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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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mit verschlungnen Armen herumwandelten,
schwerbeladne Obstbäume ihrer lachenden
Früchte entladeten, die Beute friedlich mit
einander theilten und zur Sättigung der Muße
Blumen pflückten, wo sie den anmuthvollen
muntern Reihen des Lebens in einsamer Stille
oder lauter Frölichkeit hinabtanzten: dies
war das goldne Zeitalter meines Lebens, die
glücklichste Blindheit, der seligste Traum der
Unwissenheit. Jzt habe ich die Augen geöff-
net, ich übersehe einen weiten Raum der ver-
gangnen und gegenwärtigen Zeiten, von
dem großen Zirkel der Erde den meisten Theil,
den Umfang der Menschheit, Sitten, Staa-
ten, Verhältnisse, und -- die Weite der Aus-
sicht macht mich unglücklich! höchstunglück-
lich! der Mensch, der Mensch ist in meinen
Augen gesunken, und ich mit ihm. Jch
übersehe ein ungeheures Schlachtfeld, wenn
ich über die Erde hinschaue --

Belphegor! unterbrach ihn Fromal, laß
mich das Bild mahlen! Du möchtest zu
dunkle Farben dazu nehmen; meine gute
Laune, merke ich wohl, hat unter uns dreyen
am längsten ausgehalten. Hier, Freunde!
schmaust Datteln und seyd gutes Muthes!



mit verſchlungnen Armen herumwandelten,
ſchwerbeladne Obſtbaͤume ihrer lachenden
Fruͤchte entladeten, die Beute friedlich mit
einander theilten und zur Saͤttigung der Muße
Blumen pfluͤckten, wo ſie den anmuthvollen
muntern Reihen des Lebens in einſamer Stille
oder lauter Froͤlichkeit hinabtanzten: dies
war das goldne Zeitalter meines Lebens, die
gluͤcklichſte Blindheit, der ſeligſte Traum der
Unwiſſenheit. Jzt habe ich die Augen geoͤff-
net, ich uͤberſehe einen weiten Raum der ver-
gangnen und gegenwaͤrtigen Zeiten, von
dem großen Zirkel der Erde den meiſten Theil,
den Umfang der Menſchheit, Sitten, Staa-
ten, Verhaͤltniſſe, und — die Weite der Aus-
ſicht macht mich ungluͤcklich! hoͤchſtungluͤck-
lich! der Menſch, der Menſch iſt in meinen
Augen geſunken, und ich mit ihm. Jch
uͤberſehe ein ungeheures Schlachtfeld, wenn
ich uͤber die Erde hinſchaue —

Belphegor! unterbrach ihn Fromal, laß
mich das Bild mahlen! Du moͤchteſt zu
dunkle Farben dazu nehmen; meine gute
Laune, merke ich wohl, hat unter uns dreyen
am laͤngſten ausgehalten. Hier, Freunde!
ſchmauſt Datteln und ſeyd gutes Muthes!

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[190/0210] mit verſchlungnen Armen herumwandelten, ſchwerbeladne Obſtbaͤume ihrer lachenden Fruͤchte entladeten, die Beute friedlich mit einander theilten und zur Saͤttigung der Muße Blumen pfluͤckten, wo ſie den anmuthvollen muntern Reihen des Lebens in einſamer Stille oder lauter Froͤlichkeit hinabtanzten: dies war das goldne Zeitalter meines Lebens, die gluͤcklichſte Blindheit, der ſeligſte Traum der Unwiſſenheit. Jzt habe ich die Augen geoͤff- net, ich uͤberſehe einen weiten Raum der ver- gangnen und gegenwaͤrtigen Zeiten, von dem großen Zirkel der Erde den meiſten Theil, den Umfang der Menſchheit, Sitten, Staa- ten, Verhaͤltniſſe, und — die Weite der Aus- ſicht macht mich ungluͤcklich! hoͤchſtungluͤck- lich! der Menſch, der Menſch iſt in meinen Augen geſunken, und ich mit ihm. Jch uͤberſehe ein ungeheures Schlachtfeld, wenn ich uͤber die Erde hinſchaue — Belphegor! unterbrach ihn Fromal, laß mich das Bild mahlen! Du moͤchteſt zu dunkle Farben dazu nehmen; meine gute Laune, merke ich wohl, hat unter uns dreyen am laͤngſten ausgehalten. Hier, Freunde! ſchmauſt Datteln und ſeyd gutes Muthes!

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/210>, abgerufen am 21.11.2024.