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Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.

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zeigt sich von oben nach unten zusammengedrückt und dafür ver-
breitert, der linke Hirnschenkel ist an seiner untern Fläche sattel-
förmig eingebogen. Die ganze F. Sylvii kann blossgelegt wer-
den, ohne Eröffnung des Abscesses.

Der Abscess nimmt den grössten Theil des Schläfelappens
ein, und zwar die äussere und untere Wand des Unterhornes des
Seitenventrikels, dessen Ependym nicht durchbrochen ist. Er
enthält übelriechenden, grünen Eiter und ist mit einer Abscess-
membran ausgekleidet. Die Umgebung ist jedoch so erweicht,
(macerirt), dass die Grenzen des Gesunden sich nicht mehr fest-
stellen lassen. Das Mark der I. Schläfewindung zeigt sich in
seinen tieferen, dem Marklager zugewandten Theilen ebenfalls er-
weicht, die in der Windung befindliche Markleiste jedoch erhalten,
nur ödematös. Der Abscess erstreckt sich an der Verbindungs-
stelle des Schläfelappens mit dem Stammlappen in denselben
hinein, daselbst ist die Gehirnsubstanz (confluirter Nucl. candatus
und Linsenkern) selbst eitrig infiltrirt, und keine Membran vor-
handen; die äussersten Fasern des Hirnschenkels sind dadurch
mit betroffen. Der linke Tractus opticus ist zum Theil weiss
erweicht und abgeplattet.

Abgesehen von der Compression zeigen sich alle übrigen
Theile des Gehirnes, besonders die ganze I. linke Stirnwindung
und die Stammganglien normal.

Im Lumbaltheile des Rückenmarkes findet sich eine circum-
scripte eitrige Meningitis, das Rückenmark ist daselbst durch dicke
Eiterklumpen comprimirt. Das übrige Rückenmark zeigt nichts
Abnormes.



Der eben mitgetheilte Fall bietet so viele Räthsel, dass es
kaum möglich scheint, sich eine befriedigende Vorstellung von
dem Verlaufe des Falles zu machen. Da keine rechtsseitige Hemi-
plegie vorhanden war, so müssen die linksseitigen Stammgan-
glien trotz der Compression fungirt haben, oder die Compression
muss erst sehr spät eingetreten sein. Haben sie aber fungirt, so ist
sicher auch die Aphasie nicht durch die Compression der I. Stirn-
windung zu erklären: dieses negative Resultat ist das einzige, wel-
ches sich für die Lehre von der Aphasie aus diesem Falle ziehen
lässt. Ob das Mark der I. Schläfewindung, auf das es hier an-
kommt, schon bei Lebzeiten erweicht war oder nicht, liess sich
unmöglich feststellen; sicher war es noch besser erhalten, als das

zeigt sich von oben nach unten zusammengedrückt und dafür ver-
breitert, der linke Hirnschenkel ist an seiner untern Fläche sattel-
förmig eingebogen. Die ganze F. Sylvii kann blossgelegt wer-
den, ohne Eröffnung des Abscesses.

Der Abscess nimmt den grössten Theil des Schläfelappens
ein, und zwar die äussere und untere Wand des Unterhornes des
Seitenventrikels, dessen Ependym nicht durchbrochen ist. Er
enthält übelriechenden, grünen Eiter und ist mit einer Abscess-
membran ausgekleidet. Die Umgebung ist jedoch so erweicht,
(macerirt), dass die Grenzen des Gesunden sich nicht mehr fest-
stellen lassen. Das Mark der I. Schläfewindung zeigt sich in
seinen tieferen, dem Marklager zugewandten Theilen ebenfalls er-
weicht, die in der Windung befindliche Markleiste jedoch erhalten,
nur ödematös. Der Abscess erstreckt sich an der Verbindungs-
stelle des Schläfelappens mit dem Stammlappen in denselben
hinein, daselbst ist die Gehirnsubstanz (confluirter Nucl. candatus
und Linsenkern) selbst eitrig infiltrirt, und keine Membran vor-
handen; die äussersten Fasern des Hirnschenkels sind dadurch
mit betroffen. Der linke Tractus opticus ist zum Theil weiss
erweicht und abgeplattet.

Abgesehen von der Compression zeigen sich alle übrigen
Theile des Gehirnes, besonders die ganze I. linke Stirnwindung
und die Stammganglien normal.

Im Lumbaltheile des Rückenmarkes findet sich eine circum-
scripte eitrige Meningitis, das Rückenmark ist daselbst durch dicke
Eiterklumpen comprimirt. Das übrige Rückenmark zeigt nichts
Abnormes.



Der eben mitgetheilte Fall bietet so viele Räthsel, dass es
kaum möglich scheint, sich eine befriedigende Vorstellung von
dem Verlaufe des Falles zu machen. Da keine rechtsseitige Hemi-
plegie vorhanden war, so müssen die linksseitigen Stammgan-
glien trotz der Compression fungirt haben, oder die Compression
muss erst sehr spät eingetreten sein. Haben sie aber fungirt, so ist
sicher auch die Aphasie nicht durch die Compression der I. Stirn-
windung zu erklären: dieses negative Resultat ist das einzige, wel-
ches sich für die Lehre von der Aphasie aus diesem Falle ziehen
lässt. Ob das Mark der I. Schläfewindung, auf das es hier an-
kommt, schon bei Lebzeiten erweicht war oder nicht, liess sich
unmöglich feststellen; sicher war es noch besser erhalten, als das

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[66/0070] zeigt sich von oben nach unten zusammengedrückt und dafür ver- breitert, der linke Hirnschenkel ist an seiner untern Fläche sattel- förmig eingebogen. Die ganze F. Sylvii kann blossgelegt wer- den, ohne Eröffnung des Abscesses. Der Abscess nimmt den grössten Theil des Schläfelappens ein, und zwar die äussere und untere Wand des Unterhornes des Seitenventrikels, dessen Ependym nicht durchbrochen ist. Er enthält übelriechenden, grünen Eiter und ist mit einer Abscess- membran ausgekleidet. Die Umgebung ist jedoch so erweicht, (macerirt), dass die Grenzen des Gesunden sich nicht mehr fest- stellen lassen. Das Mark der I. Schläfewindung zeigt sich in seinen tieferen, dem Marklager zugewandten Theilen ebenfalls er- weicht, die in der Windung befindliche Markleiste jedoch erhalten, nur ödematös. Der Abscess erstreckt sich an der Verbindungs- stelle des Schläfelappens mit dem Stammlappen in denselben hinein, daselbst ist die Gehirnsubstanz (confluirter Nucl. candatus und Linsenkern) selbst eitrig infiltrirt, und keine Membran vor- handen; die äussersten Fasern des Hirnschenkels sind dadurch mit betroffen. Der linke Tractus opticus ist zum Theil weiss erweicht und abgeplattet. Abgesehen von der Compression zeigen sich alle übrigen Theile des Gehirnes, besonders die ganze I. linke Stirnwindung und die Stammganglien normal. Im Lumbaltheile des Rückenmarkes findet sich eine circum- scripte eitrige Meningitis, das Rückenmark ist daselbst durch dicke Eiterklumpen comprimirt. Das übrige Rückenmark zeigt nichts Abnormes. Der eben mitgetheilte Fall bietet so viele Räthsel, dass es kaum möglich scheint, sich eine befriedigende Vorstellung von dem Verlaufe des Falles zu machen. Da keine rechtsseitige Hemi- plegie vorhanden war, so müssen die linksseitigen Stammgan- glien trotz der Compression fungirt haben, oder die Compression muss erst sehr spät eingetreten sein. Haben sie aber fungirt, so ist sicher auch die Aphasie nicht durch die Compression der I. Stirn- windung zu erklären: dieses negative Resultat ist das einzige, wel- ches sich für die Lehre von der Aphasie aus diesem Falle ziehen lässt. Ob das Mark der I. Schläfewindung, auf das es hier an- kommt, schon bei Lebzeiten erweicht war oder nicht, liess sich unmöglich feststellen; sicher war es noch besser erhalten, als das

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Zitationshilfe: Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/70>, abgerufen am 21.11.2024.