Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite
Und kommt der Schnee und geht der Schnee, So sing' ich nimmer mehr.

Der Jäger eilte am Bache hin, der Gegend zu, von wo der Guckuck rief, und dachte nicht an den Lärm, den das nachstürzende Geröll machte; denn das Rauschen übertäubte denselben mitsammt den festen Schritten. Nur hielt er sich stets an der rechten Seite und ging so nahe als möglich unter dem überhängenden Bachufer hin, um vom Walde aus, der immer noch ziemlich weit herunterlief, nicht gesehen zu werden.

Zuletzt hörte jeder Weg auf; er sprang von Fels zu Fels, nahm aber doch einmal den Ablauf zu kurz und hing einige Fuß über dem Wasser nur noch in alten Wurzeln, die im Felsen steckten aus der Zeit, da ihn der Schneegang von der Höhe herabgerissen. Ei so soll dich doch! murmelte er vor sich hin, da sein Fuß in dem glatten Gestein keinen Halt finden konnte und die morschen Wurzeln unter seinen Händen wichen, daß ihm das kalte Bad gewiß war. Und Ihr lacht auch noch, rief er fast ärgerlich, als ein stilles, heiseres Gelächter an sein Ohr schlug. Aber schon griff ein ungewöhnlich langer Arm von oben herab, faßte ihn am Rockkragen und hob ihn, fast ohne sein Zuthun, mit Einem Ruck empor.

Jugend hat keine Tugend; es bleibt ewig wahr, sagte der Retter mit einer schönen tiefen Stimme, nur daß er jedes Wort herzählte wie ein einzelnes Geldstück. Der Herr Otto rennt über Stock und Stein, wie ein

Und kommt der Schnee und geht der Schnee, So sing' ich nimmer mehr.

Der Jäger eilte am Bache hin, der Gegend zu, von wo der Guckuck rief, und dachte nicht an den Lärm, den das nachstürzende Geröll machte; denn das Rauschen übertäubte denselben mitsammt den festen Schritten. Nur hielt er sich stets an der rechten Seite und ging so nahe als möglich unter dem überhängenden Bachufer hin, um vom Walde aus, der immer noch ziemlich weit herunterlief, nicht gesehen zu werden.

Zuletzt hörte jeder Weg auf; er sprang von Fels zu Fels, nahm aber doch einmal den Ablauf zu kurz und hing einige Fuß über dem Wasser nur noch in alten Wurzeln, die im Felsen steckten aus der Zeit, da ihn der Schneegang von der Höhe herabgerissen. Ei so soll dich doch! murmelte er vor sich hin, da sein Fuß in dem glatten Gestein keinen Halt finden konnte und die morschen Wurzeln unter seinen Händen wichen, daß ihm das kalte Bad gewiß war. Und Ihr lacht auch noch, rief er fast ärgerlich, als ein stilles, heiseres Gelächter an sein Ohr schlug. Aber schon griff ein ungewöhnlich langer Arm von oben herab, faßte ihn am Rockkragen und hob ihn, fast ohne sein Zuthun, mit Einem Ruck empor.

Jugend hat keine Tugend; es bleibt ewig wahr, sagte der Retter mit einer schönen tiefen Stimme, nur daß er jedes Wort herzählte wie ein einzelnes Geldstück. Der Herr Otto rennt über Stock und Stein, wie ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0020"/>
          <l>Und kommt der Schnee und geht der Schnee,</l>
          <l>So sing' ich nimmer mehr.</l>
        </lg>
        <p>Der Jäger eilte am Bache hin, der Gegend zu, von wo der Guckuck rief, und dachte nicht an den      Lärm, den das nachstürzende Geröll machte; denn das Rauschen übertäubte denselben mitsammt den      festen Schritten. Nur hielt er sich stets an der rechten Seite und ging so nahe als möglich      unter dem überhängenden Bachufer hin, um vom Walde aus, der immer noch ziemlich weit      herunterlief, nicht gesehen zu werden.</p><lb/>
        <p>Zuletzt hörte jeder Weg auf; er sprang von Fels zu Fels, nahm aber doch einmal den Ablauf zu      kurz und hing einige Fuß über dem Wasser nur noch in alten Wurzeln, die im Felsen steckten aus      der Zeit, da ihn der Schneegang von der Höhe herabgerissen. Ei so soll dich doch! murmelte er      vor sich hin, da sein Fuß in dem glatten Gestein keinen Halt finden konnte und die morschen      Wurzeln unter seinen Händen wichen, daß ihm das kalte Bad gewiß war. Und Ihr lacht auch noch,      rief er fast ärgerlich, als ein stilles, heiseres Gelächter an sein Ohr schlug. Aber schon      griff ein ungewöhnlich langer Arm von oben herab, faßte ihn am Rockkragen und hob ihn, fast      ohne sein Zuthun, mit Einem Ruck empor.</p><lb/>
        <p>Jugend hat keine Tugend; es bleibt ewig wahr, sagte der Retter mit einer schönen tiefen      Stimme, nur daß er jedes Wort herzählte wie ein einzelnes Geldstück. Der Herr Otto rennt über      Stock und Stein, wie ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] Und kommt der Schnee und geht der Schnee, So sing' ich nimmer mehr. Der Jäger eilte am Bache hin, der Gegend zu, von wo der Guckuck rief, und dachte nicht an den Lärm, den das nachstürzende Geröll machte; denn das Rauschen übertäubte denselben mitsammt den festen Schritten. Nur hielt er sich stets an der rechten Seite und ging so nahe als möglich unter dem überhängenden Bachufer hin, um vom Walde aus, der immer noch ziemlich weit herunterlief, nicht gesehen zu werden. Zuletzt hörte jeder Weg auf; er sprang von Fels zu Fels, nahm aber doch einmal den Ablauf zu kurz und hing einige Fuß über dem Wasser nur noch in alten Wurzeln, die im Felsen steckten aus der Zeit, da ihn der Schneegang von der Höhe herabgerissen. Ei so soll dich doch! murmelte er vor sich hin, da sein Fuß in dem glatten Gestein keinen Halt finden konnte und die morschen Wurzeln unter seinen Händen wichen, daß ihm das kalte Bad gewiß war. Und Ihr lacht auch noch, rief er fast ärgerlich, als ein stilles, heiseres Gelächter an sein Ohr schlug. Aber schon griff ein ungewöhnlich langer Arm von oben herab, faßte ihn am Rockkragen und hob ihn, fast ohne sein Zuthun, mit Einem Ruck empor. Jugend hat keine Tugend; es bleibt ewig wahr, sagte der Retter mit einer schönen tiefen Stimme, nur daß er jedes Wort herzählte wie ein einzelnes Geldstück. Der Herr Otto rennt über Stock und Stein, wie ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:16:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:16:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/20
Zitationshilfe: Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/20>, abgerufen am 21.11.2024.