzählt, bis er zu der Zahl ge-<lb/> kommen ist, die dem Gesichtsbild entspricht. Dass keine Seh-<lb/> störung die Schuld an dem Nichterkennen der Buchstaben ist,<lb/> geht erstens daraus hervor, dass er alle anderen Gegenstände,<lb/> Photographie etc. richtig erkennt, so wie aus seiner Angabe, dass<lb/> er die Umrisse der Buchstaben deutlich sehe. Die Buchstaben<lb/> kommen ihm noch bekannt vor, sie machen ihm durchaus nicht<lb/> den Eindruck des Chinesischen oder der Keilschrift, wie es bei<lb/> völligem Erlöschen der Gesichtsbilder der Fall sein müsste. Er<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [48/0052]
geworfene Redensarten; dann kommt er an ein Wort des An-
stosses, bleibt daran hängen, müht sich, ärgert sich, und fast jedes
Wort, das er dann stockend vorbringt, ist unsinnig; er verbessert
sich immer wieder, und je mehr er sich müht, desto schlimmer
wird der Zustand. Erräth man den intendirten Sinn und sagt es
ihm, so athmet er auf: Ja, das wollt ich sagen. Andererseits
passirt es ihm, wenn er sich gehen lässt, dass ihm ganze Sätze,
die in sich grammatisch richtig sind, herausfahren mit einem ganz
anderen Sinne als dem gewollten; dann wird er ebenso ärgerlich
und desavouirt den eben gesprochenen Satz. Sehr oft fragt er in
Bezug auf das eben Gesprochene: War das richtig?
Interessant sind die Beziehungen der Aphasie zur Alexie
und Agraphie. Beide Zustände sind vorhanden, aber in sehr ver-
schiedenem Grade. Es wird ihm ein gross gedruckter Buchstabe
vorgelegt, er soll ihn benennen. Trotz aller Mühe erkennt er ihn
nicht; er sieht sich Hilfe suchend um, sein Auge fällt auf den mit
Goldschrift gedruckten Titel eines Buches, er zeigt auf den Titel
und sagt: das erkenne ich, das heisst Göthe. Dicht daneben
steht, ebenso eingebunden, der Schiller; er soll den Titel lesen,
erkennt ihn aber trotz aller Mühe nicht, nur findet er durch Ver-
gleichung beider Titel, dass es nicht dasselbe ist, wie Goethe. So
liest er auf der Strasse im Vorbeigehen die Schilder, ohne dass
er sie besonders sucht; wird er aber auf ein bestimmtes Wort,
einen bestimmten Buchstaben gewiesen, so gelingt es ihm nie, ihn
zu finden. Unter einer Anzahl ihm vorgeschriebener Zahlen und
Buchstaben findet er den verlangten zwar langsam, aber immer
richtig; er merkt es auch regelmässig, wenn die verlangte Zahl
oder der Buchstabe nicht darunter ist. Er erkennt auch jeden
einzelnen Buchstaben dadurch, dass man ihm Buchstaben vorsagt:
er lehnt die übrigen ab und hält sich an den richtigen. Bei den
Zahlen hilft er sieh dadurch, dass er die Zahl mit dem Auge
fixirt und dabei an den Fingern abzählt, bis er zu der Zahl ge-
kommen ist, die dem Gesichtsbild entspricht. Dass keine Seh-
störung die Schuld an dem Nichterkennen der Buchstaben ist,
geht erstens daraus hervor, dass er alle anderen Gegenstände,
Photographie etc. richtig erkennt, so wie aus seiner Angabe, dass
er die Umrisse der Buchstaben deutlich sehe. Die Buchstaben
kommen ihm noch bekannt vor, sie machen ihm durchaus nicht
den Eindruck des Chinesischen oder der Keilschrift, wie es bei
völligem Erlöschen der Gesichtsbilder der Fall sein müsste. Er
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