Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon. den Mund der Weisheit zu sagen hat, in diese dreyErinnerungen zusammen fliessen soll: Befriedige deine Bedürfnisse, vergnüge alle deine Sinnen, und erspare dir so viel du kanst alle schmerzhaften Empfindungen. Und doch wird dich eine kleine Aufmerksamkeit überfüh- ren, daß die vollstandigste Glükseligkeit deren die Sterb- lichen fähig sind, in die Linie eingeschlossen ist, die von diesen dreyen Formuln bezeichnet wird. Es hat Narren gegeben, welche die Frage mühsam un- lich
Agathon. den Mund der Weisheit zu ſagen hat, in dieſe dreyErinnerungen zuſammen flieſſen ſoll: Befriedige deine Beduͤrfniſſe, vergnuͤge alle deine Sinnen, und erſpare dir ſo viel du kanſt alle ſchmerzhaften Empfindungen. Und doch wird dich eine kleine Aufmerkſamkeit uͤberfuͤh- ren, daß die vollſtandigſte Gluͤkſeligkeit deren die Sterb- lichen faͤhig ſind, in die Linie eingeſchloſſen iſt, die von dieſen dreyen Formuln bezeichnet wird. Es hat Narren gegeben, welche die Frage muͤhſam un- lich
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0106" n="84"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/> den Mund der Weisheit zu ſagen hat, in dieſe drey<lb/> Erinnerungen zuſammen flieſſen ſoll: Befriedige deine<lb/> Beduͤrfniſſe, vergnuͤge alle deine Sinnen, und erſpare<lb/> dir ſo viel du kanſt alle ſchmerzhaften Empfindungen.<lb/> Und doch wird dich eine kleine Aufmerkſamkeit uͤberfuͤh-<lb/> ren, daß die vollſtandigſte Gluͤkſeligkeit deren die Sterb-<lb/> lichen faͤhig ſind, in die Linie eingeſchloſſen iſt, die<lb/> von dieſen dreyen Formuln bezeichnet wird.</p><lb/> <p>Es hat Narren gegeben, welche die Frage muͤhſam un-<lb/> terſucht haben, ob das Vergnuͤgen ein Gut, und der<lb/> Schmerz ein Uebel ſey? Es hat noch groͤßere Narren<lb/> gegeben, welche wuͤrklich behaupteten, der Schmerz ſey<lb/> kein Uebel, und das Vergnuͤgen kein Gut; und was<lb/> das luſtigſte dabey iſt, beyde haben Thoren gefunden,<lb/> die albern genug waren, dieſe Narren fuͤr weiſe zu hal-<lb/> ten. Das Vergnuͤgen iſt kein Gut, ſagen ſie, weil es<lb/> Faͤlle giebt wo der Schmerz ein groͤßeres Gut iſt; und<lb/> der Schmerz iſt kein Uebel, weil er zuweilen beſſer iſt<lb/> als das Vergnuͤgen. Sind dieſe Wortſpiele einer Ant-<lb/> wort werth? Was wuͤrd’ ein Zuſtand ſeyn, der in<lb/> einem vollſtaͤndigen unaufhoͤrlichen Gefuͤhl des hoͤch-<lb/> ſten Grades aller moͤglichen Schmerzen beſtuͤnde? Wenn<lb/> dieſer Zuſtand das hoͤchſte Uebel iſt, ſo iſt der Schmerz<lb/> ein Uebel. Doch wir wollen die Schwaͤzer mit Wor-<lb/> ten ſpielen laſſen, die ihnen bedeuten muͤſſen was ſie<lb/> wollen. Die Natur entſcheidet dieſe Frage, wenn es<lb/> eine ſeyn kann, auf eine Art, die keinen Zweifel uͤbrig<lb/> laͤßt. Wer iſt, der nicht lieber vernichtet als unaufhoͤr-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">lich</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0106]
Agathon.
den Mund der Weisheit zu ſagen hat, in dieſe drey
Erinnerungen zuſammen flieſſen ſoll: Befriedige deine
Beduͤrfniſſe, vergnuͤge alle deine Sinnen, und erſpare
dir ſo viel du kanſt alle ſchmerzhaften Empfindungen.
Und doch wird dich eine kleine Aufmerkſamkeit uͤberfuͤh-
ren, daß die vollſtandigſte Gluͤkſeligkeit deren die Sterb-
lichen faͤhig ſind, in die Linie eingeſchloſſen iſt, die
von dieſen dreyen Formuln bezeichnet wird.
Es hat Narren gegeben, welche die Frage muͤhſam un-
terſucht haben, ob das Vergnuͤgen ein Gut, und der
Schmerz ein Uebel ſey? Es hat noch groͤßere Narren
gegeben, welche wuͤrklich behaupteten, der Schmerz ſey
kein Uebel, und das Vergnuͤgen kein Gut; und was
das luſtigſte dabey iſt, beyde haben Thoren gefunden,
die albern genug waren, dieſe Narren fuͤr weiſe zu hal-
ten. Das Vergnuͤgen iſt kein Gut, ſagen ſie, weil es
Faͤlle giebt wo der Schmerz ein groͤßeres Gut iſt; und
der Schmerz iſt kein Uebel, weil er zuweilen beſſer iſt
als das Vergnuͤgen. Sind dieſe Wortſpiele einer Ant-
wort werth? Was wuͤrd’ ein Zuſtand ſeyn, der in
einem vollſtaͤndigen unaufhoͤrlichen Gefuͤhl des hoͤch-
ſten Grades aller moͤglichen Schmerzen beſtuͤnde? Wenn
dieſer Zuſtand das hoͤchſte Uebel iſt, ſo iſt der Schmerz
ein Uebel. Doch wir wollen die Schwaͤzer mit Wor-
ten ſpielen laſſen, die ihnen bedeuten muͤſſen was ſie
wollen. Die Natur entſcheidet dieſe Frage, wenn es
eine ſeyn kann, auf eine Art, die keinen Zweifel uͤbrig
laͤßt. Wer iſt, der nicht lieber vernichtet als unaufhoͤr-
lich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |