Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.alten Secretär und klagte ihm ihre Noth. Der lachte sie freilich aus und meinte, in den Gerichtsbüchern stände es eben so gut und eine neue Abschrift koste nicht viel; aber Urte hatte keinen rechten Glauben, daß ein neues Papier gleich kräftig sei und daß Wanags sich damit würde bedrohen lassen. Ihre Besorgnisse schienen sich auch sehr bald zu erfüllen. Als sie am nächsten Morgen an den Brunnen gehen wollte, um Wasser zu schöpfen, vertrat ihr Ansas, der schon auf sie gelauert haben mußte, den Weg. Hier hast du kein Recht, zu gehen, sagte er streng.-- Hier bin ich jeden Tag gegangen, entgegnete sie, und werde auch ferner hier nach dem Brunnen gehen. -- Das wirst du nicht! herrschte er sie an. Soll ich kein Wasser aus dem Brunnen mehr haben? fragte sie giftig. Er lachte: Soviel du daraus schöpfen kannst, ohne heranzutreten. -- Was -- was? Habe ich nicht nach meiner Verschreibung das Wasser aus dem Brunnen frei? -- Wo ist deine Verschreibung? höhnte er. Sie brach in die heftigsten Schimpfreden aus und schlug nach ihm mit dem Kruge. Willst du's bestreiten, du Schuft und Lügner, du schändlicher Dieb, daß ich das Wasser aus deinem Brunnen frei habe? -- Nun spielte Ansas den Trumpf aus, den er sich gestern Abend schon zurecht gelegt hatte. Ich bestreite es nicht, sagte er pfiffig, aber das bestreite ich, daß du dir auch den Weg zum Brunnen über meinen Hof und Zaun hast verschreiben lasten. Das Wasser aus alten Secretär und klagte ihm ihre Noth. Der lachte sie freilich aus und meinte, in den Gerichtsbüchern stände es eben so gut und eine neue Abschrift koste nicht viel; aber Urte hatte keinen rechten Glauben, daß ein neues Papier gleich kräftig sei und daß Wanags sich damit würde bedrohen lassen. Ihre Besorgnisse schienen sich auch sehr bald zu erfüllen. Als sie am nächsten Morgen an den Brunnen gehen wollte, um Wasser zu schöpfen, vertrat ihr Ansas, der schon auf sie gelauert haben mußte, den Weg. Hier hast du kein Recht, zu gehen, sagte er streng.— Hier bin ich jeden Tag gegangen, entgegnete sie, und werde auch ferner hier nach dem Brunnen gehen. — Das wirst du nicht! herrschte er sie an. Soll ich kein Wasser aus dem Brunnen mehr haben? fragte sie giftig. Er lachte: Soviel du daraus schöpfen kannst, ohne heranzutreten. — Was — was? Habe ich nicht nach meiner Verschreibung das Wasser aus dem Brunnen frei? — Wo ist deine Verschreibung? höhnte er. Sie brach in die heftigsten Schimpfreden aus und schlug nach ihm mit dem Kruge. Willst du's bestreiten, du Schuft und Lügner, du schändlicher Dieb, daß ich das Wasser aus deinem Brunnen frei habe? — Nun spielte Ansas den Trumpf aus, den er sich gestern Abend schon zurecht gelegt hatte. Ich bestreite es nicht, sagte er pfiffig, aber das bestreite ich, daß du dir auch den Weg zum Brunnen über meinen Hof und Zaun hast verschreiben lasten. Das Wasser aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0034"/> alten Secretär und klagte ihm ihre Noth. Der lachte sie freilich aus und meinte, in den Gerichtsbüchern stände es eben so gut und eine neue Abschrift koste nicht viel; aber Urte hatte keinen rechten Glauben, daß ein neues Papier gleich kräftig sei und daß Wanags sich damit würde bedrohen lassen.</p><lb/> <p>Ihre Besorgnisse schienen sich auch sehr bald zu erfüllen. Als sie am nächsten Morgen an den Brunnen gehen wollte, um Wasser zu schöpfen, vertrat ihr Ansas, der schon auf sie gelauert haben mußte, den Weg. Hier hast du kein Recht, zu gehen, sagte er streng.— Hier bin ich jeden Tag gegangen, entgegnete sie, und werde auch ferner hier nach dem Brunnen gehen. — Das wirst du nicht! herrschte er sie an. Soll ich kein Wasser aus dem Brunnen mehr haben? fragte sie giftig. Er lachte: Soviel du daraus schöpfen kannst, ohne heranzutreten. — Was — was? Habe ich nicht nach meiner Verschreibung das Wasser aus dem Brunnen frei? — Wo ist deine Verschreibung? höhnte er. Sie brach in die heftigsten Schimpfreden aus und schlug nach ihm mit dem Kruge. Willst du's bestreiten, du Schuft und Lügner, du schändlicher Dieb, daß ich das Wasser aus deinem Brunnen frei habe? — Nun spielte Ansas den Trumpf aus, den er sich gestern Abend schon zurecht gelegt hatte. Ich bestreite es nicht, sagte er pfiffig, aber das bestreite ich, daß du dir auch den Weg zum Brunnen über meinen Hof und Zaun hast verschreiben lasten. Das Wasser aus<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
alten Secretär und klagte ihm ihre Noth. Der lachte sie freilich aus und meinte, in den Gerichtsbüchern stände es eben so gut und eine neue Abschrift koste nicht viel; aber Urte hatte keinen rechten Glauben, daß ein neues Papier gleich kräftig sei und daß Wanags sich damit würde bedrohen lassen.
Ihre Besorgnisse schienen sich auch sehr bald zu erfüllen. Als sie am nächsten Morgen an den Brunnen gehen wollte, um Wasser zu schöpfen, vertrat ihr Ansas, der schon auf sie gelauert haben mußte, den Weg. Hier hast du kein Recht, zu gehen, sagte er streng.— Hier bin ich jeden Tag gegangen, entgegnete sie, und werde auch ferner hier nach dem Brunnen gehen. — Das wirst du nicht! herrschte er sie an. Soll ich kein Wasser aus dem Brunnen mehr haben? fragte sie giftig. Er lachte: Soviel du daraus schöpfen kannst, ohne heranzutreten. — Was — was? Habe ich nicht nach meiner Verschreibung das Wasser aus dem Brunnen frei? — Wo ist deine Verschreibung? höhnte er. Sie brach in die heftigsten Schimpfreden aus und schlug nach ihm mit dem Kruge. Willst du's bestreiten, du Schuft und Lügner, du schändlicher Dieb, daß ich das Wasser aus deinem Brunnen frei habe? — Nun spielte Ansas den Trumpf aus, den er sich gestern Abend schon zurecht gelegt hatte. Ich bestreite es nicht, sagte er pfiffig, aber das bestreite ich, daß du dir auch den Weg zum Brunnen über meinen Hof und Zaun hast verschreiben lasten. Das Wasser aus
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