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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
nem Saz zu machen scheint. Man könnte sie künstli-
che nennen, weil wir sie nicht aus den Händen der Na-
tur empfangen, sondern nur gewissen Uebereinkomnis-
sen der menschlichen Gesellschaft zu danken haben, durch
welche dasjenige, was uns dieses Vergnügen macht, die
Bedeutung eines Gutes erhalten hat. Allein die klein-
ste Ueberlegung ist hinlänglich uns zu überzeugen, daß
diese Dinge uns keine andre Art von Vergnügen ma-
chen, als die wir vom Besiz des Geldes haben; welches
wir mit Gleichgültigkeit ansehen würden, wenn es uns
nicht für alle die würklichen Vergnügen Gewähr leistete,
die wir uns dadurch verschaffen können. Von dieser
Art ist dasjenige, welches der Ehrgeizige empfindet,
wenn ihm Bezeugungen einer scheinbaren Hochachtung
oder Unterwürfigkeit gemacht werden, die ihm als Zei-
chen seines Ansehens und der Macht, die ihm dasselbe
über andre giebt, angenehm sind. Ein morgenländi-
scher Despot bekümmert sich wenig um die Hochachtung
seiner Völker; sclavische Unterwürfigkeit ist für ihn ge-
nug. Ein Mensch hingegen, dessen Glük in den Hän-
den solcher Leute liegt, die seines gleichen sind, ist ge-
nöthiget, sich ihre Hochachtung zu erwerben. Allein
diese Unterwürfigkeit ist dem Despoten, diese Hochach-
tung ist dem Republicaner nur darum angenehm, weil
sie das Vermögen oder die Gelegenheit giebt, die Leiden-
schaften und die Begierden desto besser zu befriedigen,
welche die unmittelbaren Quellen des Vergnügens sind.
Warum ist Alcibiades ehrgeizig? Alcibiades bewirbt
sich um einen Ruhm, der seine Ausschweiffungen, sei-

nen

Agathon.
nem Saz zu machen ſcheint. Man koͤnnte ſie kuͤnſtli-
che nennen, weil wir ſie nicht aus den Haͤnden der Na-
tur empfangen, ſondern nur gewiſſen Uebereinkomniſ-
ſen der menſchlichen Geſellſchaft zu danken haben, durch
welche dasjenige, was uns dieſes Vergnuͤgen macht, die
Bedeutung eines Gutes erhalten hat. Allein die klein-
ſte Ueberlegung iſt hinlaͤnglich uns zu uͤberzeugen, daß
dieſe Dinge uns keine andre Art von Vergnuͤgen ma-
chen, als die wir vom Beſiz des Geldes haben; welches
wir mit Gleichguͤltigkeit anſehen wuͤrden, wenn es uns
nicht fuͤr alle die wuͤrklichen Vergnuͤgen Gewaͤhr leiſtete,
die wir uns dadurch verſchaffen koͤnnen. Von dieſer
Art iſt dasjenige, welches der Ehrgeizige empfindet,
wenn ihm Bezeugungen einer ſcheinbaren Hochachtung
oder Unterwuͤrfigkeit gemacht werden, die ihm als Zei-
chen ſeines Anſehens und der Macht, die ihm daſſelbe
uͤber andre giebt, angenehm ſind. Ein morgenlaͤndi-
ſcher Deſpot bekuͤmmert ſich wenig um die Hochachtung
ſeiner Voͤlker; ſclaviſche Unterwuͤrfigkeit iſt fuͤr ihn ge-
nug. Ein Menſch hingegen, deſſen Gluͤk in den Haͤn-
den ſolcher Leute liegt, die ſeines gleichen ſind, iſt ge-
noͤthiget, ſich ihre Hochachtung zu erwerben. Allein
dieſe Unterwuͤrfigkeit iſt dem Deſpoten, dieſe Hochach-
tung iſt dem Republicaner nur darum angenehm, weil
ſie das Vermoͤgen oder die Gelegenheit giebt, die Leiden-
ſchaften und die Begierden deſto beſſer zu befriedigen,
welche die unmittelbaren Quellen des Vergnuͤgens ſind.
Warum iſt Alcibiades ehrgeizig? Alcibiades bewirbt
ſich um einen Ruhm, der ſeine Ausſchweiffungen, ſei-

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[90/0112] Agathon. nem Saz zu machen ſcheint. Man koͤnnte ſie kuͤnſtli- che nennen, weil wir ſie nicht aus den Haͤnden der Na- tur empfangen, ſondern nur gewiſſen Uebereinkomniſ- ſen der menſchlichen Geſellſchaft zu danken haben, durch welche dasjenige, was uns dieſes Vergnuͤgen macht, die Bedeutung eines Gutes erhalten hat. Allein die klein- ſte Ueberlegung iſt hinlaͤnglich uns zu uͤberzeugen, daß dieſe Dinge uns keine andre Art von Vergnuͤgen ma- chen, als die wir vom Beſiz des Geldes haben; welches wir mit Gleichguͤltigkeit anſehen wuͤrden, wenn es uns nicht fuͤr alle die wuͤrklichen Vergnuͤgen Gewaͤhr leiſtete, die wir uns dadurch verſchaffen koͤnnen. Von dieſer Art iſt dasjenige, welches der Ehrgeizige empfindet, wenn ihm Bezeugungen einer ſcheinbaren Hochachtung oder Unterwuͤrfigkeit gemacht werden, die ihm als Zei- chen ſeines Anſehens und der Macht, die ihm daſſelbe uͤber andre giebt, angenehm ſind. Ein morgenlaͤndi- ſcher Deſpot bekuͤmmert ſich wenig um die Hochachtung ſeiner Voͤlker; ſclaviſche Unterwuͤrfigkeit iſt fuͤr ihn ge- nug. Ein Menſch hingegen, deſſen Gluͤk in den Haͤn- den ſolcher Leute liegt, die ſeines gleichen ſind, iſt ge- noͤthiget, ſich ihre Hochachtung zu erwerben. Allein dieſe Unterwuͤrfigkeit iſt dem Deſpoten, dieſe Hochach- tung iſt dem Republicaner nur darum angenehm, weil ſie das Vermoͤgen oder die Gelegenheit giebt, die Leiden- ſchaften und die Begierden deſto beſſer zu befriedigen, welche die unmittelbaren Quellen des Vergnuͤgens ſind. Warum iſt Alcibiades ehrgeizig? Alcibiades bewirbt ſich um einen Ruhm, der ſeine Ausſchweiffungen, ſei- nen

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/112>, abgerufen am 23.11.2024.