zuletzt schrumpfte sie gar bis auf das magre Etwas zusammen -- Abwesenheit wirklicher Leiden; wer diese errungen hat, der ist menschlich glücklich. Die Freuden des Lebens sind dünne, wie die Frucht eines sandigten Ackers, verstreut: es gehört zu beiden gute Oekonomie. Freiheit, dieses hauptsächlichste Ingredienz einer positiven Glückseligkeit, wie wenige genießen sie! Die meisten müssen sich mit dem Schatten und dem Worte begnügen: macht die Rechnung und ziehet die Summe, und unter allen Völ- kern der drey Welttheile unsrer Halbkugel werdet ihr nicht bey dem zehntausendsten Theile die Illusion der Freiheit finden. Der nackte Wilde kämpft mit Hunger, Durst, Kälte und Regen: der polizierte Europäer mit tausendfachem künstlichen Mangel, mit Arbeit, mit dem Eigennutze, der unterdrü- ckenden Gewalt und Millionen Leidenschaf- ten: Asiater, Afrikaner und Amerikaner sind mehr oder weniger vom Despotismus und Geize ihrer Beherrscher gequält: nirgends sind die Bewohner der Erde zufrieden, und nirgends können sie es seyn: Die Glückselig- keit unsers Planetens scheint in die gemäßigte
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zuletzt ſchrumpfte ſie gar bis auf das magre Etwas zuſammen — Abweſenheit wirklicher Leiden; wer dieſe errungen hat, der iſt menſchlich gluͤcklich. Die Freuden des Lebens ſind duͤnne, wie die Frucht eines ſandigten Ackers, verſtreut: es gehoͤrt zu beiden gute Oekonomie. Freiheit, dieſes hauptſaͤchlichſte Ingredienz einer poſitiven Gluͤckſeligkeit, wie wenige genießen ſie! Die meiſten muͤſſen ſich mit dem Schatten und dem Worte begnuͤgen: macht die Rechnung und ziehet die Summe, und unter allen Voͤl- kern der drey Welttheile unſrer Halbkugel werdet ihr nicht bey dem zehntauſendſten Theile die Illuſion der Freiheit finden. Der nackte Wilde kaͤmpft mit Hunger, Durſt, Kaͤlte und Regen: der polizierte Europaͤer mit tauſendfachem kuͤnſtlichen Mangel, mit Arbeit, mit dem Eigennutze, der unterdruͤ- ckenden Gewalt und Millionen Leidenſchaf- ten: Aſiater, Afrikaner und Amerikaner ſind mehr oder weniger vom Deſpotiſmus und Geize ihrer Beherrſcher gequaͤlt: nirgends ſind die Bewohner der Erde zufrieden, und nirgends koͤnnen ſie es ſeyn: Die Gluͤckſelig- keit unſers Planetens ſcheint in die gemaͤßigte
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zuletzt ſchrumpfte ſie gar bis auf das magre
Etwas zuſammen — Abweſenheit wirklicher
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menſchlich gluͤcklich. Die Freuden des
Lebens ſind duͤnne, wie die Frucht eines
ſandigten Ackers, verſtreut: es gehoͤrt zu
beiden gute Oekonomie. Freiheit, dieſes
hauptſaͤchlichſte Ingredienz einer poſitiven
Gluͤckſeligkeit, wie wenige genießen ſie! Die
meiſten muͤſſen ſich mit dem Schatten und
dem Worte begnuͤgen: macht die Rechnung
und ziehet die Summe, und unter allen Voͤl-
kern der drey Welttheile unſrer Halbkugel
werdet ihr nicht bey dem zehntauſendſten
Theile die Illuſion der Freiheit finden. Der
nackte Wilde kaͤmpft mit Hunger, Durſt,
Kaͤlte und Regen: der polizierte Europaͤer
mit tauſendfachem kuͤnſtlichen Mangel, mit
Arbeit, mit dem Eigennutze, der unterdruͤ-
ckenden Gewalt und Millionen Leidenſchaf-
ten: Aſiater, Afrikaner und Amerikaner ſind
mehr oder weniger vom Deſpotiſmus und
Geize ihrer Beherrſcher gequaͤlt: nirgends
ſind die Bewohner der Erde zufrieden, und
nirgends koͤnnen ſie es ſeyn: Die Gluͤckſelig-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/303>, abgerufen am 22.12.2024.
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