Erstes Capitel. Vorbereitung zu einem sehr interessanten Discurs.
Wenn wir auf das Thun und Lassen der Menschen acht geben, mein lieber Callias, so scheint zwar, daß alle ihre Sorgen und Bemühungen kein andres Ziel haben als sich glüklich zu machen; allein die Selten- heit dererjenigen die es würklich sind, oder es doch zu seyn glauben, beweiset zugleich, daß die meisten nicht wissen, durch was für Mittel sie sich glüklich machen sollen, wenn sie es nicht sind; oder wie sie sich ihres guten Glükes bedienen sollen, um in denjenigen Zustand zu kommen den man Glükseligkeit nennt. Es giebt eben so viele die im Schooße des Ansehens, des Glüks und der Wollust, als solche die in einem Zustande von Man- gel, Dienstbarkeit und Unterdrükung elend sind. Ei- nige haben sich aus diesem leztern Zustand emporge- arbeitet, in der Meynung, daß sie nur darum un- glükselig seyn, weil es ihnen am Besiz der Güter des
Glüks
Agathon. Drittes Buch.
Erſtes Capitel. Vorbereitung zu einem ſehr intereſſanten Diſcurs.
Wenn wir auf das Thun und Laſſen der Menſchen acht geben, mein lieber Callias, ſo ſcheint zwar, daß alle ihre Sorgen und Bemuͤhungen kein andres Ziel haben als ſich gluͤklich zu machen; allein die Selten- heit dererjenigen die es wuͤrklich ſind, oder es doch zu ſeyn glauben, beweiſet zugleich, daß die meiſten nicht wiſſen, durch was fuͤr Mittel ſie ſich gluͤklich machen ſollen, wenn ſie es nicht ſind; oder wie ſie ſich ihres guten Gluͤkes bedienen ſollen, um in denjenigen Zuſtand zu kommen den man Gluͤkſeligkeit nennt. Es giebt eben ſo viele die im Schooße des Anſehens, des Gluͤks und der Wolluſt, als ſolche die in einem Zuſtande von Man- gel, Dienſtbarkeit und Unterdruͤkung elend ſind. Ei- nige haben ſich aus dieſem leztern Zuſtand emporge- arbeitet, in der Meynung, daß ſie nur darum un- gluͤkſelig ſeyn, weil es ihnen am Beſiz der Guͤter des
Gluͤks
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Agathon.
Drittes Buch.
Erſtes Capitel.
Vorbereitung zu einem ſehr intereſſanten
Diſcurs.
Wenn wir auf das Thun und Laſſen der Menſchen
acht geben, mein lieber Callias, ſo ſcheint zwar, daß
alle ihre Sorgen und Bemuͤhungen kein andres Ziel
haben als ſich gluͤklich zu machen; allein die Selten-
heit dererjenigen die es wuͤrklich ſind, oder es doch zu
ſeyn glauben, beweiſet zugleich, daß die meiſten nicht
wiſſen, durch was fuͤr Mittel ſie ſich gluͤklich machen
ſollen, wenn ſie es nicht ſind; oder wie ſie ſich ihres
guten Gluͤkes bedienen ſollen, um in denjenigen Zuſtand
zu kommen den man Gluͤkſeligkeit nennt. Es giebt eben
ſo viele die im Schooße des Anſehens, des Gluͤks und
der Wolluſt, als ſolche die in einem Zuſtande von Man-
gel, Dienſtbarkeit und Unterdruͤkung elend ſind. Ei-
nige haben ſich aus dieſem leztern Zuſtand emporge-
arbeitet, in der Meynung, daß ſie nur darum un-
gluͤkſelig ſeyn, weil es ihnen am Beſiz der Guͤter des
Gluͤks
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/100>, abgerufen am 24.11.2024.
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