Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

che Geschlecht in seinen Augen so erniedrigt
hatte, daß er eine solche Denkungsart von
einem Mitgliede desselben gar nicht mehr er-
wartete. Der Räuber schenkte ihm eins
von den schönen Kleidern, die er mit seiner
lezten Beute erobert hatte, gab ihm verschie-
dene andre Kostbarkeiten und ließ ihm nicht
die mindeste Bequemlichkeit mangeln.

Belphegor wurde durch diesen freygebi-
gen Räuber mit dem Menschen um vieles
wieder ausgesöhnt: nur blieb es ihm ein
unauflösliches Räzel, das oft sein Nachsin-
nen deschäftigte, wie man so vortreflich und
so schlecht zu gleicher Zeit handeln, zu glei-
cher Zeit so gutdenkend und ein Räuber seyn
könne. Da er keine befriedigende Erklä-
rung dieses Phänomens zu finden im Stan-
de war, so wandte er sich an seinen Wohl-
thäter selbst und legte ihm die große Frage
vor, deren Beantwortung ihm so schwer
fiel. Der Araber war ungemein erstaunt,
daß er so fragen konnte, und versicherte,
daß er nicht begreife, warum jene beiden
Dinge nicht beysammen seyn sollten, da
das eine sowohl wie das andre, eine gute
wohlanständige Sache wäre. -- Gastfrey,

sagte
D 4

che Geſchlecht in ſeinen Augen ſo erniedrigt
hatte, daß er eine ſolche Denkungsart von
einem Mitgliede deſſelben gar nicht mehr er-
wartete. Der Raͤuber ſchenkte ihm eins
von den ſchoͤnen Kleidern, die er mit ſeiner
lezten Beute erobert hatte, gab ihm verſchie-
dene andre Koſtbarkeiten und ließ ihm nicht
die mindeſte Bequemlichkeit mangeln.

Belphegor wurde durch dieſen freygebi-
gen Raͤuber mit dem Menſchen um vieles
wieder ausgeſoͤhnt: nur blieb es ihm ein
unaufloͤsliches Raͤzel, das oft ſein Nachſin-
nen deſchaͤftigte, wie man ſo vortreflich und
ſo ſchlecht zu gleicher Zeit handeln, zu glei-
cher Zeit ſo gutdenkend und ein Raͤuber ſeyn
koͤnne. Da er keine befriedigende Erklaͤ-
rung dieſes Phaͤnomens zu finden im Stan-
de war, ſo wandte er ſich an ſeinen Wohl-
thaͤter ſelbſt und legte ihm die große Frage
vor, deren Beantwortung ihm ſo ſchwer
fiel. Der Araber war ungemein erſtaunt,
daß er ſo fragen konnte, und verſicherte,
daß er nicht begreife, warum jene beiden
Dinge nicht beyſammen ſeyn ſollten, da
das eine ſowohl wie das andre, eine gute
wohlanſtaͤndige Sache waͤre. — Gaſtfrey,

ſagte
D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0059" n="53"/>
che Ge&#x017F;chlecht in &#x017F;einen Augen &#x017F;o erniedrigt<lb/>
hatte, daß er eine &#x017F;olche Denkungsart von<lb/>
einem Mitgliede de&#x017F;&#x017F;elben gar nicht mehr er-<lb/>
wartete. Der Ra&#x0364;uber &#x017F;chenkte ihm eins<lb/>
von den &#x017F;cho&#x0364;nen Kleidern, die er mit &#x017F;einer<lb/>
lezten Beute erobert hatte, gab ihm ver&#x017F;chie-<lb/>
dene andre Ko&#x017F;tbarkeiten und ließ ihm nicht<lb/>
die minde&#x017F;te Bequemlichkeit mangeln.</p><lb/>
        <p>Belphegor wurde durch die&#x017F;en freygebi-<lb/>
gen Ra&#x0364;uber mit dem Men&#x017F;chen um vieles<lb/>
wieder ausge&#x017F;o&#x0364;hnt: nur blieb es ihm ein<lb/>
unauflo&#x0364;sliches Ra&#x0364;zel, das oft &#x017F;ein Nach&#x017F;in-<lb/>
nen de&#x017F;cha&#x0364;ftigte, wie man &#x017F;o vortreflich und<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chlecht zu gleicher Zeit handeln, zu glei-<lb/>
cher Zeit &#x017F;o gutdenkend und ein Ra&#x0364;uber &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nne. Da er keine befriedigende Erkla&#x0364;-<lb/>
rung die&#x017F;es Pha&#x0364;nomens zu finden im Stan-<lb/>
de war, &#x017F;o wandte er &#x017F;ich an &#x017F;einen Wohl-<lb/>
tha&#x0364;ter &#x017F;elb&#x017F;t und legte ihm die große Frage<lb/>
vor, deren Beantwortung ihm &#x017F;o &#x017F;chwer<lb/>
fiel. Der Araber war ungemein er&#x017F;taunt,<lb/>
daß er &#x017F;o fragen <hi rendition="#fr">konnte,</hi> und ver&#x017F;icherte,<lb/>
daß er nicht begreife, warum jene beiden<lb/>
Dinge nicht bey&#x017F;ammen &#x017F;eyn &#x017F;ollten, da<lb/>
das eine &#x017F;owohl wie das andre, eine gute<lb/>
wohlan&#x017F;ta&#x0364;ndige Sache wa&#x0364;re. &#x2014; Ga&#x017F;tfrey,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;agte</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0059] che Geſchlecht in ſeinen Augen ſo erniedrigt hatte, daß er eine ſolche Denkungsart von einem Mitgliede deſſelben gar nicht mehr er- wartete. Der Raͤuber ſchenkte ihm eins von den ſchoͤnen Kleidern, die er mit ſeiner lezten Beute erobert hatte, gab ihm verſchie- dene andre Koſtbarkeiten und ließ ihm nicht die mindeſte Bequemlichkeit mangeln. Belphegor wurde durch dieſen freygebi- gen Raͤuber mit dem Menſchen um vieles wieder ausgeſoͤhnt: nur blieb es ihm ein unaufloͤsliches Raͤzel, das oft ſein Nachſin- nen deſchaͤftigte, wie man ſo vortreflich und ſo ſchlecht zu gleicher Zeit handeln, zu glei- cher Zeit ſo gutdenkend und ein Raͤuber ſeyn koͤnne. Da er keine befriedigende Erklaͤ- rung dieſes Phaͤnomens zu finden im Stan- de war, ſo wandte er ſich an ſeinen Wohl- thaͤter ſelbſt und legte ihm die große Frage vor, deren Beantwortung ihm ſo ſchwer fiel. Der Araber war ungemein erſtaunt, daß er ſo fragen konnte, und verſicherte, daß er nicht begreife, warum jene beiden Dinge nicht beyſammen ſeyn ſollten, da das eine ſowohl wie das andre, eine gute wohlanſtaͤndige Sache waͤre. — Gaſtfrey, ſagte D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/59
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/59>, abgerufen am 22.12.2024.