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Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nags, und je aufmerksamer Grita zuhörte, um so eifriger wurde sie in ihren Anklagen. O mein Kindchen, mein süßes Engelchen, beschwor sie das Mädchen dann gewöhnlich zum Schluß, hüte dich vor Dem! Der ist ein schrecklicher Mensch, mit dem Niemand leben kann und der gar kein Gewissen kennt -- ein Teufel, wie nur einer auf der Erde herumgeht, um die Frommen zu versuchen. Mich hat er arm und elend gemacht, und am liebsten wär's ihm, wenn ich verhungern möchte. Nicht einmal einen Trunk Wasser gönnt er mir, und ich muß betteln gehen um die liebe Gottesgabe. Um jedes Körnchen Getreide und um jeden Faden Flachs muß ich erst prozessiren, und wenn er mich anredet, so ist's mit Schimpfworten und Drohungen. Wehe Der, die einmal seine Frau wird! Er schlägt sie gewiß schon am Tage nach der Hochzeit, und wo sie bei dem Hungerleider etwas zu essen findet, mag sie auch zusehen. Hüte dich vor Dem, mein Engelchen; es nimmt gewiß einmal mit ihm ein schlechtes Ende, wenn an Gottes Gerechtigkeit zu glauben ist. -- Grita hörte geduldig zu, aber sie war weit entfernt, ihr aufs Wort zu trauen. Sah sie das alte Weib doch oft genug Abends spät betrunken über die Landstraße taumeln und hatte sie Ansas doch selbst einmal sagen gehört, daß die Karalene sein Unglück sei. Er war immer so freundlich und gut zu ihr, ob er schon ihre Armuth kannte, und seine Wirthschaft konnte ja noch ganz stattlich werden, wenn er erst die Altentheile los

nags, und je aufmerksamer Grita zuhörte, um so eifriger wurde sie in ihren Anklagen. O mein Kindchen, mein süßes Engelchen, beschwor sie das Mädchen dann gewöhnlich zum Schluß, hüte dich vor Dem! Der ist ein schrecklicher Mensch, mit dem Niemand leben kann und der gar kein Gewissen kennt — ein Teufel, wie nur einer auf der Erde herumgeht, um die Frommen zu versuchen. Mich hat er arm und elend gemacht, und am liebsten wär's ihm, wenn ich verhungern möchte. Nicht einmal einen Trunk Wasser gönnt er mir, und ich muß betteln gehen um die liebe Gottesgabe. Um jedes Körnchen Getreide und um jeden Faden Flachs muß ich erst prozessiren, und wenn er mich anredet, so ist's mit Schimpfworten und Drohungen. Wehe Der, die einmal seine Frau wird! Er schlägt sie gewiß schon am Tage nach der Hochzeit, und wo sie bei dem Hungerleider etwas zu essen findet, mag sie auch zusehen. Hüte dich vor Dem, mein Engelchen; es nimmt gewiß einmal mit ihm ein schlechtes Ende, wenn an Gottes Gerechtigkeit zu glauben ist. — Grita hörte geduldig zu, aber sie war weit entfernt, ihr aufs Wort zu trauen. Sah sie das alte Weib doch oft genug Abends spät betrunken über die Landstraße taumeln und hatte sie Ansas doch selbst einmal sagen gehört, daß die Karalene sein Unglück sei. Er war immer so freundlich und gut zu ihr, ob er schon ihre Armuth kannte, und seine Wirthschaft konnte ja noch ganz stattlich werden, wenn er erst die Altentheile los

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[0043] nags, und je aufmerksamer Grita zuhörte, um so eifriger wurde sie in ihren Anklagen. O mein Kindchen, mein süßes Engelchen, beschwor sie das Mädchen dann gewöhnlich zum Schluß, hüte dich vor Dem! Der ist ein schrecklicher Mensch, mit dem Niemand leben kann und der gar kein Gewissen kennt — ein Teufel, wie nur einer auf der Erde herumgeht, um die Frommen zu versuchen. Mich hat er arm und elend gemacht, und am liebsten wär's ihm, wenn ich verhungern möchte. Nicht einmal einen Trunk Wasser gönnt er mir, und ich muß betteln gehen um die liebe Gottesgabe. Um jedes Körnchen Getreide und um jeden Faden Flachs muß ich erst prozessiren, und wenn er mich anredet, so ist's mit Schimpfworten und Drohungen. Wehe Der, die einmal seine Frau wird! Er schlägt sie gewiß schon am Tage nach der Hochzeit, und wo sie bei dem Hungerleider etwas zu essen findet, mag sie auch zusehen. Hüte dich vor Dem, mein Engelchen; es nimmt gewiß einmal mit ihm ein schlechtes Ende, wenn an Gottes Gerechtigkeit zu glauben ist. — Grita hörte geduldig zu, aber sie war weit entfernt, ihr aufs Wort zu trauen. Sah sie das alte Weib doch oft genug Abends spät betrunken über die Landstraße taumeln und hatte sie Ansas doch selbst einmal sagen gehört, daß die Karalene sein Unglück sei. Er war immer so freundlich und gut zu ihr, ob er schon ihre Armuth kannte, und seine Wirthschaft konnte ja noch ganz stattlich werden, wenn er erst die Altentheile los

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Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/43>, abgerufen am 21.11.2024.