Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

damals auf dem Gutshof als Magd, und Geelhaar ließ durch sie sagen, daß er wieder bei ihm eintreten könne. Das war gerade, was er gewünscht hatte.

Noch zwei Jahre blieb er im Knechtsdienst; dann starb seine alte Mutter, und sein Vater verlangte nun allen Ernstes, daß er sich entscheiden solle. Ansas sah ihn fast nie mehr nüchtern; von dem lebenden Inventar holte der Fleischer ein Stück nach dem andern ab, zuletzt kam schon die Reihe an die schönen schlanken Birken vor dem Hause. Als die ersten von den hohen Kronen sanken, schnitt es Ansas tief ins Herz. Er hatte die Bäume lieb, die schon seine Wiege beschattet hatten, und konnte sie nicht ohne heimliche Thränen fallen sehen. Das Haus ohne die grünen Bäume -- das war ja undenkbar! Er sagte seinem Vater zu, daß er nächsten Mittwoch mit ihm aufs Gericht gehen wollte, um die Verschreibung machen zu lassen.

Kristups Wanags wartete den Tag nicht ab, sondern suchte schon vorher, ohne seinem Sohn etwas davon zu sagen, den alten Secretär auf, der zugleich littauischer Dolmetscher war, und ohne den deßhalb vor dem Richter kein Geschäft besorgt werden konnte. In der Klete (Vorrathskammer) fand sich noch ein Gebinde Flachs vor, das eigentlich die alte Karalene zu Martini auf ihr Ausgedinge bekommen sollte; er nahm es aber unbedenklich mit und gab es bei der Frau Secretär ab. Und dann sagte er, daß er ihren Mann zu sprechen habe, und daß er gar nichts Un-

damals auf dem Gutshof als Magd, und Geelhaar ließ durch sie sagen, daß er wieder bei ihm eintreten könne. Das war gerade, was er gewünscht hatte.

Noch zwei Jahre blieb er im Knechtsdienst; dann starb seine alte Mutter, und sein Vater verlangte nun allen Ernstes, daß er sich entscheiden solle. Ansas sah ihn fast nie mehr nüchtern; von dem lebenden Inventar holte der Fleischer ein Stück nach dem andern ab, zuletzt kam schon die Reihe an die schönen schlanken Birken vor dem Hause. Als die ersten von den hohen Kronen sanken, schnitt es Ansas tief ins Herz. Er hatte die Bäume lieb, die schon seine Wiege beschattet hatten, und konnte sie nicht ohne heimliche Thränen fallen sehen. Das Haus ohne die grünen Bäume — das war ja undenkbar! Er sagte seinem Vater zu, daß er nächsten Mittwoch mit ihm aufs Gericht gehen wollte, um die Verschreibung machen zu lassen.

Kristups Wanags wartete den Tag nicht ab, sondern suchte schon vorher, ohne seinem Sohn etwas davon zu sagen, den alten Secretär auf, der zugleich littauischer Dolmetscher war, und ohne den deßhalb vor dem Richter kein Geschäft besorgt werden konnte. In der Klete (Vorrathskammer) fand sich noch ein Gebinde Flachs vor, das eigentlich die alte Karalene zu Martini auf ihr Ausgedinge bekommen sollte; er nahm es aber unbedenklich mit und gab es bei der Frau Secretär ab. Und dann sagte er, daß er ihren Mann zu sprechen habe, und daß er gar nichts Un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019"/>
damals auf dem Gutshof als Magd, und Geelhaar ließ durch sie sagen,                     daß er wieder bei ihm eintreten könne. Das war gerade, was er gewünscht                     hatte.</p><lb/>
        <p>Noch zwei Jahre blieb er im Knechtsdienst; dann starb seine alte Mutter, und sein                     Vater verlangte nun allen Ernstes, daß er sich entscheiden solle. Ansas sah ihn                     fast nie mehr nüchtern; von dem lebenden Inventar holte der Fleischer ein Stück                     nach dem andern ab, zuletzt kam schon die Reihe an die schönen schlanken Birken                     vor dem Hause. Als die ersten von den hohen Kronen sanken, schnitt es Ansas tief                     ins Herz. Er hatte die Bäume lieb, die schon seine Wiege beschattet hatten, und                     konnte sie nicht ohne heimliche Thränen fallen sehen. Das Haus ohne die grünen                     Bäume &#x2014; das war ja undenkbar! Er sagte seinem Vater zu, daß er nächsten Mittwoch                     mit ihm aufs Gericht gehen wollte, um die Verschreibung machen zu lassen.</p><lb/>
        <p>Kristups Wanags wartete den Tag nicht ab, sondern suchte schon vorher, ohne                     seinem Sohn etwas davon zu sagen, den alten Secretär auf, der zugleich                     littauischer Dolmetscher war, und ohne den deßhalb vor dem Richter kein Geschäft                     besorgt werden konnte. In der Klete (Vorrathskammer) fand sich noch ein Gebinde                     Flachs vor, das eigentlich die alte Karalene zu Martini auf ihr Ausgedinge                     bekommen sollte; er nahm es aber unbedenklich mit und gab es bei der Frau                     Secretär ab. Und dann sagte er, daß er ihren Mann zu sprechen habe, und daß er                     gar nichts Un-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] damals auf dem Gutshof als Magd, und Geelhaar ließ durch sie sagen, daß er wieder bei ihm eintreten könne. Das war gerade, was er gewünscht hatte. Noch zwei Jahre blieb er im Knechtsdienst; dann starb seine alte Mutter, und sein Vater verlangte nun allen Ernstes, daß er sich entscheiden solle. Ansas sah ihn fast nie mehr nüchtern; von dem lebenden Inventar holte der Fleischer ein Stück nach dem andern ab, zuletzt kam schon die Reihe an die schönen schlanken Birken vor dem Hause. Als die ersten von den hohen Kronen sanken, schnitt es Ansas tief ins Herz. Er hatte die Bäume lieb, die schon seine Wiege beschattet hatten, und konnte sie nicht ohne heimliche Thränen fallen sehen. Das Haus ohne die grünen Bäume — das war ja undenkbar! Er sagte seinem Vater zu, daß er nächsten Mittwoch mit ihm aufs Gericht gehen wollte, um die Verschreibung machen zu lassen. Kristups Wanags wartete den Tag nicht ab, sondern suchte schon vorher, ohne seinem Sohn etwas davon zu sagen, den alten Secretär auf, der zugleich littauischer Dolmetscher war, und ohne den deßhalb vor dem Richter kein Geschäft besorgt werden konnte. In der Klete (Vorrathskammer) fand sich noch ein Gebinde Flachs vor, das eigentlich die alte Karalene zu Martini auf ihr Ausgedinge bekommen sollte; er nahm es aber unbedenklich mit und gab es bei der Frau Secretär ab. Und dann sagte er, daß er ihren Mann zu sprechen habe, und daß er gar nichts Un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:07:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:07:21Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/19
Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/19>, abgerufen am 21.11.2024.