Gesezt, daß wirklich einmal ein Agathon ge- wesen, [wie dann in der That, um die Zeit, in welche die gegenwärtige Geschichte gesezt wor- den ist, ein comischer Dichter dieses Namens den Freunden der Schriften Platons bekannt seyn muß:] gesezt aber auch, daß sich von diesem Agathon nichts wichtigers sagen Liesse, als wenn er gebohren worden, wenn er sich verheyrathet, wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an was für einer Krankheit er gestorben sey: was würde uns bewegen können, seine Geschichte zu lesen, und wenn es gleich gerichtlich erwiesen wäre, daß sie in den Archiven des alten Athens gefunden worden sey?
Die Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige, so wir den Liebhabern hiemit vorlegen, gefodert werden kann und soll, beste- het darinn, daß alles mit dem Lauf der Welt übereinstimme, daß die Character nicht willkühr- lich, und bloß nach der Phantasie, oder den Ab- sichten des Verfassers gebildet, sondern aus dem unerschöpflichen Vorrath der Natur selbst herge-
nommen;
Vorbericht.
Geſezt, daß wirklich einmal ein Agathon ge- weſen, [wie dann in der That, um die Zeit, in welche die gegenwaͤrtige Geſchichte geſezt wor- den iſt, ein comiſcher Dichter dieſes Namens den Freunden der Schriften Platons bekannt ſeyn muß:] geſezt aber auch, daß ſich von dieſem Agathon nichts wichtigers ſagen Lieſſe, als wenn er gebohren worden, wenn er ſich verheyrathet, wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an was fuͤr einer Krankheit er geſtorben ſey: was wuͤrde uns bewegen koͤnnen, ſeine Geſchichte zu leſen, und wenn es gleich gerichtlich erwieſen waͤre, daß ſie in den Archiven des alten Athens gefunden worden ſey?
Die Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige, ſo wir den Liebhabern hiemit vorlegen, gefodert werden kann und ſoll, beſte- het darinn, daß alles mit dem Lauf der Welt uͤbereinſtimme, daß die Character nicht willkuͤhr- lich, und bloß nach der Phantaſie, oder den Ab- ſichten des Verfaſſers gebildet, ſondern aus dem unerſchoͤpflichen Vorrath der Natur ſelbſt herge-
nommen;
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[0011]
Vorbericht.
Geſezt, daß wirklich einmal ein Agathon ge-
weſen, [wie dann in der That, um die Zeit,
in welche die gegenwaͤrtige Geſchichte geſezt wor-
den iſt, ein comiſcher Dichter dieſes Namens den
Freunden der Schriften Platons bekannt ſeyn
muß:] geſezt aber auch, daß ſich von dieſem
Agathon nichts wichtigers ſagen Lieſſe, als wenn
er gebohren worden, wenn er ſich verheyrathet,
wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an
was fuͤr einer Krankheit er geſtorben ſey: was
wuͤrde uns bewegen koͤnnen, ſeine Geſchichte zu
leſen, und wenn es gleich gerichtlich erwieſen
waͤre, daß ſie in den Archiven des alten Athens
gefunden worden ſey?
Die Wahrheit, welche von einem Werke,
wie dasjenige, ſo wir den Liebhabern hiemit
vorlegen, gefodert werden kann und ſoll, beſte-
het darinn, daß alles mit dem Lauf der Welt
uͤbereinſtimme, daß die Character nicht willkuͤhr-
lich, und bloß nach der Phantaſie, oder den Ab-
ſichten des Verfaſſers gebildet, ſondern aus dem
unerſchoͤpflichen Vorrath der Natur ſelbſt herge-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/11>, abgerufen am 23.11.2024.
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